Gegen den Fachkräftemangel und für die Attraktivierung der Lehre investieren zahlreiche Unternehmen in ihre Ausbildungszentren. Ein Blick auf die neuen Talenteschmieden.
Alle Einwohner:innen von Linz mögen sich bitte beim Arbeitsmarktservice (AMS) melden. Es gibt Jobs für jede und jeden. So könnte man die aktuelle Situation am österreichischen Arbeitsmarkt plakativ auf den Punkt bringen. Die oberösterreichische Landeshauptstadt hat knapp unter 210.000 Einwohner:innen. Rund ebenso viele offene Stellen hat es laut Statistik Austria im ersten Quartal des heurigen Jahres gegeben.
Die Suche der Unternehmen nach passenden Arbeitskräften wird zunehmend schwierig. Vor allem der Fachkräftemangel ist eines der großen und anhaltenden Probleme für die Wirtschaft. Laut einer Umfrage des Kreditschutzverbands (KSV 1870) sind davon 58 Prozent der heimischen Firmen betroffen, 26 Prozent sogar sehr. Besonders dramatisch gestaltet sich die Lage in der Industrie.
Fachkräftemangel „kostet“ zehn Milliarden
Laut einer Untersuchung des Industriewissenschaftlichen Instituts (IWI) könnten bis 2030 bis zu 63.400 Fachkräfte in technischen Berufen und IT fehlen. Der potenzielle Wertschöpfungsentgang liege demnach bei bis zu zehn Milliarden Euro. Bereits heute würden bis zu 40.000 Fachkräfte fehlen. Rund jede vierte benötigte Stelle in den genannten Bereichen kann in heimischen Unternehmen nicht besetzt werden, warnen Branchenvertreter:innen. Sie fordern eine Qualifizierungsoffensive.
Manche Unternehmen setzen selbst Initiativen beziehungsweise gehen neue Wege, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen und Facharbeiter:innen für das Unternehmen zu gewinnen. So hat der oberösterreichische Kranhersteller Palfinger einen firmeneigenen Campus für die Lehrlings- und Mitarbeiter:innenausbildung und eine Produkterlebniswelt für Kund:innen eröffnet. Zehn Millionen Euro wurden dafür am Standort Lengau investiert.
Campus für 250 Lehrlinge
Ganz ähnlich hat der Fleischwarenerzeuger Hochreiter in Bad Leonfelden reagiert und ebenfalls einen Lehrlingscampus hochgezogen. „Die Fachkräfte brechen uns weg. Wir wollen mit dem Campus junge Leute anziehen, die bei uns bleiben“, begründet Eigentümer Wolfgang Hochreiter die Initiative.
Bereits seit eineinhalb Jahren ist in Ybbs der Lehrlingscampus des größten österreichischen Baukonzerns, der Strabag, in Betrieb. Zehn Millionen Euro wurden in die moderne Ausbildungsstätte gesteckt, in der jährlich rund 250 Lehrlinge aus ganz Österreich – zusätzlich zu ihrer Ausbildung in der Berufsschule rund vier Wochen lang – ihr Wissen und Können perfektionieren. Neben der Praxis, in der das Augenmerk auf neuesten Arbeitsweisen und Bautechnologie liegt, geht es dem Unternehmen vor allem auch darum, das Wir-Gefühl innerhalb der Nachwuchskräfte zu stärken.
Akademie für Flugzeugtechniker
Seit einem Jahr betreibt auch das Salzburger Medizintechnikunternehmen W&H einen eigenen Campus für die Aus- und Weiterbildung seiner Mitarbeiter:innen. Im neuen Campus können die Lehrlinge auf rund 1.000 Quadratmetern die Möglichkeiten der modernen Maschinen, des CAD-Raums inklusive 3-D-Drucker und des Elektrolabors voll ausschöpfen. Dafür wurde der Maschinenpark erneuert und an die Rahmenbedingungen der Lehrabschlussprüfung angepasst. Durch die multifunktionale Nutzung soll das neue Ausbildungszentrum aber auch als Begegnungsort für Lehrlinge, Fachkräfte und Ausbildner:innen dienen. Mehr als 600 Lehrlinge wurden in der über 60-jährigen Geschichte des Betriebs bereits zu Fachkräften ausgebildet.
In Kapfenberg folgt man diesen Beispielen. In seiner obersteirischen Zentrale hat der Auto- und Flugzeugzulieferer Pankl kürzlich mit dem Bau einer eigenen Akademie begonnen. 14 Millionen Euro werden investiert. Der neue Campus wird als Herzstück eine rund 1.500 Quadratmeter große Lehrwerkstatt beheimaten. Dort sollen künftig rund 200 Lehrlinge statt bisher 140 gleichzeitig ausgebildet werden. Hintergrund auch hier: der Fachkräftemangel. „Die jungen Menschen werden nach ihrem Lehrabschluss bestqualifizierte Fachkräfte sein, die wir brauchen, um die Innovationskraft und das Wachstum im Unternehmen weiter voranzutreiben“, so Wolfgang Plasser, CEO der Pankl Racing Systems.
Fachkräftemangel als Wachstumsbremse
Die Konkurrenz im Kampf um die Talente wartet direkt vor der Haustüre. Der Stahl- und Technologiekonzern voestalpine hat am Standort in Kapfenberg kürzlich, nach vier Jahren Bauzeit, im neuen Edelstahlwerk die Produktion aufgenommen. Es ist auf die Erzeugung von hochqualitativem Vormaterial für Flugzeugkomponenten, Werkzeuge für die Automobilindustrie, Equipment für die Öl- und Gasförderung und für den 3D-Druck von komplexen Metallteilen spezialisiert. Für die Ausbildung der dafür notwendigen hochqualifizierten Mitarbeiter:innen wird ein neuer Lehrlingscampus errichtet.
Allgemein gelten diese Ausbildungsinitiativen der Unternehmen als Investition in die eigene Innovationskraft. Man trägt damit den steigenden Ansprüchen bei den Aufträgen, der wachsenden Komplexität von Anlagen und Projekten und dem ausgetrockneten Arbeitsmarkt Rechnung. Denn der aktuelle Mangel an Beschäftigten wirkt bereits als Wachstumsbremse. So müssen Unternehmen teilweise schon wegen zu wenig Personal neue Aufträge ablehnen.