Die Corona-Krise hat die Digitalisierung in Österreich beschleunigt. Das klingt zukunftsgerichtet. Aber ist es nicht eigentlich ein Armutszeugnis für eines der reichsten Länder der Welt, fragt sich Fakt & Faktor-Chefredakteur Klaus Höfler.
Vor bald einem Jahr endete die Normalität. Am 11. März erklärte die Weltgesundheitsorganisation Covid-19 zu einer Pandemie. Fünf Tage später ging Österreich in seinen ersten Lockdown. Der letzte Satz des letzten Paragrafen der entsprechenden Verordnung zeugt (im Rückblick) von einer bestenfalls optimistischen, wahrscheinlich naiven, jedenfalls völligen Fehleinschätzung der Lage: „Diese Verordnung tritt mit 16. März in Kraft und mit Ablauf des 22. März 2020 außer Kraft.“
Damals glaubte man noch an das Gute im Virus. Und an den Osterhasen. Er sollte die Normalität – nicht allzu schwer versteckt – in den Alltag zurückbringen. Gefunden haben wir sie bis heute nicht. Zu Selbstberuhigung nennen wir unser infiziertes Babyelefanten-Reservat seither eben die „neue Normalität“. Klingt besser als Krise.
Digitalisierung: Köpfe, in denen Ohrhörer stecken
Um die Übersicht über die Sperren, Testungspläne und Förderprogramme nicht zu verlieren, nummerieren wir die Lockdowns mittlerweile wie früher Königshäuser oder Unternehmerdynastien ihre Thronfolger. Parallel sind wir zu VirologInnen, PharmazeutInnen, GesundheitsökonomInnen oder VolksschullehrerIinnen gereift. Aber vor allem: Wir sind jetzt „digital natives“!
Teams, Zoom, Webex und all die anderen „Gamechanger“ sind die neuen Leuchtsterne unserer Kommunikation. Navigationsgeräte der Migrationsströme ins verheißungsvolle „Digi-Tal“. Alle streben dort hin. Wir gleichen analogen AsylwerberInnen an der Grenze zur virtuellen Zukunft. Statt sich auf Geschäftsreisen, weitläufigen Messen und in Businessmeetings zu drängen, starren wir auf Computerbildschirme und dort auf Fotogalerien von (zumindest unmaskierten) Köpfen, in denen Ohrhörer stecken. Ein Land hat aufgerüstet.
Keine Zeit für BesitzstandswahrerInnen
Investitionen in digitale Infrastrukturen wurden im Sprinttempo vorgezogen. In manchen Bereichen war dieser Modernisierungsschub hochnotwendig. Denn in Zeiten, in der Know-how zur wichtigsten Ressource geworden ist und sich industriell hochentwickelte Volkswirtschaften in Wissensökonomien verwandeln, bleibt keine Zeit für innovationsimmune Besitzstandswahrung und reformresistente Bildungspolitik. Es braucht Wettbewerbsfähigkeit – und zwar beide in diesem Wort fusionierten Begriffe.
Es braucht Wettbewerbsfähigkeit – und zwar beide in diesem Wort fusionierten Begriffe.
Sich hinter einer Handvoll längst entdeckter WeltmarktführerInnen oder öffentlichkeitsscheuer Hidden Champions zu verstecken, genügt nicht. Österreich ist gefordert, seine Potenziale effizienter und breiter auszuschöpfen und seine Talente zielgerichtet zu fördern. Es braucht eine belastbare Strategie, denn es gibt viel zu verlieren.
Globalisiertes Wissen hat kein Einreiseverbot
Die Welt ist im Wandel. Es ist keine ruhige Reform, sondern eine rasante Revolution, die die physische und digitale Welt verschmelzen lässt. Der Zugang zu Know-how wird durch die Digitalisierung demokratisiert und globalisiert. Über vier Milliarden Menschen haben Zugang zum Internet. Deren Expertise hat kein Einreiseverbot. Und sie ist mit Vollgas und höchster Flexibilität unterwegs. Die Halbwertszeit unserer erlernten Fähigkeiten ist auf nur noch zweieinhalb bis fünf Jahre geschrumpft. Immer schneller! Immer besser?
Rabiates Online-Shopping ist kein Synonym für das „Internet der Dinge“.
Die Gig-Economy boomt jedenfalls auch auf unseren Arbeitsmärkten. Das große Wachstum der Weltwirtschaft spielt sich aber längst außerhalb Europas, in Asien, ab. Österreich wird sich anstrengen müssen. Verwaiste Schreibtische in Großraumbüros dort, zum Homeoffice umfunktionierte Küchentische hier – das wird als Digitalisierungsoffensive nicht reichen. Rabiates Online-Shopping ist kein Synonym für das „Internet der Dinge“. Und eine Twitter-Schwalbe macht noch keinen Digitalisierungssommer.
Dass es jetzt zu einem Bytes-und-Bits-Boost gekommen ist, darf man freilich begrüßen. Dass es als Weckruf ein Virus gebraucht hat, bleibt für ein Land wie Österreich jedoch beschämend.