Distance Learning

Mit Abstand besser lernen – die Zukunft des Distance Learnings

Oldschool war gestern – aber was kommt morgen? Wie werden unsere Kinder lernen? Und vor allem: was? Das wollten wir von zwei BildungsexpertInnen wissen.

Es gibt kein Zurück. So viel steht fest. Und das ist gut so. Denn auch wenn Distance Learning allen – egal, ob SchülerInnen, PädagogInnen oder Eltern – viel abverlangt hat, so hat es auch gezeigt, dass man den Unterricht anders gestalten kann. Doch wie nutzt man den Digitalisierungsschub, den die Corona-Pandemie losgetreten hat, für die Zukunft? Darüber haben wir mit Tina Dworschak und Viktor Fleischer, beide ExpertInnen im Bereich Bildung & Gesellschaft bei der Industriellenvereinigung, gesprochen. Natürlich mit Abstand. Und wir haben viel dazugelernt.

ExpertInnen gehen davon aus, dass Distance Learning uns noch eine Weile erhalten bleibt, selbst, nachdem wir die Pandemie in den Griff bekommen haben. Aber warum brauchen wir Distance Learning, wenn die Kinder wieder normal in die Schule gehen können?

Tina Dworschak: Da muss man sich zuerst einmal die Frage stellen, was man tatsächlich unter Distance Learning versteht. Was wir immer wieder hören, ist, dass die hybriden Schichtmodelle – sprich, du hast ein paar Kinder in der Klasse sitzen und ein paar, die den Stream von zu Hause aus verfolgen – eine Riesenherausforderung sind. Insbesondere für die PädagogInnen, und das aus den unterschiedlichsten Gründen. Wenn man mit Distance Learning aber eine Neugestaltung des Unterrichts meint, dann ist es sicher ein Thema für die Zukunft. Ein großes Potenzial, das jetzt geschaffen wurde, ist „selbstorganisiertes Lernen“. Das ist im Grunde genommen die Zukunftskompetenz, der die Schule in der aktuellen Ausrichtung aber noch zu wenig Rechnung trägt. Hier hat Distance Learning bestimmt zu einem Umdenken geführt und gezeigt, dass man den Unterricht auch anders gestalten kann. Nach Corona wieder zum Status quo ante zurückzukehren, hört sich so gesehen eher wie eine Drohung an.

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Expertin für Bildung & Gesellschaft Tina Dworschak bezweifelt, dass Distance Learning nach Corona schnell an Bedeutung verlieren wird.Foto: Industriellenvereinigung

Ein neues Lernmodell, in dem viele ExpertInnen die Zukunft sehen, ist Blended Learning, also eine Mischform aus Präsenz- und Online-Unterricht. Wie könnte das in der Praxis aussehen?

Tina Dworschak: Blended Learning ist ein Modell, bei dem man damit jongliert, wo Wissensvermittlung und wo gemeinsames Üben, Trainieren, Vertiefen und Nachfragen stattfindet. Und das ist genau das, was jetzt ein Stück weit angestoßen wurde. Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass der Schüler/die Schülerin sich zu Hause die Erklärung für die Ableitung der Funktion in einer Art gestreamten Vorlesung ansieht und diese in der Schule übt, dort auch die Hausaufgaben macht und Fragen stellen kann. Dadurch kann der Unterricht selbst sozialer und kooperativer gestaltet werden. Vom Konzept her kann man es sich so vorstellen, dass man ja auch nicht unvorbereitet in ein Meeting geht.

Was sind weitere Vorteile dieses Lernmodells?

Viktor Fleischer: Die kollaborativen Arbeitsformen sind ein großer Vorteil, d. h. man löst gemeinsam Aufgaben, reflektiert Themen oder erarbeitet mit anderen zusammen Projekte. Und das sind genau die Kompetenzen, die auch in der Wirtschaft in Zukunft massiv an Bedeutung gewinnen werden. Das schon in der Schule zu lernen, macht also viel Sinn. Ein weiterer Vorteil ist die Individualisierung, und da sehe ich gerade bei digitalen Lerntools das ganz große Potenzial, egal, ob es darum geht, besonders begabte Menschen zu fördern oder Menschen, die in einem bestimmten Bereich lernschwach sind. Da können digitale Lerntools ganz Großes leisten, verglichen mit dem, was derzeit möglich ist, wo wir alle gleich behandeln müssen, weil es in einem Klassenverband eben nicht anders geht.

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Viktor Fleischer weiß als Bildungsexperte der Industriellenvereinigung freilich wie die Zukunft des modernen Lernens aussehen wird.Foto: Industriellenvereinigung

Welche digitalen Lernmedien könnten da in Zukunft zum Einsatz kommen?

Tina Dworschak: Ein Beispiel wäre Gamification, wo man durch spielerische Ansätze Lernbegeisterung fördern kann, indem man verschiedene Badges sammelt und Belohnungen bekommt. Das Gelernte bleibt dadurch natürlich ganz anders hängen. Mit solchen Apps ist es auch möglich, den Lernfortschritt jedes/jeder einzelnen Schülers/Schülerin zu tracken und den PädagogInnen Feedback zu geben. Es gibt da schon sehr ausgeklügelte Apps, die SchülerInnen auf ihren Endgeräten bedienen und wo PädagogInnen genau sehen können, wer wie viele Anläufe gebraucht hat oder bei wem dezidiert Förderbedarf besteht. Und das ist in jedem Fach möglich, egal, ob es ums Programmieren geht oder um Mathematik oder um Englischvokabeln. Das sind Riesenchancen. Nicht zuletzt auch wegen der sprachlichen Zugänglichkeit. Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, können sich über solche Module und Apps natürlich ganz anders am Unterricht beteiligen, indem sie einfach die Tastatur umstellen oder das Ganze mit der Live-Übersetzung von Google mitverfolgen.

Durch die Corona-Pandemie haben sich auch die Anforderungen am Arbeitsmarkt geändert. Wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um den Lehrplan zu entrümpeln und ganz neue Fächer einzuführen?

Tina Dworschak: Wir beschäftigen uns schon sehr lange und sehr intensiv mit dem Thema Lehrplan. Die Lehrpläne für die Volksschule und die Sekundarstufe I werden jetzt gerade im Ministerium überarbeitet. Da stellt sich allerdings die Frage, welche Fächer ich streiche, wenn ich irgendwo ein zusätzliches Fach einschiebe. Das haben wir uns zum Anlass genommen, um uns genau anzuschauen, was wir eigentlich wollen – ein humboldtsches Ideal oder die perfekte Anpassung an den Arbeitsmarkt? Tatsache ist, dass ein/e 14-Jährige/r oder ein Kind, das gerade eingeschult wird, während der Bildungslaufbahn auf Jobs vorbereitet wird, die es noch gar nicht gibt. Er oder sie wird darauf vorbereitet, irgendwann eine Technik zu benutzen, die noch nicht einmal erfunden wurde. Und er oder sie wird mit sozialen Problemen konfrontiert sein, die heute noch nicht einmal im Ansatz fassbar sind. Das alles kann ein Lehrplan alleine nicht richten.

Das lebenslange Lernen ist tatsächlich Realität.

Viktor Fleischer, IV-Experte im Bereich Bildung & Gesellschaft

Hier braucht man ein Ineinandergreifen von einem Fächerkanon und modernen Unterrichtsprinzipien. Vor allem wenn man davon ausgeht, dass schon in halbwegs absehbarer Zukunft Kreation und Co-Kreation das Einzige sein werden, was uns Menschen von Maschinen unterscheidet. Wir müssen uns wegorientieren von Einzelfächern, Routineaufgaben und unpersönlichen Aufgaben hin zu komplexen, kreativen Inhalten. Das ist ein kompletter Paradigmenwechsel, der sich leider auch in der aktuellen Lehrplanüberarbeitung nicht in dem Ausmaß wiederfindet, wie wir uns das wünschen würden.

Können Sie uns ein Beispiel nennen, wie so etwas aussehen könnte?

Tina Dworschak: Nehmen wir zum Beispiel Wirtschaft her. Dann müsste die Aufgabe lauten, das aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und zu vermitteln, sei es aus Klimawandelsicht, aus der Sicht eines/einer Verbrauchers/Verbraucherin oder auch aus der Sicht, wie ich selbst Wirtschaft gestalten kann. Da reicht ein einzelnes Fach nicht aus. Da müssen schon mehrere PädagogInnen Anstrengungen vollführen, um das entsprechend gut zu vermitteln, damit die SchülerInnen am Ende des Tages alle Dimensionen erkennen.

Viktor Fleischer: Es ist nicht nur so, dass sich die Kompetenzanforderungen am Arbeitsmarkt ändern, sondern es wird auch in der Wirtschaft gelernt. Das lebenslange Lernen ist tatsächlich Realität. Ein modernes Unternehmen kommt nicht umhin, die eigenen MitarbeiterInnen weiterzubilden, und da gibt es zum Teil schon sehr innovative Systeme, vor allem bei den großen Unternehmen. Da werden z. B. mit der KI Lerninhalte aus dem Internet gefiltert und qualitätsgeprüft, die genau zu diesem Zeitpunkt für eine/n bestimmte/n MitarbeiterIn relevant sind. Man kann hier nicht erwarten, dass ein/e SchülerIn bis 18 frontal mit der Kreidetafel lernt und dann in einem Betrieb zurechtkommt. Da braucht man eine Anschlussfähigkeit des formalen Bildungssystems an das, was auch in der Wirtschaft gelernt wird.

Was wird in Zukunft noch durch Distance Learning möglich sein?

Tina Dworschak:Virtuelle Museumsbesuche z. B. oder Spanischunterricht mit einer Klasse in Südamerika. Auch das Thema Noten und Leistungsbeurteilung kann durch Distance Learning anders gedacht werden, wenn man kollaborative Projekte aufsetzt oder wenn man sich einfach mal durch Gleichaltrige beurteilen lässt. Die Bezugsmaterie muss auch nicht mehr ausschließlich die Klasse sein. Es kann theoretisch auch ein Bildungsformat von Michael Köhlmeier geben, wo sich alle 4. Klassen aus ganz Österreich zuschalten und dann über Slido ihre Fragen eintragen können.

Die Schule ist ein Ort, wo man gemeinsam arbeitet und sich weiterentwickelt und dafür auch Begeisterung schafft.

Tina Dworschak, IV-Expertin im Bereich Bildung & Gesellschaft

Und wo liegen die Grenzen?

Tina Dworschak: Schule ist ein ganz zentraler sozialer Raum und vor allem wichtig, wenn es um Kooperation, Teamarbeit oder persönliche Bindungen geht. Das passiert alles in der Schule und kommt natürlich beim Distance Learning zu kurz. Das gilt auch für das Erreichen und Einbinden von SchülerInnen mit komplexeren Hintergründen. Die persönliche Komponente muss und wird die Schule – in Zukunft hoffentlich noch verstärkt – nutzen. Denn sie soll nicht nur die Vorlesungshalle für Wissensvermittlung sein, sondern ein Ort, wo man gemeinsam arbeitet und sich weiterentwickelt und dafür auch Begeisterung schafft.

Credits Artikelbild: Symbolbild: Adobe Stock | ulza

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