Es gibt nicht viele Mädchen, die eine HTL besuchen. Und noch weniger, die selbst ein Flugzeug bauen. Fakt & Faktor hat zwei auf der HTL Kapfenberg gefunden und mit ihnen über Flugzeugteile, Chinesischunterricht und Zukunftspläne gesprochen.
Tonja Nistelberger und Lara Tiefenbacher sind 16 Jahre alt. Tonja geht in die zweite Klasse der HTL Kapfenberg, Lara in die dritte. Beide haben sich für den noch recht jungen Ausbildungszweig Luftfahrt-Aviation entschieden. „Flieger haben mich immer schon fasziniert, und ich habe gewusst, dass ich später etwas im Bereich Luftfahrt machen möchte“, erzählt Lara. Trotzdem habe sie sich in der Hauptschule noch für „typische Mädchensachen“, wie sie sagt, interessiert.
Als es jedoch darum ging, sich für ein Pflichtfach zu entscheiden – entweder „Sozial/Kreativ“ oder „Naturwissenschaft/Technik“ –, habe eine Lehrerin sie dazu ermutigt, Letzteres zu wählen. „Das andere kannst du ja eh schon alles“, so deren Begründung. Und Lara befolgte den Rat. Durch einen Freund ihres Vaters wurde sie schließlich auf die HTL in Kapfenberg aufmerksam.
Ready for Take-off
Tonja kommt aus Fladnitz an der Teichalm in der Steiermark. „Ich habe mich immer für das Handwerkliche interessiert, auch schon in der Volksschule. Und für Raketen“, fügt sie hinzu. „Nachdem es aber bei uns keine Schule gibt, die auf Raketen spezialisiert ist, habe ich mich für den Luftfahrtzweig an der HTL Kapfenberg entschieden. Das ist zumindest ein verwandtes Thema.“ Dass es in Kapfenberg eine Schule mit einem Luftfahrtzweig gibt, erfuhr sie von ihrem Onkel, der selbst an der FH JOANNEUM Luftfahrt studierte. So landete Tonja in Kapfenberg, ebenso wie Lara, die extra aus dem Bezirk Scheibbs in Niederösterreich anreiste. Beide wohnen während des Schuljahres im Studentenwohnheim.
GUT ZU WISSEN
- Bis 2038 werden weltweit bis zu 39.000 neue Flugzeuge gebaut.
- In der Luftfahrtindustrie werden deshalb etwa 640.000 neue Techniker:innen gebraucht. Die Luftbranche boomt also.
- Allein in Österreich gibt es heute 95.000 Arbeitsplätze. Den Ausbildungszweig Luftfahrt-Aviation bietet die HTL Kapfenberg seit 2017 an.
Flugschein und Chinesisch
Dabei war es nicht nur die Aussicht auf eine spannende Ausbildung mit Jobgarantie, die die Mädchen begeisterte. Auch die freiwilligen Zusatzangebote hatten ihren Reiz. „Ich besuche seit dem zweiten Semester der ersten Klasse den Chinesischunterricht. Da sind wir nur zu zweit, ein Mädchen aus dem Maschinenbau und ich, und der Abteilungsvorstand macht auch ab und zu mit“, erzählt Lara. Gemeinsam mit Tonja hat sie außerdem den Theoriekurs für den Segelflugschein gemacht.
Das Flugzeug, das sie selbst gerade bauen, können sie damit aber nicht fliegen. Dafür bräuchte es unter anderem Theoriestunden und Erweiterungen. Immerhin handelt es sich bei dem Bausatz um ein zweisitziges Motorflugzeug mit acht Metern Länge und sechs Metern Breite.
„So eine Chance hat man nicht jeden Tag“
Mittlerweile sind Schüler:innen aus allen Jahrgängen an dem Projekt beteiligt. „Als ich gehört habe, dass ein Flugzeug gebaut wird, war ich sofort begeistert. So eine Chance hat man nicht jeden Tag“, erinnert sich Lara. Auch Tonja war gleich mit an Bord. Dafür bleiben die Mädchen auch freiwillig länger in der Schule. Dienstagnachmittag steht die Werkstatt allen Flugzeuginteressierten offen.
Zwei Mädchen an der Spitze
Bevor die HTLer:innen jedoch mit dem Bau des Flugzeugs beginnen konnten, musste ein Verein gegründet werden – so die Auflage der Behörden. Jede:r Schüler:in ist für einen eigenen Bereich zuständig. Als es darum ging, die technische Leitung neu zu besetzen, trat Klaus Santer an Lara und Tonja heran. „Die beiden Mädchen sind seit Beginn ihrer Schullaufbahn an dem Projekt beteiligt und haben sich mit viel Eigeninitiative in ihrer ‚Freizeit‘ damit beschäftigt. Für beide sind die beauftragten Arbeiten kein Zwang, sondern es bereitet ihnen Spaß, ihren Beitrag für die Sache zu leisten“, schwärmt er.
Außerdem seien sie zu 100 Prozent zuverlässig und gewissenhaft. Was gerade in dieser Branche sehr wichtig sei. „Den Mädchen ist sehr wohl bewusst, dass an ihrer Arbeit letztendlich auch ein Menschenleben hängen kann. Jeder Handgriff wird mit dem Gedanken erledigt, dass sie selbst als nächste in diesem Flugzeug sitzen werden.“
Trotz oder gerade wegen der Herausforderung, sagten seine Schülerinnen sofort zu. Auch weil sie sich der ständigen Unterstützung ihres Lehrers sicher waren. Chefrolle nehme sie aber keine ein, sagt Lara. „Auch wenn ich diese Position habe, sind wir auf einer Ebene. Im Endeffekt sind wir ja alle hier, um etwas zu lernen.“ Und ihre Stellvertreterin Tonja beschreibt, was zu tun ist: „In erster Linie sind wir für die Verkabelung zuständig, aber auch für andere Dinge, wie etwa das Anbringen der Klebestreifen am Rumpf oder an den Tragflächen.“ Was sie besonders reize, sei, dass man durch die Arbeit am Flugzeug auf viele neue Themen stoße, die nicht direkt oder erst später im Unterricht behandelt werden. „Dadurch ist man den Klassenkolleg:innen quasi schon einen kleinen Schritt voraus.“
Nur Fliegen ist schöner
Ganz neue Eindrücke konnte Tonja auch während eines vom Verein organisierten Ausflugs nach Kunovice in Tschechien sammeln. Dort hat die Firma, von der der Bausatz stammt, ihren Sitz. Die HTL-Schüler:innen bekamen nicht nur die Gelegenheit, sich anzusehen, wie das Flugzeug zusammengesetzt wird, sondern arbeiteten in der Produktion mit und bauten Flugzeugteile. Lara hingegen erzählt, dass sie gemeinsam mit Tonja und anderen Vereinsmitgliedern im April an einer Exkursion zur AERO, der internationalen Fachmesse für die Allgemeine Luftfahrt in Friedrichshafen, teilgenommen hat.
Wohin die eigene Reise gehen soll, wissen die HTL-Schülerinnen noch nicht. Fix ist vorerst, dass beide im Sommer ein Praktikum bei der Firma Pankl in Kapfenberg, die wie mehrere andere Betriebe das Projekt unterstützt, absolvieren werden. Tonja könne sich auch vorstellen, nach dem Abschluss ein paar Jahre zu arbeiten und dann eine Weltreise zu unternehmen, sagt sie. Aber auch ein Studium an der Universität Delft in den Niederlanden, die eine eigene Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik hat, sei eine Option. Für Lara steht fest, dass sie auf jeden Fall in der Luftfahrt bleiben möchte. Wobei es ihr nicht nur darum geht, Flugzeugteile zu bauen. Sie möchte auch umweltfreundliche Entwicklungen vorantreiben. „Da irgendwie dabei zu sein, das wäre schon ziemlich cool.“