Wenn Kinder in der Puppenecke Mathematik lernen

Sie sehen kaum über den Tisch und tragen schon Laborkittel und Schutzbrillen oder hantieren mit dem Tablet. Immer mehr Kindergärten und Schulen fördern MINT-Fächer und machen sowohl Mädchen als auch Buben zukunftsfit.

Wenn MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) die Zukunft sind und Buben sich traditionell eher für diese Fächer interessieren, was bedeutet das eigentlich für Mädchen? Denn obwohl insgesamt mehr Frauen als Männer an österreichischen Universitäten und Hochschulen studieren, macht der Anteil der weiblichen Studierenden in den MINT-Fächern je nach Hochschule höchstens ein Viertel bis ein Drittel aus. Aber warum ist das so? An der Begabung kann es nicht liegen, darin sind sich ExpertInnen längst einig. Vielmehr seien Vorurteile und fehlende Vorbilder schuld daran, dass Mädchen sich oft noch einreden, in Mathematik oder Informatik schlechter zu sein als ihre männlichen Mitschüler. Doch das soll schon bald der Vergangenheit angehören!

Österreichs ausgezeichnete Kindergärten und Schulen

Immer mehr Kindergärten und Schulen setzen daher schon bei den Kleinsten an und versuchen, sie – egal, ob Bub oder Mädchen – möglichst früh für so genannte MINT-Fächer zu begeistern und ihnen Erfolgserlebnisse in Technik oder Mathematik zu ermöglichen. In Österreich tragen bereits 438 Kindergärten und Schulen das inzwischen flächendeckend bekannte MINT-Gütesiegel – eine Auszeichnung, die von einem ExpertInnengremium an besonders engagierte Bildungseinrichtungen vergeben wird.

Gut zu wissen:

Das MINT-Gütesiegel ist eine Initiative des Bildungsministeriums, der Industriellenvereinigung, der Wissensfabrik Österreich und der Pädagogischen Hochschule Wien. Heuer wird es zum 5. Mal an Kindergärten und Schulen vergeben, die schwerpunktmäßig innovativen MINT-Unterricht umsetzen und Mädchen und Buben gleichermaßen fördern. Wer sich bewerben möchte, hat dafür noch bis zum 31. März 2021 Zeit. Nähere Infos gibt es unter https://www.mintschule.at.

Drei davon haben wir uns näher angesehen und dabei Dinge gelernt, die uns selbst überrascht haben. Was wir jetzt schon verraten können, ist, dass man überall Mathematik lernen kann, dass es technische Bereiche gibt, in denen Mädchen klar im Vormarsch sind, und dass manche Kinder in den Ferien sogar freiwillig die Schule besuchen.

Erstes Kindergarten-Forscherlabor in Österreich

Der städtische Kindergarten Sonnenschein in Klagenfurt gilt als Vorreiter, wenn es darum geht, Kinder spielerisch an Technik, Naturwissenschaften oder Mathematik heranzuführen. „Wir haben 2011 mit Unterstützung der Industriellenvereinigung (IV) als erster Kindergarten in Österreich ein Forscherlabor eingerichtet, in dem die Kinder mit Reagenzgläsern oder Mikroskopen arbeiten, elektronisch betriebene Fahrzeuge bauen oder Experimente machen können“, erklärt die Leiterin Daniela Wrumnig.

PädagogInnen freuen sich immer wieder über den Besuch ehemaliger Kindergartenkinder, die gerne an ihre Zeit im Forscherlabor zurückdenken.Foto: Kindergarten Sonnenschein

„Schon bald haben wir aber gemerkt, dass ein Forscherlabor zu wenig ist. Die Kinder wollten nur noch forschen, deshalb ist MINT bei uns mittlerweile Bildungsbestandteil des täglichen Spiels. Wir haben zum Beispiel eine mathematische Küche in die Puppenstube integriert, in der mit Naturmaterialien gekocht wird, die die Kinder mit der Balkenwaage abwiegen. Oder sie messen in der Bauecke die Höhe ihrer Türme ab und tragen diese auf einem der Flipchartbögen ein, die bei uns an der Mauer hängen. So kommen die Kinder spielerisch mit Zahlen in Berührung und lernen rechnen, ohne es zu merken.“

MINT kennt keinen Unterschied

Schon die Kleinsten bekommen im Kindergarten Sonnenschein Tablets oder Kameras in die Hand gedrückt, fotografieren ihre Experimente und laden die Fotos gemeinsam mit den PädagogInnen hoch. Sogar das Vogelhaus im Garten ist mit einer USB-Kamera ausgestattet, die zu filmen beginnt, sobald sich etwas bewegt oder ein Vogel einkehrt.

Mädchen stürmen genauso in die Bauecke wie Buben.

Daniela Wrumnig, Leiterin des städtischen Kindergarten Sonnenschein in Klagenfurt

Dass Mädchen weniger Interesse als Buben zeigen, konnten Daniela Wrumnig und ihre KollegInnen nicht beobachten. „Mädchen stürmen genauso in die Bauecke wie Buben. Der einzige Unterschied ist, dass Buben länger in der Thematik bleiben und länger konstruieren, während die Mädchen irgendwann gehen, um ihre Ergebnisse zeichnerisch festzuhalten. Das liegt meiner Meinung nach aber daran, dass Mädchen und Buben zu Hause immer noch eine andere Spielumgebung vorfinden und andere Spielmaterialien zur Verfügung haben.“

Freie Wahl für PädagogInnen

Auch Regina Neumaier, Leiterin der Volksschule Prandaugasse in Wien, merkt keinen Unterschied zwischen Buben und Mädchen, wenn es um die Begeisterung für MINT-Fächer geht. Überhaupt seien die Bereiche so breit gefächert, dass wirklich für jede und jeden etwas dabei sei. „Wobei es aber auch am Geschick der PädagogInnen liegt, die Themen so aufzubereiten, dass die Kinder neugierig werden“, sagt die Schulleiterin.

MINT
Bereits ab der ersten Schulstufe wird in der Volksschule Prandaugasse ein digitaler Schwerpunkt gesetzt. Kinder arbeiten ergänzend zum Schulbuch ebenfalls mit modernen Tablets und Laptops.Foto: Volksschule Prandaugasse

„Bei uns gibt es daher laufend Seminare und Fortbildungen zu diesen Schwerpunkten. Mir ist vor allem wichtig, dass alle ihre persönlichen Stärken einbringt. Die einen interessieren sich mehr für Mathematik, andere eher für Naturwissenschaften. Jetzt gerade richten wir mit KollegInnen, die besonders digital-affin sind, ein Medialab ein. Und das ist, denke ich, das Geheimnis. Die PädagogInnen machen es, weil sie wollen und sie selbst neugierig sind, nicht weil sie es verordnet bekommen. Sie haben die freie Wahl, so wie die Kinder auch.“

Wandeln im Naschgarten

Das nächste Projekt der Volksschule Prandaugasse ist die Umgestaltung des grauen Pausenhofs. „Den wollen wir in eine grüne Oase verwandeln, wo wir Kräuter züchten und Naschobst pflanzen. Der Pausenhof soll so gestalten werden, dass er für die Kinder ansprechend ist. Sie sollen sich dort wohlfühlen und entspannen, vermehrt im Freien arbeiten können, Tiere beobachten, mikroskopieren oder Insektenhotels positionieren.“

Mädchen im Vormarsch

Rund 650 Kilometer entfernt, am anderen Ende Österreichs, liegt die Sport-Mittelschule Nenzing. Neben dem MINT-Schwerpunkt für alle wird hier auch ein Begabtenförderungsprogramm angeboten, an dem jene teilnehmen können, die sich in diesem Bereich noch mehr engagieren möchten und auch die entsprechenden Noten vorweisen können.

Ich erkläre mir das damit, dass Mädchen in dieser Altersgruppe besonders fleißig und motiviert sind, oft noch motivierter als die Buben.

Annette Walter, Schulleiterin der Sport-Mittelschule Nenzing

Als die ehemalige Bildungsberaterin Annette Walter vor dreieinhalb Jahren die Schulleitung übernahm, machte sie eine Entdeckung, mit der sie selbst nicht gerechnet hätte. „Ich habe schon immer versucht, Mädchen für technische Berufe zu begeistern, aber ich muss sagen, es war ein steiniger Weg. Als ich nach Nenzing wechselte, habe ich erfreut festgestellt, dass gerade in der Begabtenförderung mehr Mädchen als Buben sind. Es gibt sogar Jahrgänge mit nur zwei bis drei Buben, der Rest sind Mädchen. Ich erkläre mir das damit, dass Mädchen in dieser Altersgruppe besonders fleißig und motiviert sind, oft noch motivierter als die Buben. Und wenn man ihnen tolle Projekte anbietet, die auch kreative Komponenten beinhalten, dann bringen sie sich gerne ein.“

Freiwillig in die Schule statt in die Ferien

Der beste Beweis sind die Vorbereitungen für den RoboCup, an dem die vierten Klassen des Begabtenförderprogramms regelmäßig teilnehmen. Dafür bauen und programmieren die SchülerInnen fahrende Roboter und planen eine ein- bis zweiminütige Bühnenshow zu einem selbst gewählten Thema. Neun Staats- und fünf Weltmeistertitel konnte die SMS Nenzing bereits für sich verbuchen und ist dafür extra nach Japan, Australien oder Kanada gereist. Manche SchülerInnen, darunter viele Mädchen, kamen sogar in den Semesterferien in die Schule, um an ihren Robotern zu arbeiten. Und das noch dazu freiwillig. Auch so kann Schule sein.  

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Absolutes Highlight: Die Teilnahme am RoboCup. Die Themen für die selbst programmierten Roboter werden dabei von den SchülerInnen selbst ausgewählt.Foto: Sport-Mittelschule Nenzing
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Dabei wurden unter anderem schon Roboter zum Thema „Aladin und die Wunderlampe“, „Schifahren“ oder „Harry Potter“  zum Leben erweckt.Foto: Sport-Mittelschule Nenzing

Fazit:

Nur weil Mädchen dazu in der Lage sind, müssen sie nicht automatisch Programmiererinnen, Ingenieurinnen oder Mathematikerinnen werden. Sie sollten aber die Möglichkeit haben, Erfahrungen zu sammeln und sich zuzutrauen, dass sie es könnten, wenn sie wollten. Und egal, für welchen Berufsweg Mädchen oder Buben sich letztendlich entscheiden, durch die Auseinandersetzung mit MINT entwickeln sie Wissensverständnis und Kritikfähigkeit und tun sich später leichter, Fakten von Fake zu unterscheiden und evidenzbasiert Entscheidungen zu treffen.

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