Digitales Lernen

Kommentar: Im Schulsystem bleibt Reformkraft eine Mangelerscheinung

Unser Schulsystem hat Erneuerungsbedarf. Diese zeitlose Diagnose erfährt durch die Digitalisierung erhöhte Dringlichkeit. Ein paar Laptops machen aus alpinen Talschluchten noch kein Silicon Valley, findet Fakt & Faktor-Chefredakteur Klaus Höfler.

Wer schnell hilft, hilft doppelt, lautet eine geflügelte Redewendung. Gleicht man diese Weisheit mit der Wirklichkeit ab, möchte man zu weinen beginnen. Zumindest, wenn es um die heimische Bildungslandschaft und ihr Schulsystem geht.

Porträt Klaus Höfler
„Ein viel beschworenes Umdenken wird in Sachen Schulreform nicht reichen. Man müsste das Denken neu denken – heißt: veränderungsorientierter und umsetzungsfixierter“. Klaus Höfler, Fakt & Faktor-ChefredakteurFoto: Geist&Gegenwart | Fischer

Da wütet seit einem Jahr eine Pandemie durchs Land, leert Klassenzimmer entweder vollständig oder gruppen- und tageweise, macht aus straffen Stundenplänen unter der Chiffre „Distance Learning“ lückenhafte Ganztagesveranstaltungen, verwandelt Küchentische als Nebenwirkung des „Homeschoolings“ in Schulbänke und offenbart allerorts Versorgungsengpässe bei Lerninfrastruktur und Lehrplänen.

Tablets für alle: Hurra oder Hohn? 

Und was macht die Politik? Sie hilft. Nur eben in ihrem gut eingelernten Rahmen: nicht schnell und damit nicht doppelt, sondern verzögert und damit maximal mit halber Wirkkraft. So soll es vom Bund für SchülerInnen der fünften Schulstufe verbilligte oder gar kostenlose mobile Endgeräte wie Notebooks oder Tablets geben, und auch die AHS-LehrerInnen sollen ausgestattet werden. Die unter Landeshoheit verwalteten Mittelschulen erhalten ebenfalls Endgeräte. Kommunen kündigen parallel W-LAN-Ausbauoffensiven in Schulhäusern an. 

Klingt zunächst gut, bei genauerem Hinhören aber wie Hohn: Denn in den Mittelschulen sind es gerade einmal drei Endgeräte pro erstmals teilnehmender Klasse, die in Aussicht gestellt werden. Und der generelle Starttermin der Computerausgabe war nicht zu Schulbeginn im letzten Herbst, nachdem man bereits sechs Monate Ausnahmezustand hinter sich hatte, und auch nicht zu Beginn des Sommersemesters vor wenigen Wochen und damit ein Jahr nach dem ersten Lockdown, sondern wird sich bis zum Schuljahr 2022/23 hinausziehen. Und W-LAN für Klassen, wo mancher Talschluss noch im Sendeschatten von Mobilfunkern liegen? Eh nett!

Ewiges Echo der ReformruferInnen

Freilich alles besser als nichts, aber: Sieht so eine Digitalisierungsoffensive für das Schulsystem aus? Geht so ein zeitgemäßes Update des Unterrichts Richtung E-Learning? Entsprechend lauter werden wieder einmal die Forderungen nach einer Reform, die diesen Namen verdient – sich also nicht an den Leitplanken der Vergangenheit entlanghantelt und der Kompromissbegeisterung der Gegenwart hinterherstolpert, sondern sich an den Anforderungen der Zukunft orientiert.

Schulreformpolitik ist zu einem Ort parteitaktisch motivierter Aversion geworden, imprägniert gegenüber sachlichen Argumenten.

Es bleibt ein hehrer Wunsch, der in der inhaltlichen Tiefebene der Bildungsdebatte längst zu einem immer wiederkehrenden Echo verhallt. Eltern, PädagogInnen, WissenschafterInnen, WirtschaftsvertreterInnen: Irgendjemand ruft, drängt, wünscht und begehrt immer, wenn es darum geht, der Schulausbildung unserer Jugend einen Modernisierungsschub zu verleihen.

Zwischen Vision und Morast

Allein: Es bleibt beim Drängen und Wünschen. Denn Bildungspolitik, Schulreformpolitik vor allem, ist seit Jahren in sich selbst erstarrt. Sie ist zu einem Ort des politischen Ressentiments, der parteitaktisch motivierten Aversion geworden, weitgehend imprägniert gegenüber sachlichen Argumenten oder einer nüchternen Reflexion, die zur Orientierung beitragen könnte. 

Es verfestigt sich der Eindruck, die Politik trage den Kopf hoch im Himmel der Visionen, stehe aber mit den Füßen knöcheltief im lähmenden Morast parteipolitisch motivierter Blockadebegeisterung. Statt eine belastbare Gesamtkomposition zu kreieren, die den Weg aus der schulischen Kreidezeit ins digitale Zeitalter weist, wurde so über die Jahre ein Stückwerk produziert, geprägt von Irrwegen, Blockaden, Ratlosigkeit und Stillstand. So bleibt der Status quo des Bildungssystems vor allem eines: eine Mangelerscheinung.

Teure Mittelmäßigkeit

Es mangelt an Erneuerungsenergie, nicht aber an den negativen Folgen dieser Misere. In einem Schulsystem, das bei den Pro-Kopf-Ausgaben zu den teuersten in Europa zählt, fehlt es am Ende 20 Prozent der PflichtschulabsolventInnen an Grundfertigkeiten im Lesen, Rechnen und Schreiben. Sie sind damit nicht nur in ihrer weiteren persönlichen und schulischen Entwicklung ernsthaft gefährdet, sondern auch für den Arbeitsmarkt nicht wirklich gerüstet.

Bildung muss ein Feuer permanenter Neugier entfachen, die Welt besser verstehen zu wollen.

Für ein Land, in dem – aus Mangel an Größe und Rohstoffen – Bildung und Wissen die Basis der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sind, bleibt eine derart aufwendig finanzierte Mittelmäßigkeit besorgniserregend.

Keine Angst vor Technik

Was es braucht? Ein viel beschworenes Umdenken wird nicht reichen, weil das zu oft im Bestehenden ankert. Man müsste das Denken neu denken – heißt: veränderungsorientierter und umsetzungsfixierter. Es braucht mehr als flächendeckend und spät in den Klassen verteilte Laptops. Es erfordert Lehrkräfte, die nicht Angst haben vor der Technik, sondern die Kinder dafür begeistern. Es bedarf interaktiver Lernnetzwerke, in denen nicht nur Tafel und Kreide durch Beamer und PowerPoint ersetzt werden und durch PDF-Versionen von Schulbüchern geblättert wird, sondern Videos und Podcasts produziert werden. 

Es darf nicht sein, dass Bildung das ist, was übrigbleibt, wenn alles Gelernte vergessen ist. Stattdessen muss sie ein Feuer permanenter Neugier entfachen, die Welt besser zu verstehen zu wollen; eine ständige Lust am Vertiefen, Vernetzen, Erleben und Erforschen auslösen. Ein dieserart gelebtes Bildungsverständnis steht prototypisch für die Erneuerungsfähigkeit eines Landes. Es ist der Nährstoff seiner Zukunft. 

Credits Artikelbild: adobe stock | Gorodenkoff
Lichtblick

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