Die EU strebt ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten in Südamerika an. In Europa gibt es aber Widerstand – auch aus Österreich. Zum Ärger der heimischen Wirtschaft.
Altes Thema, neues Ziel: Noch in diesem Jahr wollen sich die EU und die südamerikanische Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur auf einen gemeinsamen Handelsvertrag einigen. Es wäre das Schlusskapitel einer jahrelangen Geschichte – in der auch Österreich eine auffallende Rolle spielt.
Bereits 1995 wurden die Verhandlungen gestartet, 1999 ein Rahmenabkommen beschlossen. Es dauerte aber bis Sommer 2019, bis von der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay eine politische Grundsatzeinigung verkündet werden konnte. Bis zu einem endgültigen und umfassenden Abschluss kam es jedoch nicht. Gründe waren innenpolitische Verschiebungen in Brasilien – der rechtsnationale, das Abkommen ablehnende Jair Bolsonaro kam an die Macht – und anhaltender Widerstand in Europa.
Mercosur als Hoffnungsmarkt
Vier Jahre später ist die geopolitische Lage ein andere. Die Coronakrise und zuletzt der Ukrainekrieg haben die Schwachstellen einseitiger Lieferketten aufgezeigt beziehungsweise die Abhängigkeit von Autokratien wie China oder Russland spürbar werden lassen. Die EU drängt daher auf eine nachhaltige Intensivierung ihrer Handelspolitik Richtung Südamerika. Dazu kommt die Rückkehr des sich gesprächsbereiter zeigenden linksliberalen Präsidenten Luis Inácio da Silva in Brasilien.
ZAHLEN
- 1.400 österreichische Unternehmen sind im Mercosur-Raum aktiv.
- 1,34 Milliarden Euro betrug das Exportvolumen Österreichs zuletzt – ein Plus um 44 Prozent gegenüber 2021.
- 690 Millionen Euro „schwer“ waren die Importe aus Mercosur-Staaten nach Österreich im vergangenen Jahr – ein Zuwachs um 44 Prozent gegenüber 2021.
- 32.000 Arbeitsplätze in Österreich sind hochgerechnet durch die Handelsbeziehungen mit Mercosur-Raum abgesichert.
- 4 Milliarden Euro an Zöllen pro Jahr würden sich österreichische und europäische Unternehmen durch das Abkommen pro Jahr ersparen.
Allerdings blieben mehrere EU-Staaten, darunter die politischen Vertreter:innen aus Frankreich, den Niederlanden und Österreich, auf der Bremse. So stimmte in Österreich der EU-Unterausschuss im Nationalrat mehrheitlich gegen das Abkommen. Damit wird die österreichische Regierung zu einem Nein auf EU-Ebene verpflichtet – das Veto steht auch im aktuellen Regierungsprogramm. In weiterer Folge wird dem Pakt damit in Brüssel ein Riegel vorgeschoben, denn Entscheidungen im EU-Rat müssen einstimmig erfolgen.
Entwarnung vor Billigimporten
Bei Wirtschaftsvertreter:innen sorgt diese Haltung für Ärger: „Österreich ist in Bezug auf das Abkommen in seiner undifferenzierten Blockadehaltung innerhalb der Europäischen Union zunehmend isoliert“, kritisiert beispielsweise Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung.
Die Argumente vor allem aus der Landwirtschaft, europäische Landwirt:innen würden in einen Preiskampf gegen Billigimporteure gezwungen werden, lässt Knill nicht gelten. Das Rindfleisch, für das reduzierter Zoll möglich sein soll, stelle nur etwa ein Prozent des europäischen Rindfleischkonsums dar. Die Staaten der EU können darüber hinaus eigenständig über Produktzulassungen auf den jeweiligen Märkten entscheiden und so weiterhin auf hohe Standards achten.
Bekenntnis zum Klimaschutz
Parallel warnen vor allem Umweltschutzorganisationen, mit dem Abkommen werde die Regenwaldzerstörung in Südamerika vorangetrieben. „Dem Klima würde es schaden, das Abkommen nicht abzuschließen“, hält man seitens der Wirtschaft dagegen. Im EU-Mercosur-Abkommen verpflichten sich die Partner demnach, die Vorgaben des Pariser Klimaübereinkommens umzusetzen. Das beinhaltet die Zusicherung Brasiliens, seine CO2-Emmissionen bis 2025 um 37 Prozent (im Vergleich zu 2005) zu senken. Auch arbeitsrechtliche Vorgaben gegen Sozialdumping sind in dem Abkommen festgeschrieben.
Für die EU bietet sich durch das Abkommen damit die Chance, ihre Standards und Werte zu exportieren, argumentieren Fürsprecher:innen. Ein zuletzt von der EU vorgeschlagenes Zusatzprotokoll zum Schutz von Klima, Umwelt und Menschenrechten hat in den Mercosur-Staaten allerdings für Irritation gesorgt. Für die EU bleibt das Abkommen und sich in diesem Raum zu engagieren wirtschaftspolitisch jedenfalls eine strategisch wichtige Entscheidung – nicht zuletzt, um den Einfluss und das Ausbreiten Chinas zu bremsen.
91 Prozent weniger Zölle
Der Mercosur-Raum gilt zusammengerechnet als zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ein Abkommen mit der EU wäre nicht nur für die Mercosur-Staaten das überhaupt erste mit einem internationalen Handelspartner, sondern würde auch einen der größten Freihandelsräume weltweit bilden. So sieht das Abkommen unter anderem den Abbau von 91 Prozent der Zölle für europäische Exporte nach Mercosur vor. Zudem würde es einen besseren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in Südamerika bringen.
Für die heimische Wirtschaft, die aktuell zu 75 Prozent Maschinen, verarbeitete Produkte und chemische Erzeugnisse nach Südamerika exportiert, hätte das Abkommen damit enormes Wachstumspotenzial. Eine Studie der London School of Economics aus dem Jahr 2020 zeigt, dass die Exporte dieser klassischen Industriegüter mit dem Abkommen stark wachsen könnten.
GUT ZU WISSEN
- „Mercosur“ bedeutet „Markt des Südens“ und umfasst die Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay.
- Ziel des Abkommens ist es, Zölle und andere Handelshemmnisse abzubauen und damit in beiden Märkten Wirtschaftswachstum, Arbeitsplatzsicherheit und Wohlstand zu steigern.
- Einer der Eckpfeiler des Abkommens ist die Verpflichtung zum Pariser Klimaschutzabkommen sowie das Bekenntnis zu hohen Standards im Bereich des Arbeitnehmer- und Umweltschutzes.