Brexit Big Ben

100 Tage Brexit, Teil 2: Wie es jetzt weitergeht

Die EU und das Vereinigte Königreich gehen seit Jahresbeginn getrennte Wege. Aber wie ist das Ausscheiden der Briten aus der EU geregelt? Welche neuen Spielregeln gelten 100 Tage nach dem „Brexit“?

Der „Brexit“ und seine Folgen sind nicht die einzige Baustelle, die die Europäische Union in Sachen Handelsabkommen dieser Tage beschäftigt. Mit China wurde erst Ende vergangenen Jahres ein neues Investitionsabkommen beschlossen. Mit den USA sucht man nach dem Wechsel von Donald Trump auf Joe Biden auf beiden Seiten des Atlantiks wieder den Weg in Richtung einer
Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen.
Aber unbestritten bleibt die Neuordnung der Beziehungen zum Vereinigten Königreich eine der
Hauptaufgaben der Europäischen Union in den kommenden Monaten. Denn die mit dem Handels- und Kooperationsabkommen einhergehenden neuen Regeln in den Beziehungen hat es in dieser Form bisher nicht gegeben. Sie haben Konsequenzen. Welche zeigen wir hier:

1) Sind die Verhandlungen zum Brexit schon abgeschlossen?

Im Großen und Ganzen sind die Verhandlungen abgeschlossen. Es gibt vor allem noch
Implementierungsfragen zu klären und Feinabstimmungen vorzunehmen. So wurden die Verhandlungen zu den Finanzdienstleistungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich aus dem Umfang des Abkommens ausgeklammert. Eine Absichtserklärung hinsichtlich der zukünftigen Kooperation wird derzeit zwischen den Verhandlungsparteien finalisiert.

Brexit pro contra
Nach Kampagnen, Abstimmung und Abkommen beginnt jetzt die Feinjustierung der Details in Sachen“Brexit“. Noch laufen für viele Bereiche Übergangsfristen.Foto: adobe stock | Electric Egg Ltd.

2) Gibt es Übergangsfristen?

Ja. Um die Unternehmen und KonsumentInnen auf beiden Seiten des Kanals nicht zu überrumpeln, wurden in manchen Bereichen Übergangsfristen gewährt. Diese enden im Laufe des Jahres, womit weitere Schwierigkeiten entstehen können.

3) Was passiert, wenn es keine Einigungen gibt?

Um weitere Unstimmigkeiten zu klären, die nach dem Abschluss der Verhandlungen aufkommen,
wurde ein Partnerschaftsrat als gemeinsames Gremium geschaffen, das sich mit Fragen im
Zusammenhang mit der Umsetzung, Anwendung und Auslegung des Abkommens befassen soll.
Zusätzlich wurde ein Streitbeilegungs- und Durchsetzungsmechanismus eingeführt, um bei
Streitigkeiten in allen Wirtschaftsbereichen eine Lösung herbeizuführen, wenn eine einvernehmliche Konfliktlösung nicht mehr möglich ist.

4) Wir geht es im Streitfall Nordirland weiter?

Um Frieden und Stabilität zu wahren und um Grenzkontrollen und gewaltsame Zusammenstöße auf der irischen Insel zu vermeiden, wurde mit dem Austrittsabkommen das Nordirland-Protokoll unterzeichnet. Das Vereinigte Königreich lässt dieses Protokoll aber weitgehend unbeachtet und verstößt damit nicht nur gegen Völkerrecht, sondern riskiert ein Wiederaufflammen der Unruhen auf der irischen Insel. Daher hat die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich eingeleitet.

Brexit London Tower Bridge
Neue Hürden statt offener Grenzen. Die Brückenfunktion der EU als Rahmen für freien Waren- und Personenverkehr gibt es nach dem „Brexit“ nicht mehr.Foto: adobe stock | kasto

5) Was bedeutet der „Brexit“ für den Warenverkehr?

Ursprungsregeln sind wesentlicher Bestandteil jeder Freihandelszone. Sie bestimmen die
„wirtschaftliche Staatszugehörigkeit“ von Waren, die unter Verwendung von Bauteilen oder
Materialien produziert wurden, die in mehr als einem Land hergestellt wurden. Für präferenziellen Warenverkehr ist eine Registrierung als Registrierter Ausführer (REX) erforderlich und eine Ursprungserklärung für den Nachweis der Präferenzursprungseigenschaft. Wurden Waren, die aus der EU in das Vereinigte Königreich verkauft werden, nicht innerhalb der EU produziert, gelten die normalen EU-Zollsätze für Drittstaaten.

6) Wie geht es mit dem freien Personenverkehr weiter?

Im Handels- und Kooperationsabkommen sind drei Kategorien von geschäftlichen Aufenthalten
vorgesehen: Die Einreise von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich für kurzfristige Geschäftsreisen ist ohne Genehmigungen möglich, solang die zulässige Aufenthaltsdauer von bis zu 90 Tagen innerhalb von sechs Monaten nicht überschritten wird. Auch freiberufliche Tätigkeiten und vertragliche Dienstleistungen, wie zum Beispiel das Warten und Instandhalten von Maschinen ist nur mehr unter sehr begrenzten Voraussetzungen für bestimmte Bereiche möglich. Britische StaatsbürgerInnen, die sich aus beliebigen Gründen (z. B. Arbeit, Forschung, Studium, Ausbildung) für einen Zeitraum von mehr als 90 Tagen in einem EU-Mitgliedstaat aufhalten wollen, müssen sich dafür an die im EU-Recht und in den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen halten. Einfacher wird es also nicht.

GUT ZU WISSEN

  • Mit 1. Jänner 2021 trat ein Handels- und Kooperationsabkommen in Kraft, das die neuen
  • Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union regelt.
  • Den eigentlichen „Brexit“ gab es bereits am 30. Jänner 2020. Vorausgegangen war der Einigung über das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU eine Serie politischer Krisen samt Abstimmungen und Neuwahlen in Großbritannien.
  • Die Verhandlungen über das Folgeabkommen fanden während der 11-monatigen Übergangsphase von Februar bis Dezember 2020 statt und konnten nach hartem Ringen am 24. Dezember 2020 abgeschlossen werden.
  • Die EU und das Vereinigte Königreich sind nun getrennte Regulierungs- und Rechtsräume. Das heißt, alle aus der EU nach UK exportierten Waren müssen den technischen Vorschriften des Vereinigten Königreichs entsprechen. Bisher gültige Standardisierungen und Produktanforderungen galten für den gesamten EU-Binnenmarkt. Zukünftigen können und werden diese von europäischen Vorschriften abweichen.

Hier geht’s zu Teil 1 der Brexit-Zwischenbilanz: Wer sind die GewinnerInnen? Wer die VerliererInnen?

Credits Artikelbild: adobe stock | Ioan Panaite

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