Ein revolutionäres pädagogisches Konzept soll den Mangel an IT-Fachkräften lindern. Ab Herbst können Über-18-Jährige auch in Wien spielerisch Programmieren lernen.
Im Vergleich zum Campus 42 wirken die Klassenzimmer, wie wir sie kennen, wie Relikte in einem Heimatmuseum. Denn das pädagogische Konzept der internationalen Programmierschule École 42 kennt weder Schwamm noch Tafel, keine Lehrkräfte und auch keinen Unterricht. Dennoch – oder gerade deswegen – bringt sie Top-Softwareentwickler und -entwicklerinnen hervor und belegt im Ranking von „World’s Universities with Real Impact“ in der Kategorie „Ethische Werte“ den ersten Platz. Unter allen Universitäten landete die École 42 im vergangenen Jahr auf Platz 10 – knapp nach Harvard und noch vor den Universitäten Oxford und Cambridge.
Campus 42 an 42 Standorten
Ihren Namen verdankt die Schule Douglas Adams’ Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“, in dem die Zahl 42 die von einem Supercomputer errechnete Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ ist. Für den französischen Milliardär Xavier Niel, der die École 42 im Jahr 2013 gründete, ist sie die Antwort auf den Fachkräftemangel im IT-Bereich. Mittlerweile hat das globale Netzwerk Standorte in 25 Ländern und expandiert nun auch nach Österreich. Der 42. Campus 42 wird im Herbst in Wien Döbling eröffnet, ein weiterer ist für 2025 in Amstetten in Niederösterreich geplant.
Wer schwimmt, gewinnt
Bewerben können sich alle über 18, die das gewisse Etwas mitbringen. Gemeint sind damit nicht etwa Vorwissen, Matura oder das nötige Kleingeld, denn die Ausbildung ist für Studierende kostenlos und wird von zahlreichen Unternehmen finanziert, sondern ausschließlich Talent. Ob dieses ausreicht, wird mithilfe eines Selektionsverfahrens ermittelt. So wartet auf jene AnwärterInnen, die den Onlinetest bestehen, ein vierwöchiges Intensivtraining, das den Namen Piscine, französisch für Schwimmbad, trägt. Und tatsächlich werden die KandidatInnen quasi ins „kalte Wasser geworfen“ und müssen vom ersten Tag an Aufgaben mittels Coding lösen. Dabei werden unter anderem ihre Ausdauer, Hilfsbereitschaft, Führungsqualitäten oder Frustrationsbewältigung getestet. Wer es schafft, nicht unterzugehen, qualifiziert sich für ein Grundstudium mit zwei Unternehmenspraktika, Gastsemestern an den internationalen Standorten und Spezialisierungsmöglichkeiten in Bereichen wie Künstlicher Intelligenz, Internet of Things oder Mobile-App-Entwicklung.
Wir wollen gezielt Frauen für diesen Beruf begeistern und ihnen einen einfachen Zugang zu den Jobs der Zukunft bieten.
Geschäftsführerin Rosemarie Pichler
Lernen für Berufe, die es noch nicht gibt
Aber wie funktioniert Schule ohne Lehrkräfte und Wissensvermittlung ohne Unterricht? Die internationale Coding-Schulebeschreitet hier ganz neue Wege.„Als ich die École 42 in Paris im Dezember 2019 entdeckte, hatte ich ein Aha-Erlebnis“, sagt 42-Vienna-Geschäftsführer Grégoire Besnier. So sei das Bildungsmodell „dreiteilig wie ein Wiener Walzer: projektbasiertes Lernen, Peer-Evaluation und Gamification. Studierende erwerben schon jetzt die Fähigkeiten für die digitalen Berufe der Zukunft, die heute noch gar nicht existieren“, zeigt er sich begeistert.
Peer-to-Peer und Gamification statt Frontalunterricht
Herzstück der Schule ist die Peer-to-Peer-Lernmethode, die ohne Lehrbücher und Lehrkräfte auskommt. Stattdessen dreht sich bei diesem Lernansatz alles um teamorientiertes und projektbasiertes Lernen. Die Studierenden tauschen sich untereinander aus und bewerten auch die Ergebnisse der jeweils anderen. Dadurch werden kritisches Denken, Team- und Problemlösungsfähigkeit gefördert. Sollte Hilfe nötig sein, steht den Studierenden ein pädagogisches Team zur Seite.
Durch Teamarbeit ins nächste Level
Das Curriculum besteht aus unterschiedlichen Modulen. Nach jedem abgeschlossenen Projekt erhält man „Experience Points“, mit denen man das nächste Level freischalten kann. Um die Aufgaben lösen zu können, muss man sich jedoch mit anderen zusammentun. Im Alleingang geht es nicht. Grundsätzlich ist die Ausbildung auf drei Jahre ausgelegt. Letztendlich liegt es aber an jedem/jeder selbst, wie lange er oder sie braucht. Die Schnellsten sind schon nach 1,5 Jahren fertig. Andere brauchen hingegen fünf Jahre oder werden abgeworben, noch bevor sie das Studium abschließen können.
Mehr Frauen ins Spiel bringen
Ein besonderes Anliegen ist den GeschäftsführerInnen die Förderung von Frauen im IT-Sektor. Ziel ist es daher, einen Frauenanteil von 50 Prozent unter den Studierenden in Österreich zu erreichen. „Die Digitalisierung durchbricht die gläserne Decke auf dem Arbeitsmarkt. Wir wollen gezielt Frauen für diesen Beruf begeistern und ihnen einen einfachen Zugang zu den Jobs der Zukunft bieten“, sagt Geschäftsführerin Rosemarie Pichler.
Ab Herbst stehen in Wien 150 Studienplätze zur Verfügung. In den nächsten drei Jahren soll diese Zahl auf insgesamt 450 Studierende pro Jahrgang ausgeweitet werden. Ab 2025 sind rund 150 Plätze in Amstetten geplant.
Gut zu wissen:
Wer möchte, kann sich noch bis 19. August 2022 für die 42 Vienna bewerben und sich so vielleicht den Start in eine vielversprechende berufliche Zukunft sichern.