Acodemy

„Jedes Kind kann programmieren lernen“

Anna Relle und Elisabeth Weißenböck trennen 20 Jahre, aber sie verbindet der Wunsch, Kindern programmieren beizubringen. Vor vier Jahren gründeten sie die Acodemy, die erste Programmierschule für Kinder in Österreich. Wir haben die beiden online getroffen.

Zwischen Vision und Realität liegen in ihrem Fall nur vier Monate. Kürzer als ein Schulsemester. Als die Managerin Anna Relle und die Informatikerin Elisabeth Weißenböck einander im April 2016 auf einer Konferenz kennenlernten, erkannten sie rasch, dass sie den gleichen Traum hatten: Beide wollten eine Programmierschule für Kinder und Jugendliche gründen. Im August standen sie bereits in Schulklassen und boten kostenlose Workshops an. Heute ist ihre Acodemy die führende Programmierschule im deutschsprachigen Raum. Wir haben die beiden Gründerinnen zum Online-Interview gebeten und mit ihnen über programmierende Mädchen, die Corona-Krise und Schulen ohne Internet gesprochen.

Die wohl wichtigste Frage gleich vorweg: Kann und soll jedes Kind programmieren lernen?

Elisabeth Weißenböck: Ja! Wir sagen immer, es geht nicht darum, dass jedes Kind später Programmierer oder Programmiererin werden muss, aber jeder Mensch braucht gewisse Grundfähigkeiten, wie z. B. analytisches Denken oder Problemlösungskompetenz. Das sind alles Dinge, die man beim Programmieren lernt. Außerdem verwenden wir heutzutage so viele Geräte, die kein Mensch versteht, wie Navigationsgeräte, Alexa & Co. oder z. B. eine App zum Scannen von Muttermalen. Und da wird in Zukunft noch einiges auf uns zukommen. Deshalb brauchen wir ein gewisses Grundverständnis für die Informatik, denn sie wird in so vielen Bereichen immer wichtiger.

Anfangs hat der Anteil der Mädchen 10 bis 15 % betragen, jetzt sind wir bei 20 %. Noch immer zu wenig, aber es wird langsam.

Anna Relle, Gründerin von Acodemy

Anna Relle: Worauf man besonders achten muss, wenn man Kindern das Programmieren beibringen möchte, ist wie man die Sache angeht. Eines unserer Hauptanliegen ist daher, dass es den Kindern Spaß machen muss. Und wenn es ihnen Spaß macht, kann auch wirklich jedes Kind programmieren lernen.

Wie viele Ihrer KursteilnehmerInnen sind weiblich?

Anna Relle: Insgesamt haben bis jetzt ca. 5.000 Kinder an einem unserer wöchentlichen Kurse, Feriencamps oder Tagesworkshops teilgenommen. Anfangs hat der Anteil der Mädchen 10 bis 15 % betragen, jetzt sind wir bei 20 %. Noch immer zu wenig, aber es wird langsam. Ein schönes Beispiel ist da unsere Helena. Helena hat vor drei Jahren bei uns angefangen, und gerade erst haben wir von ihrer Mutter erfahren, dass sie dieses Semester am TGM (Schule der Technik) begonnen hat.

Elisabeth Weißenböck: Ich glaube, die größte Hemmschwelle ist, sich einfach zu trauen und es auszuprobieren. Das Tolle bei den Programmiersprachen, die wir verwenden, ist ja, dass man alle Gestaltungsfreiheiten hat und jeder sich sein Lieblingsthema aussuchen kann, angefangen vom Ritter mit seinem Drachen bis hin zum Einhorn. Wenn ich eine App programmieren möchte und mich z. B. für Mode interessiere, kann ich auch eine Mode-App entwickeln. Die Programmierung ist Mittel zum Zweck, um meine Ideen zu verwirklichen.

Trauen sich Mädchen, wenn es ums Programmieren geht, gleich viel zu wie Buben?

Anna Relle: Es passiert schon, und das tut manchmal so richtig weh, dass dich ein kleines Mädchen mit großen Augen anschaut und sagt: „Das kann ich nicht.“ Noch bevor sie es überhaupt probiert hat. Da wissen wir aber, dass es nicht ums Programmieren geht, sondern um die grundsätzliche Einstellung des Mädchens. Es ist dann die Aufgabe unserer Trainer und vor allem Trainerinnen, als Vorbild zu agieren und zu sagen: „Schau her, ich bin eine Frau, und zwar eine ganz normale, und ich kann programmieren.“

acodemy
Weißenböck sagt: „Das Tolle bei den Programmiersprachen, die wir verwenden, ist ja, dass man alle Gestaltungsfreiheiten hat und jeder sich sein Lieblingsthema aussuchen kann, angefangen vom Ritter mit seinem Drachen bis hin zum Einhorn.“Foto: Acodemy

Als im März die Schulen wegen der Corona-Pandemie zum ersten Mal geschlossen wurden, musste auch die Acodemy zusperren. Wie haben Sie auf die Krise reagiert?

Elisabeth Weißenböck: Wir haben unsere Semesterkurse innerhalb von einer Woche auf online umgestellt. Uns war wichtig, eine schnelle Lösung zu finden. Viele Eltern haben sehr positiv darauf reagiert und gemeint, dass wir es den Kindern ermöglicht haben, einen Fixpunkt in der Woche zu haben, der nicht, wie viele andere, weggefallen ist.

Anna Relle: Das war zu einer Zeit, als die Kinder sehr durcheinander waren. Auf einmal waren die Schulen geschlossen und sie durften ihre Freunde nicht treffen. Wir hatten das Gefühl, dass wir den Kindern in dieser Zeit ein Stück Normalität bieten konnten.

Ist das Interesse, Kinder an Technik heranzuführen, seit Corona größer?

Anna Relle: Es ist nicht so, dass wir fünfmal mehr Anmeldungen haben, dafür sind die Zeiten zu unsicher. Aber wir spüren mehr Interesse und haben viele Kontaktaufnahmen, sowohl von interessierten Eltern als auch von Unternehmen, die wollen, dass wir für die Kinder ihrer MitarbeiterInnen im kommenden Sommer Feriencamps veranstalten.

Sie arbeiten auch mit Schulen zusammen. Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Digitalisierung an den Schulen?

Elisabeth Weißenböck: Wir sind vorrangig in Volksschulen. Und an den Volksschulen ist es so, dass man die Schulen, die Computerräume haben, an einer Hand abzählen kann. Ganz oft kommt es sogar vor, dass es im ganzen Schulgebäude kein Internet gibt. Da fehlt einfach die Infrastruktur. Der zweite Punkt ist, dass viele Lehrerinnen und Lehrer Berührungsängste haben. Man muss es gesehen und ausprobiert haben, damit man sich selbst drübertraut. Deshalb halten wir auch viele Schulworkshops bei uns ab. Da kommt die ganze Schulklasse mit Lehrerinnen und Lehrern zu uns – zumindest war es in der Vor-Corona-Zeit so –, damit sie sehen, wie einfach es eigentlich ist, wie viel Spaß die Kinder haben und wie viel sie nebenbei mitlernen. Beim Programmieren brauche ich z. B. Dinge wie Mathematik, sonst komme ich nicht weiter. Wir versuchen dahingehend Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber das braucht Zeit und geht nicht von heute auf morgen. Einfach nur Geräte in die Schulen zu stellen, damit ist es nicht getan.

Credits Artikelbild: Stefan Fürtbauer

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