Aichhorn Interview

Aichhorn: Strengere Vorgaben für volles Karenzgeld

Julia Aichhorn, Vorsitzende der Jungen Industrie, über Gewinnverzicht von Unternehmen, Klimakleber und warum es eine Frauenquote braucht. In Sachen Kinderbetreuung fordert sie strengere Regeln für die Väterkarenz.

Ein Alltag zwischen Kindergarten, Hochdruckpumpen, Verdampfungsanlagen und Holzernte: Julia Aichhorn (37) kennt den Spagat zwischen Familie und Karriere. Die zweifache Mutter ist Geschäftsführerin der Dr. Aichhorn Group, einer Unternehmensgruppe mit über 400 Mitarbeitern mit Hauptsitz im obersteirischen Kapfenberg. Seit Februar ist sie zudem Vorsitzende der Jungen Industrie. Im Fakt&Faktor-Interview erklärt Aichhorn unter anderem, warum sie gegen eine 32-Stunden-Woche und für ein Aufbrechen alter Denkmuster im Bildungsbereich ist.

Aktuell taucht immer wieder die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche auf. Wie begegnet man Gleichaltrigen, die mit Verweis auf die Work-Life-Balance sagen, sie wollen weniger arbeiten?

Julia Aichhorn: Ich würde sie ganz pragmatisch fragen, wie das im Gesamtkonzept aussehen soll? Wenn ich weniger arbeite, gibt es auch weniger Beiträge in die Pensionskasse, Sozialversicherung usw.. Soll das System dann auch entsprechend weniger Leistung zur Verfügung stellen für jene, die weniger arbeiten – was gesellschaftlich gerecht wäre?  Wenn dem nicht so sein soll – was ich annehme, weil wer will schon darauf verzichten – , wer soll dieses Delta denn dann bezahlen? Dann wird aus der einen oder anderen Ecke die Antwort kommen: die Unternehmen. Das hieße aber, dass wir unsere Produkte teurer machen müssen.

Oder auf Gewinne verzichten.

Aichhorn: Wie viel Gewinn machen denn die Unternehmen tatsächlich? Wenn man sich umhört, ist das derzeit eher ein harter Markt: Wir haben die höchsten Lohnkosten, müssen aber weltweit im Wettbewerb mithalten. Außerdem investieren Unternehmen große Teile ihrer Gewinne in die Forschung und Entwicklung, in Weiterentwicklung und Effizienzsteigerung und neue Produkte, damit sie auch in Zukunft noch am Markt bestehen können. Das wird in der aufgeheizten Diskussion gerne vergessen. In der Steiermark kommen beispielsweise 75 Prozent der F&E-Quote aus den Unternehmen. Die Rechnung „weniger leisten und mehr haben wollen“ geht sich einfach nicht aus.

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Julia Aichhorn, Vorsitzende der Jungen Industrie, zur Debatte um eine 32-Stunden-Woche: „Die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist unsolidarisch und ein massiver Angriff auf unser Sozialsystem, unseren Wohlfahrtsstaat und die Zukunft unserer Kinder.“Foto: IV | Kanizaj

Ein Gegenargument ist, dass man nicht ständig wachsen muss. Dass ja reicht, was wir haben.

Aichhorn: Dann würde ich empfehlen, einen Grundkurs in Volkswirtschaft zu besuchen. Dieses „Hier-und-jetzt“-Denken ist nämlich sehr egoistisch und nicht in die Zukunft gedacht. Denn wer nicht wächst, entwickelt sich nicht weiter. Und wer sich nicht weiterentwickelt, wird überholt – und verliert endgültig an Wohlstand. Wohlstandsverluste destabilisieren wiederum eine Gesellschaft. Die soziale Sicherheit und Grundversorgung – auch für jene, die weniger oder nichts einzahlen – sind dann in Gefahr. Die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist daher unsolidarisch und ein massiver Angriff auf unser Sozialsystem, unseren Wohlfahrtsstaat und die Zukunft unserer Kinder.

„Wir haben einen aufgeblasenen Verwaltungsapparat“

Apropos Kinder: Sie fordern das Schließen von Lücken im Betreuungsangebot. Was läuft da schief?

Aichhorn: Es geht nicht nur um Kinderbetreuungsplätze. Das Thema ist viel größer und geht viel tiefer. Ausreichend Betreuungseinrichtungen wären aber eine erste Investition in die Bildung von Kindern. Deshalb braucht es ein Angebot mit genügend Plätzen und passenden Öffnungszeiten. Es hilft ja nichts, wenn ich als Elternteil arbeiten will, aber nicht kann, weil ich mein Kind in der Zeit nicht betreut weiß.

Meist scheitert es am notwendigen Geld.

Aichhorn: Das Geld wäre ja vorhanden, man müsste es nur zielgerichteter einsetzen. Wir haben einerseits einen aufgeblasenen und ineffizienten Verwaltungsapparat und andererseits haben wir enorme Ausgabenposten, wie beispielsweise das Pensionssystem, welche wir neu denken müssen.

Sollte man Unternehmen fördern, die die Väterkarenz bei sich pushen?

Aichhorn: Nein. Da gäbe es einen viel einfacheren Hebel – nämlich das Karenzmodell so festzuschreiben, dass Männer und Frauen die Betreuungspflichten im gleichen Ausmaß wahrnehmen müssen.

Müssen?

Aichhorn: Ja, wie in skandinavischen Ländern, wo das ganz selbstverständlich ist, dass man das volle staatliche Karenzgeld nur bekommt, wenn beide Elternteile zu gleichen Teilen in Karenz gehen. Das wäre richtig und wichtig! Denn so macht es für den Arbeitgeber keinen Unterschied mehr, ob er einen Mann oder eine Frau einstellt, weil das „Risiko“, dass ein Mitarbeiter in Karenz geht, damit unabhängig vom Geschlecht ist. Für die Frauen wäre das eine Riesenchance, wieder früher in Vollzeit zurück kommen zu können.

„Volles staatliches Karenzgeld nur, wenn beide Elternteile zu gleichen Teilen in Karenz gehen: Das wäre richtig und wichtig.“

Julia Aichhorn

Sind Sie für eine Quotenregelung?

Aichhorn: Solange wie notwendig und so kurz wie möglich – aber ja. Wenn man sich anschaut, dass es in den Aufsichtsräten einen Frauenanteil zwischen 20 und 25 Prozent gibt und wir auf Geschäftsführerebene bei zehn Prozent liegen, zeigt das, dass man sie braucht. Denn trotz Selbstverpflichtung, dass es einen höheren Anteil geben sollte, bewegt sich eigentlich gar nichts.

Warum nicht? Was fehlt?

Aichhorn: Das Wichtigste ist, dass ein gesamtgesellschaftliches Mindset herrscht, dass Frauen auch Karriere machen und Führung können. Dass auch Mütter arbeiten können, ohne deshalb eine Rabenmutter zu sein. Dieses Selbstverständnis fehlt leider, was ein großes Problem ist. Das Damoklesschwert im Arbeitsalltag ist noch immer, dass eine junge Frau Mutter werden könnte.

„Man denkt noch in den Grenzen von vor 200 Jahren“

Sie fordern auch mehr Ganztagsschulen. Derzeit sind diese Schulmodelle sehr stark in der Hand von privaten Anbietern …

Aichhorn: … und damit sozial differenzierend. Denn gerade für soziale Schichten, in denen Frauen verstärkt für ein ausreichendes Familieneinkommen arbeiten müssen, wird ein Zugang aufgrund von Zusatzkosten damit erschwert. Ist das fair? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in einem der reichsten Länder der Welt an einer allgemein zugänglichen Infrastruktur hapern kann. Das wäre beschämend. Ein flächendeckendes Ganztagsschulangebot würde auch den Betreuungsbedarf übersichtlicher machen: Jeder weiß dann, wie lange Eltern arbeiten können – und es ändert sich auch nicht von Tag zu Tag je nach Stundenplan der Kinder. Außerdem hätten die Kinder die Hausaufgaben bereits erledigt, betreut von denen, die dafür ausgebildet sind und nicht von teilweise überfordernden Eltern.

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Die Vorsitzende der Jungen Industrie fordert ein Aufbrechen des alten Denkens im Bildungsbereich und kann sich ein Pflichtpraktikum in Unternehmen für angehende Lehrer:innen vorstellen.Foto: IV | Kanizaj

Das würde aber unter anderem eine umfassende Reform von Lehrplänen verlangen.

Aichhorn: Natürlich gibt es da dann Bedarf für Adaptionen. Es wäre ohnehin höchste Zeit, dass man die Lehrpläne an die Anforderungen der Gegenwart und Zukunft anpasst. Da könnte man Themen dann im Gesamtjahresrhythmus sehen. Man denkt noch viel zu sehr in den Grenzen und dem Rahmen von vor 200 Jahren. Um das aufzubrechen, braucht es aber viel Mut. Weil der jedoch fehlt, muss man unter anderem in Österreich schon mit 14 Jahren eine lebensentscheidende Wahl treffen, wohin der berufliche Weg einmal führen soll. Das ist meiner Meinung nach zu früh. Da entscheiden natürlich die Eltern mit. Da es sich um eine lebensprägende Entscheidung handelt, sollten sie die treffen, die sie auch betrifft.

Pflichtpraktikum in Unternehmen als Teil der Lehrer:innenausbildung

Was wäre Ihr Vorschlag?

Aichhorn: Ein Modell, das langsam aber leider viel zu spät einen Aufwind verspürt, ist Lehre mit Matura. Da hat man das Beste aus beiden Welten und die Entscheidung, was man konkret machen will, wird erst viel später getroffen, wenn man schon reifer ist. Von der Politik ist jahrelang propagiert worden, studieren zu gehen, damit man dann mehr wert ist. Das ist in den Köpfen der Menschen drinnen, auch wenn es ein Blödsinn ist. Man müsste der Lehre mehr Wertigkeit geben, denn mehr Wertigkeit bedeutet auch mehr Akzeptanz. Es ist wie bei allen Themen eben eine Frage des Wissensstandes. Da braucht es früher Aufklärungsarbeit an Schulen, was alles möglich ist, beispielsweise durch Praxisbesuche in Unternehmen.

Sollten Lehrer neben ihrer didaktischen Ausbildung auch einen Monat verpflichtend in einem Unternehmen als eine Art „Praktikant“ mitarbeiten, um so Ihr Verständnis von unternehmerischem Alltag zu verbessern?

Aichhorn: Als Teil der Lehrerausbildung würde ich darin eine gute Investition halten. Es gibt ja umgekehrt das Projekt „Teach for Austria“, bei dem Unternehmer in die Schulen gehen, um zu unterrichten. Das halte ich grundsätzlich für richtig, weil es ein unglaublicher Mehrwert für das Bildungssystem ist, wenn Leute aus der Praxis berichten können.

Klimakleber Klima-Protest
Aichhorn Richtung Klimakleber-Protesten: „Mit der Wahl der Mittel erweist man dem Anliegen einen Bärendienst.“Foto: adobe stock | Kara

Appell an die „Letzte Generation“

Haben Sie eigentlich Verständnis für die Anliegen der Klimakleber:innen?

Aichhorn: Grundsätzlich ist es schon wichtig und richtig, dass man auf den Klimawandel aufmerksam macht. Auch weil es bei dem einen oder der anderen vielleicht sonst länger gedauert hätte, bis der Klimawandel als Realität wahrgenommen worden wäre. Aber die Mittel, die gewählt werden, führen nicht unbedingt zu einer höheren Akzeptanz. Wenn man sich in der Bevölkerung umhört, passiert eigentlich das Gegenteil. Da erweist man dem Thema also einen Bärendienst. Kein Klimaschutz funktioniert nachhaltig, wenn nicht alle Menschen mit an Bord sind.

Was würden Sie anderes machen?

Aichhorn: Ich würde daher an die Letzte Generation appellieren, sich einmal mit den Fakten auseinanderzusetzen und nicht alles zu verteufeln – gerade die Technik nicht. Denn wenn wir unseren Lebensstandard erhalten wollen, dann werden wir das nur über technische Lösungen und Weiterentwicklungen schaffen. Und wie geht das? Indem die Unternehmen alles daransetzen, diese Lösungen zu entwickeln. Da passiert enorm viel. Aber wenn nur wir es in Europa machen, hilft uns das global auch nichts. Die meisten Probleme treten in ganz anderen Gebieten auf. Da müssen wir aufpassen, dass wir uns in Europa nicht zu Tode zu regulieren und schlichtweg nicht mehr nachgefragt werden. Wir sollten stattdessen vorleben, dass Klimaschutz auch ökonomisch erfolgreich sein kann – nur so kann Klimaschutz ein weltweites Erfolgsmodell werden.

ZUR PERSON

Julia Aichhorn ist Geschäftsführerin der Dr. Aichhorn GmbH (BHDT, BFT) sowie der GIG Karasek GmbH.

Das Unternehmen hat 420 Beschäftigte in Kapfenberg, Hönigsberg (BHDT und BFT) sowie Gloggnitz, Attnagn-Puchheim und Graz. Zur Gruppe gehört auch ein Forstgut nördlich von Graz.

BHDT ist ein weltweit tätiger Hersteller und Anbieter von Hochdruckanlagen und Hochdruckkomponenten für die chemische und petrochemische Industrie.

GIG Karasek ist Spezialist für Sonderapparate sowie Anlagen für thermische Trennverfahren.

Aichhorn hat ein Volkswirtschafts- und Forstwirtschaftsstudium in Wien absolviert, und einen MBA mit Schwerpunkt Controlling und Finanzen.

Die zweifache Mutter ist seit Ende Februar  Bundesvorsitzende der Jungen Industrie.

Credits Artikelbild: IV | Kanizaj
Lichtblick

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