Soldatenfliege

Anlagentechnologie aus Graz: Fliegen als Müllabfuhr

Anlagenbauer Christof Industries setzt auf innovative Biotechnologie – und macht Milliarden Fliegen zu „MitarbeiterInnen“. So lösen sie ein Müllproblem und stillen die Nachfrage nach Tierfutter.

Können Fliegen die Welt retten? Daran darf weiterhin berechtigterweise gezweifelt werden. Aber dank Biotechnologie können die Insekten zumindest zwei (nicht unwesentliche) Probleme entschärfen: zu viel Biomüll, zu wenig Tierfutter. In beiden Fällen werden die Tiere zum Teil der Lösung. Die Redewendung „zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“ stimmt also fast – nur, dass die Fliegen hier Teil der Klappe sind.

Verantwortlich dafür ist der Anlagenbauer Christof Industries. VerfahrenstechnikerInnen und EntwicklungsingenieurInnen des Grazer Traditionsunternehmens haben mithilfe von Insektentechnologie ein Anlagenkonzept realisiert, das auf ein automatisiertes Verfahren entlang einer biologischen Prozesskette setzt.

Christof Industries: Biotechnologie mit Fliegen

Zunächst wird der Biomüll als Nährlösung für die Insektenlarven verwendet – ein gefundenes Fressen für den Nachwuchs der „schwarzen Soldatenfliege“ (Hermetia illucens) aus der Familie der „Waffenfliegen“. Was martialisch-militärisch klingt, leitet sich von der metallisch-schwarzen Färbung der Zweiflügler ab. 

Fliegenlarven
Die Larven der Fliegen fressen den Biomüll. Christof Industries verarbeitet sie später zu Fischfutter.Foto: adobe stock | tarapatta

Deren Larven fressen sich in den Anlagen in gezielten und überwachten Zuchtstrukturen bei konstant gehaltenen 35 Grad durch den organischen Abfall und verwerten ihn. Innerhalb ihrer zehntägigen Lebensdauer erhöhen sie ihr Gewicht dabei um das 200-fache. Wobei die Soldatenfliege im konkreten Verfahren einen klaren Vorteil mitbringt: Sie nimmt nur im Larvenzustand Nahrung auf. Als Fliege legt sie Eier und stirbt, schwirrt also nicht herum wie andere Fliegenarten. Die Larven werden anschließend gesammelt und zu hochwertigem Proteinfutter für die Fisch- und Hühnerzucht weiterverarbeitet.

Milliarden Fliegen bremsen Überfischung

Christof Industries hat die erste vollautomatisierte Biotech-Anlage dieser Art weltweit entwickelt. Sie ist in Kapstadt in Südafrika im Einsatz. Gestützt auf intelligente Messtechnik und einer biologiebasierten Prozessführung, verwandeln einige Milliarden Fliegen pro Tag (!) 250 Tonnen Bioabfall aus Lebensmittelfabriken, Supermärkten und Restaurants in 50 Tonnen proteinreiches Futtermittel und weitere ressourcenschonende Nebenprodukte um. 

Was abstoßend klingt, bringt aber nachhaltige Effekte für die Umwelt. Denn neben der Verwertung des biologischen Abfalls trägt die Insektentechnologie auch zum Schutz der weltweiten Fischbestände bei. Sie ersetzt das in der Viehzucht massenhaft eingesetzte Fischmehl, das wiederum aus eigens abgefischten Fischen produziert wird. Zumindest diese Art der Überfischung wird damit reduziert.

70 Prozent weniger CO2

Johann Christof, Eigentümer und Geschäftsführer des Anlagenbauers, verweist gegenüber Medien auf die treibenden Motive und Gedanken hinter diesem neuen Geschäftszweig: „Wir wollen Abfall als Wertstoff betrachten, Lösungen für den steigenden Nahrungsmittelbedarf der wachsenden Weltbevölkerung finden und über unsere KundInnen in einem schwierigen Umfeld wie beispielsweise in Kapstadt Arbeitsplätze und damit einen sozialen Mehrwert schaffen.“

Dass dieses Verfahren Potenzial hat, beweist ein Blick auf die Müllstatistiken. So fallen weltweit jährlich rund 1,3 Milliarden Tonnen an organischen Abfällen an. Im Vergleich zur „normalen Müllentsorgung“ soll durch Insektentechnologie 70 Prozent weniger CO2 ausgestoßen werden, rechnet man bei Christof Industries vor. Einerseits reduziere man also Müllberge und Treibhausgase, andererseits schließe man den Kreislauf, indem Müll wieder verwertbar wird statt auf Deponien zu verrotten.

Waschmaschine für FFP2-Masken 

Diese Pionierleistung des Grazer Anlagenbauers wurde schon mit diversen Preisen, unter anderem dem BBC Food Chain Global Champion Award, ausgezeichnet. Es ist aber nicht das einzige Projekt im Bereich der „Biocycle Technology“. Sie kommt auch in Kläranlagen zum Einsatz. So wurde in Kooperation mit Universitäten, Forschungseinrichtungen und anderen Industrieunternehmen eine Pilotanlage zur Gewinnung eines industriellen Entstickungsmittels entwickelt. Das Aufbereitungsverfahren für Gärreste ermöglicht die Rückgewinnung von Ammonium aus den Reststoffen von Biogas- und Kläranlagen. Ziel ist es, den landwirtschaftlichen Nitratkreislauf zu entlasten.

Aber nicht nur in der Abfallaufbereitung, sondern auch in der Müllvermeidung kommt Technologie von Christof Industries zum Einsatz. Dabei ist manchmal Flexibilität gefragt. So wurden bereits in den 1990er-Jahren Anlagen zur Behandlung medizinischen Abfalls gebaut und immer wieder weiterentwickelt. Die jüngste Generation macht eine dezentrale, hocheffiziente Desinfektion und Sterilisation von medizinischen Abfällen vor Ort in den Spitälern möglich. Risikoreiche Transporte von infektiösem Abfall können so vermieden werden. Verwendung findet diese Technologie bereits an 165 Standorten weltweit, von Australien über Mexiko und Vietnam bis hin zu Österreich.

In der Frühphase der Corona-Pandemie hat Christof Industries diese Geräte kurzerhand modifiziert und in Spitälern in der Steiermark und Tirol zur Reinigung von FFP2- und FFP3-Schutzmasken eingesetzt. Bis zu 150 Masken pro Stunde wurden in einer Art Waschmaschine bei bis zu 134 Grad sterilisiert und wieder verfügbar gemacht.  Mittlerweile ist der Bedarf erloschen. Günstige Einwegmasken haben den Markt überschwemmt.

GUT ZU WISSEN

  • Christof Industries wurde 1966 von Johann Christof sen. als Metallverarbeitungsbetrieb gegründet.
  • 1988 übernahm Sohn Johann das Unternehmen, das heute in 17 Ländern weltweit über eigene Niederlassungen verfügt.
  • 3.867 MitarbeiterInnen erwirtschafteten im Jahr 2020 einen Umsatz von 301 Millionen Euro. Die Exportquote liegt bei 90 Prozent.
  • In 80 Ländern wurden bislang mehr als 4.500 Projekte umgesetzt.
Lichtblick

Dir gefällt, was du hier liest?

Einfach "Fakt & Faktor" als Newsletter abonnieren!

Jetzt abonnieren