Anna Steiger

„Das Wort Rabenmutter gibt es nur in der deutschen Sprache!“

Wenn man die mit Frauen besetzten Führungspositionen in Österreich nüchtern im Zahlenspiegel betrachtet, wird klar: Hier muss noch viel getan werden. Im Zuge einer spannenden Keynote legte nun Anna Steiger, Vizerektorin für Personal und Gender an der TU Wien, den Finger in die offene Wunde.

Nur, weil etwas besser wird, ist es noch lange nicht gut. Ein Satz, der wohl auf kein anderes Thema so gut passt wie auf jenes der Gleichstellung von Mann und Frau – insbesondere in der Arbeitswelt. Das sagt nicht nur Anna Steiger, Vizerektorin für Personal und Gender an der TU Wien. Deshalb haben „Österreich verbindet Welten“, Wolf Theiss, Stanton Chase und die Industriellenvereinigung zum Round Table „Female Leadership in CEE“ ins Haus der Industrie nach Wien geladen. Anna Steiger war es dann auch, die dabei als wohlgewählte Keynote-Speakerin den Finger in die gesellschaftliche Wunde legte – in Form exakt recherchierter Fakten.

Nur 20,2 Prozent aller Spitzenpositionen weiblich besetzt

Denn diese sprechen eine klare Sprache: In der EU waren im Jahr 2021 durchschnittlich 30,6 % der Positionen in den Aufsichts- und Verwaltungsräten der größten börsennotierten Unternehmen mit Frauen besetzt. Also nicht einmal ein Drittel. Nach Angaben des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) werden in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 bloß 20,2 % aller Spitzenpositionen in den größten börsennotierten Unternehmen in der EU von Frauen besetzt sein.

Dünn wird die Luft allerdings, wenn man die 200 umsatzstärksten Unternehmen, also die richtig prestigeträchtigen Marken und Betriebe, unter die Lupe nimmt. Steigers ernüchternde Bilanz: „Mit Jänner 2022 sind 555 von 609 Geschäftsführerpositionen von Männern besetzt. Das sind neun von zehn Positionen oder 91,1 %. Die Unterrepräsentation von Frauen in den Vorständen börsennotierter Unternehmen ist noch ausgeprägter: Nur 18 von 220 Vorstandsposten (8,2 %) werden von Frauen besetzt.“

GeorgKnill
IV-Präsident Georg Knill ist davon überzeugt, dass mehr weibliche Führungskräfte jedem Unternehmen gut tun würden.Foto: Leadersnet / D. Mikkelsen

Man kann also unverblümt sagen: Wir haben noch einiges zu tun. Und das nicht bloß, weil es einfach gerechter wäre. Vielmehr ist längst durch viele Studien belegt, dass „ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern in Führungspositionen in allen Bereichen eines Unternehmens positive Effekte generiert“, betonte Gastgeber und IV-Präsident Georg Knill. Aber woran liegt es dann, dass wir im Global Gender Gap Report 2021 des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Bezug auf die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen nur auf Platz 88 von 157 Ländern rangieren? „Damit befinden wir uns deutlich in der zweiten Hälfte aller untersuchten Länder“, mahnt Steiger. Die Gründe dafür liegen ihrer Meinung nach in der nach wie vor bestehenden Vorurteilsbildung und Diskriminierung von Frauen. Und in den nach wie vor vorherrschenden Geschlechterstereotypen in der Karriereplanung und in anderen Lebensbereichen.

Familienplanung als Hemmschuh? Vor allem in Österreich!

Womit wir beim Thema Familienplanung angelangt wären. Ein Aspekt, der überraschender Weise gerade in Österreich ein besonderer Hemmschuh ist, wie eine neue Studie belegt. Diese hat Informationen von mehr als 128.000 Paaren aus 30 Ländern erhoben. Fazit: Die Einkommen von Frauen sind auch zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes noch niedriger als die ihrer männlichen Kollegen – und das vor allem in deutschsprachigen Ländern.

Für das Wort ,Rabenmutter‘ findet man in keiner anderen Sprache eine entsprechende Übersetzung.

Anna Steiger, Vizerektorin für Personal und Gender an der TU Wien

Anna Steiger: „In Österreich kehren 60 Prozent der Frauen zwei Jahre nach der Geburt ihres Kindes in den Beruf zurück, die meisten von ihnen in Teilzeit. Im Vergleich dazu kehren in Nordeuropa über 80 Prozent der Frauen in den Beruf zurück. Auch in den west-, ost- und südeuropäischen Ländern ist der Einbruch im Erwerbsleben der Frauen bei weitem nicht so ausgeprägt wie in den deutschsprachigen Ländern. In Frankreich, Belgien und den Niederlanden zum Beispiel sind mehr als 80 Prozent der Frauen nach zwei Jahren wieder berufstätig, die meisten davon in Vollzeit.“

Zu wenig Betreuungsplätze und gesellschaftliche Einschränkungen

Wie aber kann das sein? Laut Anna Steiger hätten die AutorInnen der Studie länderspezifische Unterschiede in der Kinderbetreuung und deren Standards ausgemacht, etwa bei den Regelungen zu den Betreuungszeiten oder den Kinderbetreuungsangeboten. „Vor allem für unter zweijährige Kinder gibt es in unserem Land viel zu wenig Betreuungsplätze“, hebt die Fachfrau hervor. Warum die Unterschiede aber so lange bestehen, also auch zehn Jahre nach der Geburt noch sichtbar sind, sei weniger klar. „Hier sind wahrscheinlich Unterschiede in den gesellschaftlichen Normen ausschlaggebend“, schließen die StudienautorInnen und auch Anna Steiger aus diversen faktischen Hinweisen. So stimmen beispielsweise in Österreich und Deutschland viel mehr Menschen der Aussage „Frauen mit schulpflichtigen Kindern sollten zu Hause bleiben“ zu als in Skandinavien.“

Es ist belegt, dass ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern in Führungspositionen in allen Bereichen eines Unternehmens positive Effekte generiert.

Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV)

Eine Tatsache, die sich in einem Begriff manifestiert, der für sich allein stehend Bände spricht: „Für das Wort ,Rabenmutter‘ findet man in keiner anderen Sprache eine entsprechende Übersetzung“, gibt Steiger ein vielsagendes Beispiel für eine Tatsache: Kindererziehung, Pflege und Familienarbeit sind vor allem in Österreich nach wie vor Frauenbereiche.

Was ist das „Ähnlichkeitsprinzip“?

Doch das allein kann den massiven männlichen Überhang in Führungspositionen letztendlich auch nicht schlüssig erklären. „Ein weiteres Auswahlkriterium für die obersten Führungsebenen“, sagt Steiger, sei das so genannte „Ähnlichkeitsprinzip“. Das bedeutet, „dass Männer eher Männer rekrutieren werden“. Zudem würden Studien auch die objektivierenden Auswahlmethoden in den Rekrutierungsprozessen bemängeln, da diese mit zunehmender Höhe der Karriereleiter oft verschwinden.

Um nachhaltige Lösungen für die ökologischen, ökonomischen und sozialen Probleme unserer Gesellschaft zu erreichen, müssen wir weiter daran arbeiten, Bedingungen zu schaffen, damit sich alle Menschen im Rahmen ihrer Begabungen und Interessen einbringen können.

Anna Steiger, Vizerektorin für Personal und Gender an der TU Wien

Abseits aller Ursachenforschung empfiehlt sich allerdings ein schlichter Blick auf einen offensichtlichen Ist-Zustand, um zu verdeutlichen, dass jede und jeder etwas an der Gesamtsituation ändern kann. So werden Frauen in Führungspositionen etwa oft über ihr Aussehen oder ihren Kleidungsstil definiert. Oder gar kritisiert. Deutschlands ehemalige Kanzlerin Angela Merkel ist dafür ein markantes Beispiel: Ihr Dekolleté wurde genauso besprochen wie ihre Frisur. Wer kann sich an einen ähnlichen Diskurs in Bezug auf Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron erinnern?

Frauen und Männer werden unterschiedlich beurteilt

Aber auch, wenn es um Charaktereigenschaften geht, wird mit zweierlei Maß gemessen: Was man bei einem Mann als „zielorientiert“ beschreibt, ist bei einer Frau schnell „herrisch“. Die TU-Vizerektorin bringt es auf den Punkt, wenn sie sagt: „Was bei Männern als Durchsetzungsvermögen beschrieben wird, heißt bei Frauen, ,Vorsicht, die tut alles, um weiterzukommen‘. Kein Wunder, dass dies für viele junge Frauen keine ansprechende oder inspirierende Perspektive ist.“

Anna Steiger
Anna Steiger: „Die Einkommen von Frauen sind auch zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes noch niedriger als die ihrer männlichen Kollegen – und das vor allem in deutschsprachigen Ländern!“ Foto: Leadersnet / D. Mikkelsen

Liegt der Frauenmangel in Spitzenpositionen also auch an einem Nachwuchsproblem, das unter anderem solchen Aspekten geschuldet ist? Vieles deutet darauf hin, wenn man bedenkt, dass an der TU Wien derzeit etwa in Ingenieurwissenschaften 30 % weibliche Studierende sind. Vor allem in den klassischen Ingenieurwissenschaften, wie Elektrotechnik oder Maschinenbau, aber auch in der Informatik fehlen uns Frauen noch viel massiver. Gerade einmal 17 % aller Informatikstudierenden an der TU Wien sind Frauen. Allein hier mangelt es also schon an der Vielfalt. Ein Umstand, an dem man dringend arbeiten muss. Sprich: Es liegt an uns allen, Spitzenpositionen so auszugestalten, dass sie für alle Menschen attraktiv sind.

Female Leadership
Im Anschluss an die Keynote von Vizerektorin Anna Steiger diskutierte im „Haus der Industrie“ noch eine hochkarätige Runde (von links): Oleksandra Tuzhylina (Executive Director Linde UA & PL), Therese Niss (Stiftung MINTality), Birgit Rechberger-Krammer (Corporate Senior VP Laundry Home Care Europe Henkel), Dejan Jovicevic (Co-Founder & CEO brutkasten), Andreas Gerstenmayer (CEO AT&S), Susanne Goldammer (Business Lead Onsite&Bulk Region South bei Linde) und Elena Skvortsova (Executive Officer OMV).Foto: Leadersnet / D. Mikkelsen

Anna Steiger sagt: „Um nachhaltige Lösungen für die ökologischen, ökonomischen und sozialen Probleme unserer Gesellschaft zu erreichen, müssen wir weiter daran arbeiten, Bedingungen zu schaffen, damit sich alle Menschen im Rahmen ihrer Begabungen und Interessen einbringen können. Ich bin überzeugt, dass unterschiedliche Perspektiven, Ideen und Fähigkeiten zu neuen Lösungen und damit zu mehr Innovation führen.“ Schließlich seien Frauen weder die besseren Menschen noch die besseren Führungskräfte. Sie sind aber auch keinesfalls die schlechteren, nur weil sie Frauen sind.

Und Anna Steiger zitiert deshalb Österreichs erste Frauenministerin, Johanna Dohnal, mit den Worten: „Die Vision des Feminismus ist nicht eine weibliche Zukunft. Es ist eine humane Zukunft.“ Traurig nur, dass dieses Zitat schon gut 30 Jahre alt ist.

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