AT&S Produktion Leiterplatten

AT&S-Chef: „Covid beschleunigt Digitalisierung um ein Jahrzehnt“

Die Corona-Krise hat für eine ungeplante Dynamik bei Chip-Produzenten und Leiterplatten-Herstellern gesorgt. Und auch zu Engpässen. AT&S-CEO Andreas Gerstenmayer über das hohe Tempo bei der Digitalisierung und deren Folgen.

Es waren und sind kommunizierende Gefäße: Je weniger „echte“ persönliche Kontakte im Alltag aufgrund von Mindestabstands-, Quarantäne- oder Reisebeschränkungsverordnungen, desto mehr digitaler Datenverkehr. „In fast allen Ländern der Welt ist es seit Ausbruch der Pandemie zu einem Ansteigen des Datenverkehrs um 30 bis 50 Prozent gekommen“, verweist Andreas Gerstenmayer auf eine Vielzahl einschlägiger Untersuchungen.

ATS-CEO-Andreas-Gerstenmayer
ATS-CEO-Andreas-Gerstenmayer über das Positive an Corona: „Dass die Digitalisierung in der Bevölkerung angekommen ist.“ Foto: AT&S

Andreas Gerstenmeyer ist CEO der AT&S, einem der weltweit führenden Hersteller hochwertiger Leiterplatten. Die hochsensiblen und leistungsstarken Teile sind aus der Industrie, im Automotive-Bereich und der Medizintechnik nicht mehr wegzudenken. AT&S entwickelt und produziert sie in Werken in Indien, Südkorea  und China und an den beiden österreichischen Standorten in Leoben und Fehring (Oststeiermark).

AT&S in Handys, Autos und Hörgeräten

Endkunden sind wir alle. So finden sich AT&S-Komponenten beispielsweise in Apples iPhone und den Smartphones aller anderen größeren Anbieter. Integrierte Schaltkreise von AT&S, die als Verbindungselemente zwischen Leiterplatte und Chip dienen, sind beispielsweise in Intel-Prozessoren für Notebooks und PCs verbaut. AT&S-Teile finden sich aber auch in den Bordcomputern von Autos, in Herzschrittmachern und Hörgeräten oder Datenbrillen.  

Erst Anfang des Jahres wurde eine Brille präsentiert, die in Zusammenarbeit mit dem Start-up Fauna entstanden ist. Vier im Rahmen integrierte Mikrolautsprecher und zwei Mikrofone sorgen bei den Modellen dafür, dass Musik, Podcasts, Hörbücher aber auch Telefonate bequem über die Brille möglich sind.

AT&S Audio-Brille
Zusammen mit einem Start-up entwickelte AT&S eine Brille, in deren Rahmenbügel Kopfhörer integriert sind.Foto: AT&S

Der Sound richtet sich direkt zum Ohr. Trotzdem hört der beziehungsweise die TrägerIn stets, was um ihn beziehnungsweise sie herum passiert und bleibt somit zum Beispiel sicher im Straßenverkehr. Von AT&S kommt dabei die Leiterplatte, auf der die Mikrolautsprecher montiert sind.

Krise am Chip-Markt

AT&S-Technologie steckt aber auch in tragbaren Analysegeräten für Corona-Tests, die bei Antigen- und Antikörper-Testmethoden zuverlässige Ergebnisse innerhalb von nur zwölf Minuten liefern. Die Ausbreitung der 5G-Datentransfertechnologie, die zunehmende Vernetzung von Maschinen und das „Internet der Dinge“ sind weitere Einsatzgebiete. 

Die Nachfrage nach Chips, Leiterplatten & Co. wächst jedenfalls. Dieses Wachstum stößt aber auch an seine Grenzen. So hat das aufgrund von Lockdown, Homeoffice und Homeschooling brummende Geschäft mit Elektronikgeräten den Chipmarkt leergesaugt, weil die Hersteller zunächst auch selbst ihre Produktion zurückfuhren. Auf den umgehend einsetzenden Digitalisierungsschub im Alltag und die jetzt wieder erstarkende Automobilindustrie waren die Zulieferer nicht vorbereitet. Es kam zu Engpässen.

41 Prozent mehr Video-Chats

„Covid-19 hat die Digitalisierung um ein Jahrzehnt beschleunigt“, sagt Gerstenmayer. Die Haupttreiber hinter dem Digitalisierungsschub sieht er vor allem in den Bereichen Homeoffice und Homeschooling, aber auch im Home-Entertainment, von Gaming bis Online-Videoportalen. Dazu kommt der Geschäftsbereich. Videokonferenzen sind zu den wichtigsten Kanälen geworden. Firmen verzeichnen 41 Prozent mehr Video-Chats als noch Anfang 2020, heißt es in einem McKinsey-Report.

AT&S Leiterplatte für Smartphone
Bei allen großen Smartphone-Marken steckt ein Stück AT&S drinnen.Foto: AT&S

Über digitale Kanäle wurden zuletzt 69 Prozent der Einnahmen erzielt und 43 Prozent sämtlicher B2B-Einnahmen erwirtschaftet. Auch die Einkäufer mussten sich umstellen und ihre Bestellprozesse rationalisieren. Nun vertrauen sie neuen digitalen Prozessen, sie verhandeln und bestellen online. Mittlerweile glauben, so die McKinsey-Studie, durchschnittlich 75 Prozent aller Kunden weltweit an die Effizienz von Online-Bestellungen.

„Digitalisierung ist angekommen“

„Wenn man versucht, Corona etwas Positives abzugewinnen, dann, dass die Digitalisierung in der Bevölkerung angekommen ist“, analysiert Gerstenmayer. AT&S bietet seinen Kunden jetzt auch virtuelle Audits im Produktionsbereich an. Dank der Nutzung von Augmented Reality können Produktionsprozesse virtuell, aber live präsentiert werden – beispielsweise auch von Anwendungen im Automobilbereich, wo die voranschreitende Elektrifizierung die Fahrzeuge „smarter“ und automatisierter macht. Gut für AT&S. Denn gibt es mehr Assistenzsysteme im Auto, steigt auch die Zahl der verbauten Sensoren. 

„Dadurch wachsen auch die produzierten Datenmengen an, die verarbeitet und für eine Entscheidungsfindung ausgewertet werden müssen“, erklärt Gerstenmayer das sich selbst befeuernde System. „Je weiter wir uns in Richtung automatisiertes Fahren bewegen, desto stärker wächst die Bedeutung hinsichtlich Geschwindigkeit und Ausfallssicherheit der Systeme.“

Suche nach MitarbeiterInnen

Das bringt neue Herausforderungen für die Leiterplatte, denn in einem autonom fahrenden Auto muss das System binnen Sekundenbruchteilen aufgrund der erzeugten Daten verzögerungsfrei Entscheidungen treffen und die daraus resultierende Aktion ausführen – beispielsweise eine Vollbremsung einleiten.

AT&S-Hauptsitz in Leoben-Hinterberg
Am AT&S-Hauptsitz in Leoben-Hinterberg wird kräftig in den Ausbau investiert. 200 zusätzliche Jobs entstehen.Foto: AT&S

Steigende Anforderungen und Nachfrage lassen auch den Investitions- und MitarbeiterInnenbedarf bei AT&S selbst wachsen. So startete im vergangenen Sommer ein auf vier Jahre angelegtes 120-Millionen-Euro-Technologie-Upgrade. Bis 2030 sollen allein im Headquarter in Leoben rund 200 zusätzliche Jobs entstehen.

GUT ZU WISSEN

  • AT&S ist ein führender Hersteller von hochwertigen Leiterplatten sowie IC-Substraten und produziert für den Elektronik-, Automotive-, Industrie- und Medizintechnikbereich.
  • Vom Headquarter in Leoben aus werden Produktionsstandorte in Österreich (Fehring) sowie Werke in Indien (Nanjangud), China (Shanghai, Chongqing) und Korea (Ansan nahe Seoul) gelenkt.
  • AT&S beschäftigte im Geschäftsjahr 2019/20 weltweit rund 10.000 MitarbeiterInnen.
  • AT&S trotzt der aktuellen Krise und erzielte im 3. Quartal den höchsten jemals erreichten Quartalsumsatz (883,8 Millionen Euro).
Credits Artikelbild: dieindustrie

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