Begrünte Fassaden

Können begrünte Fassaden wirklich überhitzte Städte retten?

ImmobilienentwicklerInnen wollen Städten helfen, kühler zu werden. Aber wie funktioniert das? Was geht da schon in Österreich? Und vor allem: Sind begrünte Fassaden nicht bloß Greenwashing?

Subtropische Gärten, die einen Hochhaus-Wohnkomplex in Taipeh überwuchern. Ein 1.730 Meter hoher Wolkenkratzer mitten in Manhattan, der ganzen Etagen vertikalen Farmen und grünen Oasen widmet. Eine riesige, zweistöckige Waldanlage, die zwischen den Hochhausschluchten Shenzhens zu schweben scheint. Wenn man sich die Visionen von Architekturbüros rund um den Globus so ansieht, merkt man gleich, wie moderne Städte der Zukunft aussehen sollen: grün. Und das in einer Weise, die weit über ein paar Parkanlagen und Baumalleen hinausgeht. 

Als Meister dieser floralen Architektur gilt derzeit Stefano Boeri, der bereits im Jahr 2014 in Mailand die Doppeltürme seines Bosco Verticale mit Pflanzen und Bäumen übersäte. Seitdem ist es für Architekturbüros und ImmobilienentwicklerInnen fast schon zum Sport geworden, ihre Zukunftsvisionen mit möglichst spektakulär begrünten Fassaden auszustatten. Ein schöner Gedanke, dessen Nutzen sich allerdings aufhebt, wenn durch diese Neubauten erneut ein Stück kostbare Wildnis verschwinden muss. Der ökologische Gedanke dahinter ist dann wortwörtlich nur Fassade.

Begrünte Fassaden gegen Blechmonster

Die Entwicklungen in der Stahl- und Betonindustrie in der späten Moderne haben Städte auch hierzulande völlig verändert. Die Forschungsgruppe „Innovative ökologische Baukonstruktionen“ des Instituts für Hochbau und Technologie der Technischen Universität Wien bestätigt, dass 40 % des gesamten EU-Energieverbrauchs und ca. 35 % der EU-Treibgasemissionen von Gebäuden verursacht werden. Bis 2050 werden zudem 2/3 der Menschheit in Städten leben. Wohnraum wird also immer rarer und verschiebt die Stadtgrenzen stetig weiter nach außen, worunter viele zuvor unberührte Grünflächen leiden. Was nicht offiziell als Parkanlage oder Naherholungsgebiet ausgezeichnet ist, wird zubetoniert.

40% des gesamten EU-Energieverbrauchs und ca. 35% der EU-Treibgasemissionen werden von Gebäuden verursacht.

Dazwischen steht der ewige Kampf „Baum gegen Parkplatz“, der in den meisten Großstädten mit einem K.O.-Sieg für das Blechmonster ausgeht. Das Auto muss schließlich in greifbarer Nähe bereitstehen für den nächsten Erholungsausflug ins Grüne. Um eines gleich vorwegzunehmen: Auch das Thema Fassadenbegrünung kommt nicht ohne solche Widersprüchlichkeiten aus. Dennoch können sie sowohl aus ökologischer als auch wirtschaftlicher Sicht ein großer Gewinn sein. Vorausgesetzt, man beachtet einige Dinge.

Bäume als letzte Rettung

Eines der großen Probleme der Zukunft ist, dass sich Städte immer mehr aufheizen und unerträgliche Sommertemperaturen drohen. Pflanzen könnten dabei am effektivsten und nachhaltigsten Abhilfe schaffen. Die Natur muss ihren Platz in der Stadt also wiederfinden, darin ist man sich auf allen Seiten einig. Wie das allerdings machbar werden soll, da scheiden sich noch die Geister. Parkanlagen absorbieren schon lange nicht mehr das immense Aufkommen an Emissionen einer modernen Stadt. Bei teuren Grundstückspreisen setzt es zudem sehr viel Willen und Einsatz für den Umweltschutz bei InvestorInnen voraus, einen Großteil ihres erworbenen Grundstücks für Grünanlangen hergeben zu wollen.  

DIY ist ein No-Go

Wo horizontale Grünfläche rar ist, muss also in die Vertikale ausgewichen werden. Die schlechte Nachricht dabei: Als Do-it-yourself-Varianten bringen die begrünten Fassaden nur wenig. Unkontrolliertes Wachsen befriedigt vielleicht wild-romantische Vorstellungen von alten, efeubedeckten Cottages, hat aber nichts mit der gezielt eingesetzten Begrünung zu tun. Weist das System keine ausreichende Pflanzenverankerung auf, kann sich sogar die gesamte Pflanzenwand aufgrund von Eislasten lösen und herabfallen. Denn die für Grünfassaden verwendeten Pflanzen würden in der Natur nicht einfach so an Gebäuden wachsen. Maßnahmen, die rein wegen der schönen Optik getroffen werden, sind außerdem nur selten wirtschaftlich. Um mit begrünten Fassaden also wirklich Emissionen und Kosten zu sparen, müssen die Profis ran.

Die Stadtbegrüner
Fassadenbegrünung als ausgeklügeltes System: Hier müssen Profis ran, von der Installation bis zur Auswahl der passenden Pflanzen.Foto: Die Stadtbegruener

Begrünte Fassaden sind eine natürliche Klimaanlage

Andreas Lichtblau von den Stadtbegrünern ist glühender Verfechter dieser Strategie. Er ist außerdem Geschäftsführer von 90deGREEN. Er ist sich sicher: „Es macht bei jeder Form von Bauwerksbegrünung wirklich Sinn, dies mit einem Profi anzugehen.“ Von der Installation bis zur Auswahl der Pflanzen könne schlicht zu viel falsch gemacht werden. Der beliebte Efeu kann beispielsweise die Fassaden richtiggehend zerstören. „Mit dieser Meinung macht man sich nicht immer beliebt, aber es gibt allgemein mit Schlingpflanzen ein hohes Risiko nach einigen Jahren.“

Die Vorteile von einer professionell begrünten Fassade sind mannigfaltig: Zum einen wäre da die Einsparung von Energiekosten durch natürliche Dämmung. Die Pflanzen binden aber auch eine Menge an schädlichem Feinstaub, wirken schallmindernd, schützen das dahinterliegende Mauerwerk vor Verwitterung, produzieren Sauerstoff und vieles mehr. Dazu kommen noch Faktoren, die weniger wirtschaftlich, aber dennoch nicht zu unterschätzen sind, wie der optische Erholungsfaktor, psychologische Vorteile oder ein grünes Image für BauträgerInnen.

Fakten, die erstaunen

Ein Paradebeispiel begrünter Fassaden ist zumindest allen WienerInnen bekannt, nämlich die Zentrale der MA48 in der Nähe des Matzleinsdorferplatzes. Beobachtungen dieses Projekts haben gezeigt, dass die begrünte Fassade eine Reduktion des Wärmeverlustes im Winter um bis zu 50 % bewirkt. Im Sommer schützt sie das Gebäude vor Überhitzung – die Oberflächentemperatur ist an sonnigen Tagen sogar um 10 °C bis 15 °C kühler. Und kühlere Oberflächen bedeuten eben auch weniger Wärmeabgabe an die Umgebung. Die Verdunstung von bis zu 1.800 Liter Wasser pro Tag entspricht der Kühlleistung von ca. 45 Kühlgeräten mit 3.000 W Kühlleistung bei acht Stunden Betriebsdauer. Oder wenn wir in der Pflanzenwelt bleiben: Die Fassade bringt dieselbe Verdunstungsleistung von vier ausgewachsenen Buchen – die allerdings in etwa die Gebäudefläche in Anspruch nehmen würden. 

begrünte Fassaden
Ganz schön grün! Die Zentrale der MA48 in Wien hat definitiv Wiedererkennungswert.Foto: Die Stadtbegruener

Begrünte Fassaden als Wasserverschwender?

Werte wie diese machen aber auch skeptisch. Wenn so viel Wasser verdunstet, muss es auch irgendwo herkommen. Ist das nicht eine enorme Wasserverschwendung? Und damit sind wir bei Andreas Lichtblaus absolutem Lieblingsthema: „Das wird nämlich beinahe immer verdreht. Der Gewinner einer Begrünungsmethode in der Stadt ist das System, das am meisten Wasser verbraucht. Die Verdunstungskälte wird nun mal von den Pflanzen in Verbindung mit ihrem Verbrauch an Wasser generiert. Hier an Wasser einsparen zu wollen, geht gegen jede Logik.“ Wichtig sei hier natürlich, dass dieses Wasser verarbeitet wurde und nicht im Kanal landet. 

„Wenn man das dann auch noch mit Grauwasser (fäkalienfreies, gering verschmutztes Abwasser aus Bädern oder Waschmaschinen) unternimmt, damit am besten auch noch die Kanäle in den Städten entlastet werden, dann kann man die Tragweite von den richtigen Städten der Zukunft erst einmal erahnen. Es hängt alles zusammen, und das muss auch in der Zukunft richtig eingestuft und bewertet werden.“

Eine Investition, die wächst

In den Komplett-Bepflanzungen, die Lichtblau und sein Team anbieten, ist bereits an das Wichtigste gedacht. So ist beispielsweise eine Wärmedämmung im System integriert sowie eine automatische Bewässerung bei gleichzeitiger Düngung. Die Auswahl der Pflanzen ist eine Kunst für sich. Sie müssen relativ schnell und kontrolliert wachsen, dürfen die Bausubstanz mit ihren Schlingtrieben nicht beschädigen, müssen gezielt einsetzbar und in einer möglichst diversen Mischung angeordnet sein. Richtig eingesetzt ist eine Fassade zwischen drei und zwölf Monaten fertig begrünt.

Für und Wider begrünter Fassaden

Bei der Frage, ob mehr Natur in den Städten nötig ist oder nicht, kommt man in der derzeitigen Klimakrise schnell auf einen grünen Zweig. Die Vorteile einer solchen Investition, sofern man sie sich leisten kann, überwiegen. Beim Thema Kosten kann es große Unterschiede geben. Hier kommt es stark auf die Methode, das System und den Bauwunsch an. In jedem Fall sieht die Norm vor, dass eine Fassadenbegrünung zumindest zweimal im Jahr gewartet, begutachtet usw. werden muss. Das alles kann und muss schon bei der Planung berücksichtigt werden.

begrünte Fassaden
Gewusst wie: Professionell begrünte Fassaden sehen nicht nur gut aus, sie wirken sich positiv auf die Umwelt aus und sparen mit der Zeit sogar Kosten.Foto: Die Stadtbegruener

Krankheiten können die vertikalen Gärten genauso befallen wie die auf dem Boden. Zum Problem wird das natürlich nur, wenn man durch falsche Planung nicht optimal an die Stellen herankommt. Wichtig ist auch die Regionalität und der ökologisch einwandfreie Anbau der verwendeten Pflanzen. Müssen diese aufwendig aus fernen Ländern geliefert werden, wo sie vielleicht mit viel Pestizideinsatz kultiviert wurden, mindert das die Nachhaltigkeit.

Die fehlende Lobby

Also, warum sehen wir dann nicht viel mehr vertikale Gärten in den Städten dieser Welt? Laut dem Experten ist das professionelle Begrünen einer Fassade nämlich in den allermeisten Fällen möglich. „Zumeist sind es gesetzliche Einschränkungen wie der Denkmalschutz, die begrünte Fassaden verhindern, nur selten das Gebäude selbst“, so Andreas Lichtblau. Ein Problem stellt laut dem Profi die fehlende Lobby dafür dar. Die meisten AnbieterInnen denken von vornherein nicht daran, eine begrünte Fassade vorzuschlagen, viel zu präsent sind althergebrachte Lösungen und Produkte. Und das, obwohl immer mehr Langzeituntersuchungen dafür sprechen.

Die Stadtbegrüner
Mehr Grün ist auch an ungewöhnlichen Stellen möglich – so wie hier an der U-Bahnstation Wien Spittelau.Foto: Die Stadtbegruener

Eine Studie der TU Wien bewies beispielsweise, dass ein vollflächiges Begrünungssystem an der Fassade eine Verbesserung des U-Wertes, also der wichtigsten Messgröße für Dämmeigenschaften, um bis zu 25 % bringt. „Das ist absolut gewaltig! Und dennoch im Energieausweis bis heute nicht zulässig. Warum ist das so, fragt man sich da.“  

Für viele ist das Thema Fassadenbegrünungen immer noch neu, es benötigt Fachwissen und wirkt im ersten Moment risikoreicher für InvestorInnen, als es schlussendlich ist. Laut Lichtblau werde der steigende Druck der Klimakrise das Vorankommen begrünter Fassaden aber beflügeln. „Ohne Gesetze wird es nicht gehen. Adäquate Förderungen müssen der Beginn sein, eine Verpflichtung die Folge. Und im Ernst: Ich bekomme für ein einziges Elektroauto mehr Förderung als für eine ganze Fassade, die begrünt wird, während die Autoindustrie selbst noch Subventionen dazu erhält. Wenn das alles nicht nach einem Umdenken schreit, alte Pfade zu verlassen, was dann?“

  • Studien belegen, dass eine vollflächige Begrünung die Dämmeigenschaften eines Gebäudes
    um 25 % steigert.
  • Das vollständige Begrünen einer Fassade dauert drei bis zwölf Monate.
  • Grüne Wände verhindern im Winter einen Wärmeverlust von bis zu 50 %.
  • Die Stadt Wien fördert die Begrünung von Fassaden bis zu einer Höhe von maximal 5.200 Euro
    und bietet Beratung bei Planungen. 

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Lichtblick

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