Eine Netzstörung im Südosten Europas stellte vor Kurzem das gesamte europäische Stromnetz auf die Probe. Ein Blackout in Österreich konnte nur knapp verhindert werden. Nur ein Einzelfall? Oder sieht unsere Energiezukunft düster aus?
Die Corona-Krise hat in kurzer Zeit unseren Alltag erreicht und diesen stark verändert. Kein Wunder, dass in solch unsicheren Zeiten der Drang nach Information und Klarheit immer weiter wächst. Was erwartet uns als nächstes? Welchen Gefahren sind wir tatsächlich ausgesetzt? Antworten auf diese Fragen findet man in der „Sicherheitspolitischen Jahresvorschau“ – einer jährlich erscheinenden Bedrohungsanalyse der Direktion für Sicherheitspolitik. Besonders interessant: In der letzten Ausgabe wird eine Bedrohung mit höchstem Impact für das Leben in Österreich und einer sehr hoher Eintrittswahrscheinlichkeit in den nächsten fünf Jahren angeführt: der Blackout.
Die Sorge ist berechtigt, denn erst kürzlich stieß das vermeintlich starke europäische Netz an seine Kapazitätsgrenzen. Die Ursache: ein Frequenzabfall im nordwestlichen Teil Europas wozu auch Österreich zählt, von 50 Hertz auf etwas mehr als 49,7 Hertz. Ein vermeintlich minimaler Unterschied, für ExpertInnen jedoch die entscheidende Grenze. Schutzmechanismen müssen ab dieser unverzüglich in Kraft gesetzt werden. Ein kompletter Zusammenbruch des Netzes konnte jedoch vermieden werden – dank regelmäßig geübter Sicherheitsmaßnahmen und einem laufenden Kommunikationsaustausch. Dennoch: Europa schrammte nur ganz knapp an einem Blackout vorbei.
Österreich ohne Strom?
Ein flächendeckender Ausfall unseres Stromnetzes konnte bis jetzt verhindert werden – grenzüberschreitenden Leitungen sei Dank. Denn europäische Länder sind nicht nur durch Wirtschaft, Politik und Kultur, sondern eben auch durch Stromleitungen eng miteinander verbunden. Dennoch kommt es immer wieder zu kleinen bis mittelgroßen Stromausfällen – ungefähr 10.000-mal im Jahr. Diese Unterbrechungen sind meist lokal begrenzt und dauern durchschnittlich etwa 70 Minuten. Doch was passiert, wenn aufgrund eines Blackouts in Österreich tatsächlich das Licht ausgeknipst würde?
Schon geringe Spannungsschwankungen können zu massiven Störungen in der Produktion und Ausfällen beziehungsweise Gefährdung von Lieferketten führen.
Georg Knill, Präsident der Industriellen Vereinigung
Bei einem flächendeckenden Stromausfall müssten wir wohl einige Tage im Dunkeln ausharren. Das Gefährliche daran: Ein Blackout würde sich zeitnah auf andere Infrastruktursektoren und Versorgungsleistungen auswirken. Vergleichbar mit dem ersten Dominostein, würde er eine Kettenreaktion voller Ausfälle nach sich ziehen. Kommunikation, Versorgung und Sicherheit würden zusammenbrechen. Ausgefallene Telefon-, Handy- und Datennetze würden alle IT-abhängigen Branchen lahmlegen. Da unsere Gesellschaft von einer lückenlosen Stromversorgung abhängig ist, sind die Auswirkungen für alle spürbar – besonders für Industrie und Wirtschaft.
Wirtschaft und Industrie sehen schwarz
Demnach würde sich ein mehrtägiger und großflächiger Blackout massiv auf Österreichs Unternehmenslandschaft auswirken. Produktionen müssten gestoppt werden, Prozesse könnten nicht weiterlaufen, Produktionsausfälle wären unausweichlich. Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), warnt:„Schon geringe Spannungsschwankungen können zu massiven Störungen in der Produktion und Ausfällen beziehungsweise Gefährdung von Lieferketten führen.“ Und weiter: „Wir brauchen ein politisches Bewusstsein dafür, dass die hochtechnischen Maschinen und Anlagen der Industrie höchst sensibel reagieren.“
Kurz und knapp: Sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich wären die Folgen fatal. Wie auch die Ergebnisse des Blackout-Simulators des „Blackout in Österreich“-Projekts des Energieinstituts an der Johannes-Kepler-Universität beweisen: Der Schaden für eine Stunde Stromausfall würde allein in Wien bei circa 20 Millionen Euro liegen. Schäden an Produktionsanlagen sind hier noch nicht berücksichtigt worden. Dementsprechend liegt es auf der Hand, wie wichtig es ist, für ein sicheres Netz zu sorgen.
Was ist die Ursache für einen Beinahe-Blackout?
Es stellt sich nun grundsätzlich die Frage, wer oder was die Schuld an vergangenen Netzstörungen trägt. Der österreichische Hochspannungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) klärt auf: „Ein Split des europäischen Stromnetzes führte zum Frequenzeinbruch in Österreich.“ Strom aus dem Südosten Europas konnte aufgrund ausgefallener Leitungsverbindungen nicht weiter in den Zentralraum Europas transportiert werden.
Sprich: Im nördlichen Teil Europas floss kurzzeitig einfach zu wenig Strom durch die Leitungen. Österreichs Sicherheitsnetz hat jedoch sofort gegriffen und im Verbund mit jenen anderer europäischer Staaten zur unverzüglichen Netzstabilisierung beigetragen.
Grünstromerzeuger nicht die Ursache des Zwischenfalls
Auch wenn der Beinahe-Blackout nicht durch grüne Energieträger verursacht wurde, stellen sie doch eine Herausforderung für die Versorgungssicherheit dar. Grund dafür: die schwankende Stromproduktion sogenannter „volatiler Energieträger“. Also Energieträger, die nicht konstant die gleiche Leistung liefern können. Solar- und Windanlagen speisen naturgemäß wetterabhängig Strom in das Netz ein – und eben nicht dann, wenn es Stromversorger gerne hätten. Es bedarf vermehrter Anstrengungen, um Angebot und Nachfrage an Strom auszugleichen und so die Spannung im Netz stabil zu halten.
Laut Vera Immitzer, Geschäftsführerin des Bundesverbands Photovoltaic Austria, ist dies aber absolut kein Problem. Denn: „Man weiß, wann die Sonne auf- und wieder untergeht – und ob sie in der Zwischenzeit scheint oder nicht. Sehr genaue Wetterprognosen machen genaue Vorhersagen also möglich.“ Es bleibt aber die Frage, was passiert wenn die Wetterprognosen im tiefsten Winter eine „Dunkelflaute“ verheißen – also mehrere Tage oder Wochen mit wenig Sonne und kaum Wind.
Kompletter Umbau der Erzeugungslandschaft
Kraftwerke aus der Sparte „Erneuerbare Energie“ treffen im aktuellen Fall keine Schuld. Allerdings müssen einige Grundvoraussetzungen für die vermehrte Nutzung von erneuerbaren Energieträgern gegeben sein, wie etwa ein gut ausgebautes Stromnetz. Dieses sorgt für gleichmäßigen Energiefluss und lückenlose Stromversorgung – und das europaweit. Der Anstieg von grünen Anlagen benötigt ein Stromnetz mit einem neuen Design – ein Stromnetz der Zukunft. Dafür müssen Erzeugung, Verbrauch und Speicherung clever miteinander kombiniert werden.
Photovoltaik und Speicher sind eineiige Zwillinge.
Vera Immitzer, Geschäftsführerin des Bundesverbands Photovoltaic Austria
Stichwort: Speicherung. Gegen flächendeckende Stromausfälle sind innovative Speichersysteme die Lösung. Denn sie sorgen auch weiterhin für eine Stromversorgung ohne Unterbrechung. „Photovoltaik und Speicher sind eineiige Zwillinge“, so Sonnenexpertin Immitzer. Sie sorgen für eine netztechnische Entlastung. Vor allem dann, wenn sie netzoptimiert arbeiten und in Abhängigkeit vom Netzzustand be- und entladen werden.
Sprich: Wird zu viel sauberer Strom produziert, fließt dieser in den Speicher. Diese Vorgehensweise soll das Netz langfristig vor einer Stromüberflutung schützen und könnte in Zeiten, in denen kein Sonnen- oder Windstrom produziert wird, angezapft werden. Das kann man sich im Grunde wie ein Sparschweinderl vorstellen: Dort wird gespartes Geld solange aufbewahrt, bis es tatsächlich gebraucht wird. Allerdings ist es noch ein weiter Weg bis Speicher mit ausreichender Kapazität zur Verfügung stehen um ein zunehmend erneuerbares Stromsystem versorgungssicher zu machen.
Beinahe-Blackout als Warnsignal für die Zukunft
Erneuerbare Energieträger könnten das Energiesystem verändern und die angestrebte Energiewende vorantreiben. Um zukünftige Blackouts zu verhindern, muss der Ausbau volatiler Energieträger mit dem Ausbau der Übertragungskapazitäten einhergehen. Das Stromsystem muss sich den neuen Erzeugungsmöglichkeiten anpassen und neue Speichersysteme müssen geschaffen werden.
Wir brauchen ein politisches Bewusstsein dafür, dass die hochtechnischen Maschinen und Anlagen der Industrie höchst sensibel reagieren.
Georg Knill, Präsident der Industriellen Vereinigung
Laut IV-Präsident Knill sei es nun eine Angelegenheit der Politik, Versorgungssicherheit und klimaneutralen Umbau stärker zu forcieren. Den Erneuerbaren-Ausbau zu stoppen, wäre ganz klar die falsche Entscheidung – hier sind sich Fachleute einig. Denn: Ein gut durchdachter Erneuerbaren-Ausbau kann nicht nur unser Klima, sondern auch unser Stromnetz entlasten. Und dann müssen ÖsterreicherInnen bei zukünftigen Stromausfällen sicherlich nicht mehr im Dunkeln festsitzen.
Fazit:
ExpertInnen sind überzeugt: Das Energiesystem der Zukuft ist grün. Um zukünftige Blackouts verhindern zu können, muss das europäische Stromnetz jedoch neu gedacht werden. Denn erst wenn Netz und saubere Energieträger gut miteinander funktionieren, kann eine nachhaltige und zugleich sichere Stromversorgung möglich sein.