Zwei österreichische Ingenieurbüros haben den Zuschlag für die Planung eines Großbauprojekts in Indien mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 300 Millionen Euro erhalten. Herzstück ist eine topmoderne Stadtseilbahn in Varanasi, die künftig Pilgerströme regulieren soll.
Steile Berghänge, Baumwipfel und smaragdgrüne Seen. Dazwischen tiefenentspannte Kühe, die auf saftigen Wiesen grasen. Der Blick aus der Gondel erinnert hierzulande fast immer an nostalgische Heimatfilme. Selbst in den Wintermonaten. Da gibt’s das Ganze dann in schneebedeckt, nur mit Wintersportler:innen statt Kühen. Anders hingegen die Aussicht in anderen Teilen der Welt. Dort schauen Seilbahnpassagier:innen auf Touristenattraktionen wie die Chinesische Mauer oder tropische Regenwälder hinab und schweben über Hochhäuser und dicht befahrene Straßen hinweg. Seilbahnen, speziell jene im urbanen Raum, sind heute ein wichtiger Teil der Infrastruktur, weil sie Brücken oder U-Bahnen ersetzen und helfen, stark befahrene Streckenabschnitte zu entlasten. Besonders großes Potenzial sieht die Branche derzeit in Asien, wo man mitunter nicht nur Verkehrsströme zu regulieren versucht, sondern auch Pilgerströme, wie etwa in Varanasi im Norden Indiens.
Per Stadtseilbahn zur Pilgerstätte
Die Stadt am Ufer des Ganges gilt mit mehr als 200 Tempeln als eines der wichtigsten spirituellen Zentren Indiens und zieht täglich Zehntausende Pilger:innen und Tourist:innen aus der ganzen Welt an. Noch zwängen diese sich zu Fuß durch die überfüllten Straßen der dicht bebauten Stadt. Ab 2025 soll hier jedoch eine hochmoderne Stadtseilbahn Abhilfe schaffen und bis zu 3.000 Passagier:innen pro Stunde und Richtung sicher vom Bahnhof in die Nähe des Kashi-Vishwanath-Tempels, einer der wichtigsten Pilgerstätten, bringen. Die rund 150 Kabinen mit jeweils zehn Plätzen werden dabei bis zu 40 Meter über der Millionenstadt schweben.
Vor Kurzem wurde auch eine zweite Linie in Auftrag gegeben, die vom Bahnhof nach Raj Ghat am Ufer des Ganges führen soll. Und das scheint erst der Anfang gewesen zu sein, denn laut indischen Behörden könnten hier weitere Linien folgen und zu einem öffentlichen Nahverkehrsseilbahnnetz ausgebaut werden. „Moderne Seilbahnen im Allgemeinen und als Transportmittel im Speziellen sind ein sehr neues Thema am indischen Markt. Von Beginn an bei der Entwicklung dabei zu sein, ist besonders reizvoll“, freut sich Projektleiter Markus Türtscher.
Schweben statt stauen
Das Projekt in Varanasi ist das am weitesten fortgeschrittene Seilbahnprojekt und das Herzstück des Großauftrages, das die BERNARD-Gruppe aus Hall in Tirol gemeinsam mit Seilbahnfachplaner SALZMANN Ingenieure aus Bregenz übernommen hat. Insgesamt sind die beiden Unternehmen für die wesentliche Planung von elf Seilbahnstandorten in ganz Indien verantwortlich, das Gesamtinvestitionsvolumen liegt bei 300 Millionen Euro. Ein Großauftrag, der ebenso spannend wie fordernd ist, denn Ausgangslage und Aufgabenstellung variieren je nach Standort. So geht es in Varanasi, in New Tehri und Nainital vor allem darum, den Verkehr mittels Seilbahn zu entlasten, während etwa in Nashik in Maharashtra zwei Pilgerstätten miteinander verbunden werden sollen.
Am schwierigsten seien der Entscheidungsfindungsprozess sowie bürokratische Hürden, sagt Markus Türtscher von der BERNARD-Gruppe. Doch auch das Klima und die Topographie würden eine große Rolle spielen. „Eine besondere Herausforderung ist die eingeschränkte Zugänglichkeit mancher Projektgebiete – sowohl in der Planungsphase als auch in der Umsetzungsphase.“
Internationales Teamwork
Für die BERNARD-Gruppe, die unter anderem für die Mobilitäts- und Infrastrukturplanung, Untersuchungen zu Auswirkungen auf die Umwelt und die Projektsteuerung in der Planungsphase verantwortlich ist, ist dies nicht der erste Großauftrag aus Indien. Auch nicht der exotischste. Denn ihr Frühwarnsystem in Bangladesch, das Kollisionen zwischen Elefanten und Zügen verhindern soll, ist in dieser Hinsicht nur schwer zu toppen. Dank des eigenen Standorts in Indien konnten sie aber viel lokales Know-how erwerben. Wissen, das ihnen jetzt besonders zugutekommt, sagt Markus Türtscher: „Durch die in früheren Projekten gemachten Erfahrungen spielen kulturelle Unterschiede eine untergeordnete Rolle und die Zusammenarbeit der Projektteams in Indien, Österreich und Deutschland funktioniert sehr gut.“ Wobei es dem Tiroler Ingenieurbüro nicht rein darum geht, nur im technischen Bereich nachhaltige Lösungen zu finden. Man wolle auch einen Wissenstransfer sicherstellen und lokalen Ingenieur:innen das Werkzeug mitgeben, um Infrastrukturbauten im Sinne einer nachhaltigen Projektabwicklung künftig selbst betreuen und warten zu können.
Über die BERNARD-Gruppe:
Die BERNARD-Gruppe mit Hauptsitz in Hall in Tirol wurde 1983 gegründet. Heute wird sie in zweiter Generation geführt und beschäftigt 500 Mitarbeiter:innen weltweit. Das interdisziplinäre Ingenieurbüro hat neben Standorten in Österreich und Deutschland auch Niederlassungen in China, Indien, im Irak und in Uganda.