Nachhilfe vom Musterschüler – was wir uns im Bildungsbereich von Finnland abschauen können

Wenn es um Bildung geht, zählt Finnland zu den VorzeigeschülerInnen. Und selbst die Coronakrise haben die finnischen Schulen besser gemeistert als viele andere. Was ist ihr Erfolgsrezept? Und was kann Österreich von Finnland lernen? Oder sogar noch besser machen?

Es hat ein Virus gebraucht, um Schüler und Schülerinnen den Präsenzunterricht und Eltern die Pädagoginnen und Pädagogen ihrer Kinder wertschätzen zu lassen. Vor rund 18 Monaten wurden Schulen geschlossen und der Unterricht von einem Tag auf den anderen vom Klassen- ins Kinderzimmer verlegt. Die Krise hat einen Digitalisierungsschub losgetreten, für den wir sonst Jahre gebraucht hätten. Gleichzeitig hat sie aber auch die Schwachstellen des Schulsystems gnadenlos offengelegt. Jedoch nicht überall. Es gab Länder wie Finnland, deren Bildungsbereich besser für diese Herausforderung gewappnet waren als viele andere. Aber: Warum genau stellt man gerade Finnland so ein gutes Zeugnis aus? Dieser Frage gingen auf Einladung der Industriellenvereinigung ExpertInnen aus Österreich und Finnland in Form einer digitalen Fachdiskussion mit dem Titel „COVID-19: CHANCES & CHALLENGES IN EDUCATION“ nach.

Bildungsbereich Finnland
Tina Dworschak, Expertin im Bereich Bildung und Gesellschaft, kennt das Erfolgsrezept von Finnland und weiß was wir uns vom dortigen Bildungsbereich abschauen könnten.Foto: Industriellenvereinigung

Unter den TeilnehmerInnen waren Tuija Lindström, Projektleiterin der Lernplattform Digi One, Jouni Kangasniemi, Programmdirektor der nationalen Bildungsagentur in Finnland, Ari Myllyviita, Lehrer an der Viikki Teacher Training School in Helsinki, sowie Iris Rauskala, Chief Digital Officer im Bildungsministerium und ehemalige Bildungsministerin, Tina Dworschak, Expertin im Bereich Bildung und Gesellschaft bei der IV und Heinz Knasar, Vizedirektor und IT-Beauftragter an der International Bilingual School in Graz. Und das ist dabei herausgekommen:

Fünf Gründe, warum der Bildungsbereich in Finnland im Corona-Stresstest so gut abgeschnitten haben:

1. Schneller als Corona

Niemand konnte die Krise voraussehen. Nicht einmal die FinnInnen. Dennoch waren sie darauf vorbereitet. Dank einer Schulreform, die beschlossen wurde, nachdem Finnland in der Pisa-Studie im Bereich Mathematik zwischenzeitlich vom zweiten auf den zwölften Platz abgerutscht war. Seit 2016 gilt daher ein neuer Lehrplan, der unter anderem den verstärkten Einsatz von Laptops und Tablets vorsieht. Den digitalen Ansatz haben die FinnInnen damals ganz bewusst gewählt, weil sie erkannt hatten, dass in diesem Bereich Aufholbedarf bestand.

Also investierten sie in Tablets und Notebooks, Software und Weiterbildungskurse und sorgten so dafür, dass die digitale Infrastruktur schon lange vor der Pandemie vorhanden war. Dementsprechend leicht fiel den SchülerInnen und PädagogInnen die Umstellung vom analogen auf den digitalen Unterricht. „Manche Kinder arbeiteten im Fernunterricht sogar deutlich besser mit als in der Schule“, erklärt Ari Myllyviita, Lehrer an der Viikki Übungsschule für angehende LehrerInnen. Den Umgang mit dem Computer seien sie bereits gewohnt gewesen, die Ruhe hätte beim Lernen geholfen.  

2. Von ExpertInnen unterrichtet

Mit der technischen Infrastruktur allein ist aber noch nicht sichergestellt, dass man auch wirklich alle SchülerInnen erreicht. Hier kommen die Lehrkräfte ins Spiel. Diese gelten in Finnland als ExpertInnen und genießen ein ähnlich hohes Ansehen wie ÄrztInnen, AnwältInnen oder IngenieurInnen. Immerhin muss man erst einmal die schriftliche Aufnahmsprüfung und anschließend den mündlichen Eignungstest bestehen, um überhaupt zum Lehramtsstudium zugelassen zu werden. Im Frühjahr 2018 schafften das an der Universität Helsinki lediglich neun Prozent der BewerberInnen.

In New York gibt es z. B. eine Schule, in der mithilfe Künstlicher Intelligenz individualisierte Unterrichtspläne für jeden einzelnen Schüler und jede einzelne Schülerin erstellt werden.

Tina Dworschak, Expertin im Bereich Bildung und Gesellschaft bei der Industriellenvereinigung

Bei dem strengen Auswahlverfahren zählen aber nicht nur Noten und Leistung, sondern auch, dass man für die Arbeit mit Kindern geeignet ist. So wird erwartet, dass finnische LehramtsanwärterInnen sich schon im Vorfeld Gedanken darüber machen, wie Kinder am besten lernen oder welcher Typ Lehrer/in sie einmal sein möchten. Dafür haben sie später viele Freiheiten. Die wichtigsten Lernziele sind zwar im nationalen Bildungscurriculum verankert, abgesehen davon dürfen Lehrende aber frei entscheiden, wie und was sie unterrichten und welche Materialien sie verwenden.

3. Digitutor – eine/r für alle

Der Umgang mit digitalen Medien ist Teil der anspruchsvollen Ausbildung. Und auch nach dem Studium bilden sich die PädagogInnen entsprechend weiter. Sollten trotzdem Fragen auftauchen, können sie sich an einen „Digitutor“ wenden. Auch dieses Konzept wurde bereits vor der Pandemie entwickelt und habe sich mittlerweile bewährt, sagt Jouni Kangasniemi, Programmdirektor der nationalen Bildungsagentur in Finnland. Die Lehrkraft, die diese Funktion übernimmt, unterrichtet einen Teil der Zeit regulär, ist aber auch dafür zuständig, die KollegInnen digital fit zu machen und ihnen beim Einsatz digitaler Medien zu helfen.

Digitale Unterstützung gibt es aber auch von WILMA, so der Name des digitalen Klassenbuchs, das bereits seit Jahren im Einsatz ist und sich in Coronazeiten als besonders nützlich erwies. Auf der Plattform können Hausaufgaben, Bewertungen, Jahresendnoten, Testergebnisse oder Verspätungen eingetragen werden. Obendrein erleichtert WILMA die Kommunikation zwischen LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern.

4. Handys erlaubt

Tablets, Laptops, Smartboards oder Beamer haben sich in den finnischen Klassenzimmern längst etabliert. Selbst Handys sind erlaubt. Die Kinder lernen früh, mit der Technik umzugehen. Laut Lehrplan sollen sie ab der ersten Klasse Unterstufe in allen Fächern Informations- und Kommunikationstechnologie erlernen. Im Mathematikunterricht steht ebenfalls ab der ersten Klasse Programmieren am Stundenplan. Bis zur dritten Klasse müssen die SchülerInnen sich mit Word und Excel auskennen.

Bildungsbereich Finnland
Tablets haben im Unterricht nichts zu suchen? – Von wegen! In finnischen Schulen sind die mobilen Endgeräte bereits fester Bestandteil des Unterrichts.Foto: adobe stock | Syda Productions

5. Fragen erwünscht

Die Digitalisierung macht den Unterricht aber nicht automatisch besser. Auch die didaktischen Konzepte müssen auf die neue mediale Ausrichtung abgestimmt sein. Im Bildungsbereich in Finnland setzt man daher seit 2016 unter anderem auf „Phenomenon-based-learning“. Dabei handelt es sich um eine Art fächerübergreifendes und projektbasiertes Lernen. In der Praxis sieht das so aus, dass reale gesellschaftliche Probleme wie etwa der Klimawandel oder die Flüchtlingspolitik aufgegriffen und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden.

Dabei ist Wissen aus mehreren Fächern wie zum Beispiel Geografie, Mathematik, Geschichte oder den Naturwissenschaften erforderlich. Mithilfe von Laptops, Tablets, Zeitungen und eigenen Experimenten müssen die SchülerInnen selbstständig Informationen beschaffen, analysieren und einordnen. So lernen sie Fragen zu stellen, Lösung zu finden und eigene Ideen zu entwickeln, statt einfach nur Antworten auswendig aufzusagen.

Und was machen wir?

Österreich möchte dorthin, wo Finnland im Bildungsbereich schon ist, und hat auch einen Plan, wie das gelingen kann. Einen Acht-Punkte Plan, um genau zu sein. Dieser soll die Rahmenbedingungen für einen zeitgemäßen Unterricht schaffen. Darin vorgesehen sind unter anderem die Ausstattung der Schulklassen mit Endgeräten, der Ausbau der digitalen Infrastruktur an Schulen, aber auch Online-Fortbildungen für PädagogInnen sowie die Vereinheitlichung der Kommunikationswege. Es geht aber nicht nur darum, auf die nächste Krise vorbereitet zu sein oder den Fernunterricht interessanter zu gestalten.

Die Technologien sind bereits vorhanden.

Tina Dworschak über das Potential digitaler Medien in österreichischen Schulen

Vielmehr möchte man die digitalen Medien in den Präsenzunterricht integrieren und so eine neue Form des Lernens entwickeln, erklärt Iris Rauskala, die für die Umsetzung des Acht-Punkte-Plans verantwortlich ist. SchülerInnen sollen die für ihr späteres Leben so wichtigen digitalen Grundkompetenzen erwerben, Lehrende darin unterstützt werden, besser auf einzelne SchülerInnen eingehen zu können. Zum Beispiel mit eigenen Lern-Apps, die einem sofort Rückmeldung darüber geben, wo einzelne SchülerInnen gerade stehen und wie man sie gezielt fördern kann. Rund 250 Millionen Euro investiert die Bundesregierung in den Acht-Punkte-Plan, der durchaus ambitioniert ist. Darin sind sich alle einig.

Individuelles Lernen für alle

Es werden aber auch Stimmen laut, die meinen, Österreich müsse noch weiter vorausplanen. „Die Technologien sind bereits vorhanden“, meint etwa Tina Dworschak, Expertin im Bereich Bildung und Gesellschaft bei der Industriellenvereinigung. „In New York gibt es z. B. eine Schule, in der mithilfe Künstlicher Intelligenz individualisierte Unterrichtspläne für jeden einzelnen Schüler und jede einzelne Schülerin erstellt werden. Da fließt unter anderem mit ein, wo er oder sie Nachholbedarf hat, was auf welchem Level geübt werden muss, aber auch was ihm oder ihr besonders gefällt.“ Nur zu den anderen aufschließen zu wollen, sei zu wenig. Österreich brauche eine langfristige Vision, wie man die vielen Potenziale, die die Digitalisierung mit sich bringt, bestmöglich ausschöpfen kann. Und wer weiß: Sollte dies gelingen, ist vielleicht irgendwann Österreich der Musterschüler, von dem die anderen lernen möchten.

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