Bio-Klebstoff

Frisch vom Feld: Niederösterreich forscht an erstem Bio-Klebstoff für die Industrie

Klebstoff könnte bald völlig ungiftig und schonend für Mensch und Umwelt sein. In Zusammenarbeit mit dem Land Niederösterreich widmen sich Forschungs- und Firmenpartner gerade dem spannenden Thema Bio-Klebstoff.

Die Geschichte beginnt im Frühling 2018. Im Rahmen des FTI-Programms (Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik) des Landes Niederösterreich fanden sich Forschungs- und Unternehmenspartner zusammen, um mit vereinten Kräften an einem völlig neuartigen Thema zu arbeiten. Projektname: „BioSet“. Dass „to set“ im Englischen für „abbinden“ oder „aushärten“ steht, verrät schon ein wenig über das Ziel dieses speziellen Projekts, nämlich neuartige Industrieklebstoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe zu produzieren. Schlussendlich soll eine Möglichkeit entwickelt werden, um aus Kartoffel-, Mais- oder auch Weizenstärke biobasierte, umweltfreundliche Klebstoffe zu erzeugen. Verwendung sollen sie zum Beispiel im Baubereich oder auch bei der Spanplattenproduktion finden. Und das hätte zahlreiche Vorteile für Mensch und Umwelt.

Von Ötzi bis zur Zahnprothese

Der erste Klebstoff der Menschheit dürfte tonhaltige Erde gewesen sein, die man in der Urzeit zum Abdichten von Höhlen nutzte. Auch Ötzi, die bekannteste Mumie der Welt, hatte mit Birkenpech geklebte Pfeile bei sich, als er vor über 5.000 Jahren die Ötztaler Alpen durchstreifte. Heute ist Klebstoff quasi in fast allen Dingen zu finden, von A wie Auto bis Z wie Zahnersatz. Über sechs Millionen Tonnen unterschiedlicher Klebstoffe und Bindemittel verbraucht Europa pro Jahr. Anwendung finden Klebstoffe praktisch in sämtlichen Industriebereichen, von der Papier- und Verpackungsbranche über die holzverarbeitende Industrie bis hin zum Bauwesen. Die Entwicklung von Bio-Klebstoffen hätte große Vorteile – für die Umwelt, aber auch für unser aller Gesundheit.

90 % der heutigen Klebstoffe werden nämlich aus fossilen Rohstoffen hergestellt, von denen wir wissen, dass sie nicht unendlich verfügbar sind. Viele der Komponenten sind leicht entflammbar oder setzen giftige Verbindungen frei. Besonders kritisch betrachten MedizinerInnen den Inhaltsstoff Formaldehyd, der als „wahrscheinlich karzinogen beim Menschen“ eingestuft wird, also krebserregend. Dennoch kommt er in vielen Klebern im Bauwesen und in der Holzindustrie vor. Die Nachfrage für gesünderen und umweltschonenderen Bio-Klebstoff ist also groß.  

Das Team rund um BioSet

Drei Forschungs- und drei Firmenpartner fanden sich für das Bio-Klebstoff-Projekt zusammen, um diese Nachfrage bald stillen zu können. Neben der Forschungseinrichtung für Holz und nachwachsende Rohstoffe Wood K plus, dem Leim-Experten Metadynea und dem Institut für Umweltbiotechnologie des BOKU-Departments IFA-Tulln ist auch der österreichische Nahrungsmittel- und Industriegüterkonzern Agrana im Forschungsteam von BioSet. Da der Konzern neben Fruchtzubereitungen und Fruchtsaftkonzentraten auch Stärke und Zucker im Programm hat, sucht man mit dem internen Agrana Research & Innovation Center in Tulln schon seit Längerem nach neuen Möglichkeiten, diese Stärke in zukunftsweisenden Technologien einzusetzen. Nun soll sie bald die Grundlage der Bio-Klebstoffe bilden.

Heute Zucker, morgen Bio-Klebstoff: Das Agrana Research Center forscht derzeit daran.Foto: Agrana

Zwischen zwei Welten

Das Team arbeitet an einer Schnittstelle zwischen Biologie und Chemie. Mittelpunkt sind Enzyme, die vielversprechende Ergebnisse für sanftere chemische Lösungen ermöglichen. Eines der wichtigsten ist das Enzym Laccase. In der Natur ist Laccase in Pflanzen, Mikroorganismen und Pilzen zu finden, aber auch im schmerzhaften Gift von Wespen. Industriell verwendet man es zur Bleichung von Zellstoff in der Papierindustrie oder bei der Herstellung von Weinkorken.

In der Zusammenarbeit mit Agrana ging es darum, „gezielt Oxidationen der funktionellen Gruppen in den Kohlenhydratstrukturen der Stärke herbeizuführen“. Dabei entstehen sogenannte Aldehyde, die mit einer Aminkomponente zu dreidimensionalen Polymeren vernetzen können. Klingt kompliziert? Ist es auch! Eine weitere vernetzende Komponente aus der Natur könnte aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz stammen: Lignin. Rund 500 Millionen Tonnen davon fallen jährlich als Nebenprodukt der Papierindustrie an. Bereits jetzt findet es in der Herstellung von Bio-Kunststoffen Verwendung.

Kein klebriges Green Washing

Dass sich die Entwicklung dieser neuen Bio-Klebstoffe schon über vier Jahre zieht, hat mit der Komplexität der Komponenten zu tun. Diese sogenannte Naturstoffchemie muss mit den Strukturen arbeiten, die die Natur zu Verfügung stellt. Nicht jede Stärke ist gleich, und auch Lignin unterscheidet sich je nach Herkunft stark in seinen Eigenschaften. Da der Großteil der Bindemittel heute synthetisch hergestellt wird, stecken jene aus nachwachsenden Rohstoffen einfach noch in den Kinderschuhen. Ein Grund dafür ist, dass in Bindemitteln aus nachwachsenden Rohstoffen im Moment noch wenig kommerziell Erfolgsversprechendes steckt.

Produkte auf Basis von Soja-Presskuchen wurden bereits erprobt, dem Projekt BioSet ist dies aber nicht nachhaltig genug. Es mache wenig Sinn, Materialien zuerst nach Europa zu transportieren, wenn sie doch lokal aus der Agrana-Produktion in Tulln kommen könnten. Zudem sollten die Ergebnisse auch tatsächlich ökologisch vertretbar sein. Es reicht also nicht, nachwachsende Rohstoffe zu verwenden, die im industriellem Maßstab Probleme machen würden. Das Endprodukt muss in industrieller Produktion hergestellt und auf einem großen Markt angeboten werden können. Keine leichte Aufgabe für WissenschafterInnen, die sonst im Milligrammbereich arbeiten. Im Moment hapert es auch noch an der Nassfestigkeit der entstehenden Kleber.

Bio-Klebstoff startet bald durch

Mit der bisherigen Zusammenarbeit zeigen sich alle Beteiligten sehr zufrieden, heißt es in einem offiziellen Statement zum derzeitigen Stand der Dinge. Es wurden bereits viele unterschiedliche Klebstoffrezepturen untersucht und getestet. Ziel und somit Ende des Projekts BioSet soll es sein, eine Grundlage für ein Verfahren zu entwickeln, das in industrielle Maßstäbe übertragen werden kann. Auf Fakt&Faktor halten wir Sie dazu auf dem Laufenden!

Alle Partner des Projekts BioSet:

ecoplus Niederösterreichische Wirtschaftsagentur GmbH, Universität für Bodenkultur Wien/IFA-Tulln, Kompetenzzentrum Holz GmbH (Wood K plus), Technische Universität Wien, Agrana Research & Innovation Center GmbH, Murexin GmbH, Metadynea Austria GmbH


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