Schlüsselerlebnis war eine IT-Konferenz. Von 70 Redner:innen waren nur sieben weiblich. Mehr habe er nicht gefunden, so die Begründung des Veranstalters. „Dann schau doch besser hin“, dachte sich Avanade Österreich-Chefin Christiane Noll und schrieb das Buch „IT-Girls – Wie Frauen die digitale Welt prägen“.
Wenn man Christiane Noll gegenübersitzt, vergisst man schnell, wen man vor sich hat. Sie plaudert locker drauf los, stellt Fragen, lächelt viel. Erzählt, wie sie das Software-Unternehmen update mitaufgebaut hat und von ihrer Zeit bei Microsoft Österreich. Spricht über rosarote Einhörner im Metaverse, eine wichtige Präsentation, die sie nach nur 15 Minuten abbrechen musste, und darüber, dass sie vor Kurzem einen 60-jährigen Mann eingestellt hat, nachdem dieser von seinem ehemaligen Arbeitgeber mit Golden Handshake verabschiedet worden war. Man dürfe eben nicht nur über Diversity reden, sondern müsse diese auch vorleben. Und sie erklärt, wie man Frauen in der Technik gezielt fördern und vor den Vorhang holen kann. Sie selbst hingegen ist durch Zufall in der IT gelandet, aber mit Absicht dortgeblieben.
Erst Tirol, dann die ganze Welt
„Eigentlich komme ich aus der Tourismusbranche“, verrät die gebürtige Tirolerin, „wie auch meine Eltern, was in Tirol nicht unbedingt eine Seltenheit ist. Da arbeitet ja jede:r irgendwie im Tourismus.“ In Tirol habe es sie aber nicht lange gehalten, sie wollte lieber reisen, ihren Horizont erweitern und neue Kulturen entdecken. So verbrachte Christiane Noll unter anderem Zeit in Griechenland, wo sie im Management der Sommerakademie, einer Art Kunst- und Kultururlaub, tätig war. „Dort fahre ich noch heute jedes Jahr mit meiner Tochter hin, inzwischen ist sie 22. Und jedesmal probiere ich etwas Neues aus, was nicht heißt, dass ich es am Ende auch wirklich kann“, lacht sie. „Letztes Jahr habe ich zum Beispiel einen Kurs über Ikonenmalerei belegt, wir haben aber auch schon Schmuck gebastelt, einen Kurs von Klaus Eckel zum Thema Humor besucht oder Griechisch gelernt.“
Manchmal liegt das Gute gleich ums Eck
Auch Südfrankreich und Argentinien stehen auf der Liste jener Länder, in denen Christiane Noll schon gelebt hat. Für die update software AG, jenes Unternehmen, das den Beginn ihrer IT-Karriere markiert, entschied sie sich jedoch – eigentlich untypisch für sie – der geografischen Nähe wegen. „Das Büro lag damals gleich ums Eck von meiner Wohnung in Wien, in der Anzengrubergasse“, erinnert sie sich. „Es war ein Start-up, wie man heute sagen würde, damals gab es den Begriff noch nicht, und man war auf der Suche nach einer Marketingverantwortlichen. Also bin ich hingegangen, in Leiberl und Jeans, und habe mit den fünf Leuten, die dort gesessen sind, das ‚Bewerbungsgespräch‘ geführt. Aber eigentlich war es eher eine nette Plauderei.“
Anfangs war die Tirolerin für das Marketing verantwortlich, doch schon nach ein paar Monaten wechselte sie in den Vertrieb. „Und dann haben wir die update software AG aufgebaut“, erzählt sie. „Angefangen haben wir mit weniger als zehn Leuten, dann waren es plötzlich 300, später 500. Wir haben zwölf Niederlassungen in verschiedenen Ländern gegründet. Und im Jahr 2000 ging es schließlich an die Börse.“ Es sei eine tolle Erfahrung gewesen und sie sei in dieser Zeit viel herumgekommen, schwärmt sie. Dennoch entschied Christiane Noll sich dafür, weiterzuziehen, und wechselte vom einst kleinen Start-up zu einem weltweiten Konzern: Microsoft Österreich.
„Frauen ziehen Frauen an“
„Mein Plan war, nur kurz zu bleiben und mich dann selbstständig zu machen, aber ich bin eine sehr treue Seele“, schmunzelt sie. Und so wurden letztendlich sechs Jahre daraus, in denen Christiane Noll verschiedene Bereiche in der Geschäftsleitung verantwortete. Ein Kollege, den sie von Microsoft kannte, war es auch, der ihr später vorschlug, Avanade in Österreich, ein gemeinsames Unternehmen von Microsoft und dem Berater Accenture, aufzubauen. Anfangs skeptisch, willigte sie doch ein.
Inzwischen suche ich gar nicht mehr ausdrücklich nach Frauen. Es passiert von selbst, denn Frauen in Führungspositionen ziehen andere Frauen an.
Christiane Noll, Avanade Österreich-Chefin
Eine Entscheidung, die sie nicht bereuen sollte. „Ich finde es irre schön, weil wir vom Beginn weg die richtige Richtung vorgeben und ein tolles Team aufbauen konnten und so viele Gestaltungsmöglichkeiten haben.“ Was auffällt, ist, dass es Christiane Noll gelungen ist, viele Frauen mit ins Boot zu holen. So waren 40 Prozent der Neueinstellungen bei Avanade Österreich im vergangenen Jahr weiblich, auf Führungsebene sind es sogar 60 Prozent. „Zuerst habe ich sehr darauf geachtet, Frauen einzustellen. Inzwischen suche ich aber gar nicht mehr ausdrücklich nach Frauen. Es passiert von selbst, denn Frauen in Führungspositionen ziehen andere Frauen an.“
„So arbeiten wir nicht“
Das Thema Diversity liegt ihr besonders am Herzen, auch wenn dieses zu Beginn ihrer Karriere noch keine große Rolle in ihrem Leben spielte. War es bei der update software AG doch selbstverständlich, dass Frauen Führungspositionen einnehmen. „Ich habe eigentlich keine Steine in den Weg gelegt bekommen. Schwierig ist aber, wie man auf bestimmte Situationen reagiert und dass man sich nicht beirren oder einschüchtern lässt.“ So sei ihr eine Präsentation ganz besonders in Erinnerung geblieben. „Der Raum war voller Herren, was ich gewohnt bin. Allerdings waren diese derart respektlos, haben nicht zugehört, mich unterbrochen und dazwischengerufen. Eine Viertelstunde habe ich es ausgehalten, doch dann habe ich mein Notebook geschlossen, den Beamer zusammengepackt und gesagt ‚Ich denke, es ist besser, wir brechen ab. Wir sind nicht der richtige Partner für Sie.‘“
Völlig irritiert sei ihr der Geschäftsführer hinterhergelaufen, doch Christiane Noll blieb bei sich und bei ihrer Entscheidung. „,Das ist keine Umgangsform‘, habe ich ihm gesagt. ‚Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Kunde von uns und Sie gehen so mit meinen Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen um. So arbeiten wir nicht.“ Geholfen habe ihr vor allem, dass ihr Team geschlossen hinter ihr und ihrem Entschluss stand, sie sogar darin bestärkte. „Mit dem Bewusstsein, dass das Team zusammenhält, strahlt man etwas anderes aus und geht anders in Meetings. Ich finde es wichtig, dass man sich selbst positioniert und Grenzen setzt, auch wenn es nicht immer leicht ist.“
Von Avatar zu Avatar
Ganz anders ist es hingegen in der digitalen Welt. Dort hilft Avanade, einer der weltweit führenden Anbieter von digitalen Dienstleistungen, Cloud- und Beratungsdiensten, ebendiese zu überwinden. Schaffen cloudbasierte Plattformen doch die Voraussetzungen, um in virtuelle Welten einzutauchen und quasi das Internet begehbar zu machen. „Wir haben vor Kurzem zum Beispiel Recruiting-Gespräche in der virtuellen Welt, also im Metaverse, abgehalten“, erzählt die Avanade Österreich-Chefin. „Dafür loggt man sich ein, definiert seinen Avatar so, wie man ihn haben will, etwa mit Kappe oder Brille, grünen Haaren oder gar keinen, und geht dann in diesen virtuellen Raum hinein, wo man sich Vorträge anhört oder andere Avatare anstupst, sich nach deren Firma erkundigt oder mit ihnen an der Bar einen virtuellen Gin Tonic trinkt.“ Auch Onboardings, Meetings oder Konferenzen könne man ins Metaverse verlagern und so auf spielerische Art neue Unternehmen, Kolleg:innen oder Produkte kennenlernen.
Ganz oft stehen hinter erfolgreichen Männern sehr starke Frauen, die sich eher im Hintergrund halten und daher übersehen werden. Da muss man versuchen, sie vor den Vorhang zu holen und ihnen eine Chance zu geben.
Christiane Noll
„Ich finde es sehr spannend, so etwas einmal erlebt zu haben. Es macht etwas mit einem, vor allem, wenn man dabei eine Virtual-Reality-Brille trägt.Und es ist immer wieder lustig zu sehen, welche Avatare andere auswählen. Einen Kollegen von mir, der einen großen Bereich im Top-Management verantwortet, erkenne ich zum Beispiel sofort, weil er im Metaverse als rosarotes Einhorn durch die Gegend galoppiert“, lacht sie. Fügt aber hinzu, dass diese Art des Zusammentreffens kein persönliches Gespräch ersetzen könne, aber zumindest Menschen auf der ganzen Welt miteinander verbinden würde, egal, wo man sich gerade aufhält.
Wer richtig suchet, der findet
Vor allem der persönliche Kontakt zu Ihren Mitarbeiter:innen ist ihr wichtig, „People First“ ihr Leitspruch. Ein diverses Team zusammenzustellen, ist manchmal jedoch Knochenarbeit, gibt sie zu. „Wenn ich einen Job ausschreibe, dann bewerben sich fünf Männer und eine Frau. Die Frau, die wirklich perfekt für den Job ist, bewirbt sich aber meistens nicht, weil sie sich die Position nicht zutraut.“ Diese Frauen gelte es, ganz bewusst zu fördern. Denn ganz oft, so die Erfahrung von Christiane Noll, stehen hinter erfolgreichen Männern sehr starke Frauen, die sich eher im Hintergrund halten und daher übersehen werden. „Da muss man versuchen, sie vor den Vorhang zu holen und ihnen eine Chance zu geben.“
Am Anfang der IT-Geschichte stehen Frauen
Der Ausrede, dass man gerne Frauen anstellen möchte, aber keine findet, kann sie nicht viel abgewinnen. Denn es gibt sie, die hochqualifizierten Technikerinnen, man muss jedoch genau hinschauen. Das war auch der Grund, warum die Avanade Österreich-Chefin sich entschied, ein Buch zu schreiben. Insgesamt bat sie dafür 18 außergewöhnliche Frauen, die die Tech-Welt prägen, zum Interview. Darunter etwa die Physikerin, Informatikerin und Soziologin Ina Wagner, Google-Österreich Chefin Christine Antlanger-Winter oder Game-Development-Expertin Johanna Pirker. Ihre Biografien sollen andere Frauen dazu animieren, den Schritt in die Technik zu wagen und die Tech-Branche aktiv mitzugestalten.
Immerhin war Programmieren bis in die 1980er-Jahre vorwiegend ein Frauenjob. Angefangen von Ada Lovelace, die das erste Computerprogramm der Welt entwickelte, über die Frauen, die die ersten Rechner, die ganze Räume ausfüllten, mit Informationen fütterten und programmierten, bis hin zu Mathematikerinnen wie Kathleen Johnson und Margaret Hamilton, die bei der NASA Pionierarbeit leisteten. Erst danach wurde die Tech-Branche zur Männerdomäne. Auch das steht in Christiane Nolls Buch „IT-Girls – Wie Frauen die digitale Welt prägen“.
Miteinander statt gegeneinander
Eines der wichtigsten Themen überhaupt sei aber, dass Frauen zusammenhalten, einander unterstützen und fördern. „Immer wieder werde ich darauf angesprochen, dass zum Beispiel Christine Antlanger-Winter und ich Konkurrentinnen sind. Das sehe ich aber nicht so. Wir vertreten andere Unternehmen, wie ganz viele andere Menschen auch, aber das bedeutet nicht, dass wir einander nicht mit Respekt und Wertschätzung begegnen.“ Darum unterstütze sie auch Frauennetzwerke und hat sogar ein eigenes gegründet, das sich „Brain und Champagne“ nennt.
Bei der letzten Veranstaltung, für die sie Justizministerin Alma Zadić und die Sozialunternehmerin Hannah Lux als Rednerinnen gewinnen konnte, kam der Vorstand eines sehr großen Unternehmens auf sie zu und meinte überrascht, dass er noch nie so viele Frauen auf einer Veranstaltung gesehen hätte. „Ich sag’ ja, Frauen ziehen Frauen an. Und es verändert sich etwas. Vor allem das Bewusstsein der jungen Leute, von denen aktuell aber nur wenige Führungspositionen innehaben. Doch ich bin fest davon überzeugt, dass sich da noch viel tun wird.“