Achtung, Verstopfung! Die Pandemie landet direkt in unseren Mülltonnen

Homeoffice, Onlinehandel und Reiseverbote lassen die Mülltonnen in Privathaushalten explodieren. Parallel sorgen billiges Rohöl und minderwertige Pappkartons für Sorgenfalten bei den Recyclingbetrieben.

Corona ist in den Mülltonnen angekommen. Schon im ersten Lockdown im Frühjahr hinterließen Ausgangsbeschränkungen, Geschäftsschließungen und Homeoffice deutliche Spuren. Der Hausmüllberg wuchs rasant, das Gewerbemüllaufkommen schrumpfte massiv. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Verschiebungen spüren auch die Sammel- und Recyclingunternehmen.

Ein Rückblick ins Frühjahr zeigt die Dramatik: Im Zuge des ersten Lockdowns mussten Handelsunternehmen, Gastronomie- und Tourismusbetriebe schließen. In der Industrie kam es zu Produktionsstopps, in der Bauwirtschaft mussten Baustellen stillgelegt werden. Das hat in den ersten zwei bis drei Wochen zu einem unmittelbaren Minus von bis zu 80 Prozent beim Gewerbemüll geführt.

Ein Fünftel mehr Hausmüll in den Mülltonnen

Umgekehrt die Situation im privaten Bereich: Kurzarbeit und damit verbundene Entrümpelungsaktionen daheim, Essenslieferungen statt Gastronomiebesuche, Onlineshopping statt Einkaufsstraßenbummel und Urlaub in Balkonien statt im Ausland ließen Mülltonnen schnell an ihre Aufnahmekapazitäten stoßen. Ein Plus von 15 bis 20 Prozent beim Hausmüll bilanzierten die österreichischen Entsorgungsbetriebe.

Muelltonnen
Die ARA verzeichnet beim Hausmüll ein Plus von 15 bis 20 Prozent!Foto: ARA | Werner Streitfelder

Eingesammelt, sortiert, sachgerecht entsorgt oder aufbereitet für eine ressourcenschonende Wiederverwertung werden diese Altstoffe von Entsorgungsbetrieben. Die Branche beschäftigt direkt und indirekt rund 43.000 MitarbeiterInnen, entsorgt rund zwei Drittel des gesamten in Österreich anfallenden Abfalls und erwirtschaftet vier Milliarden Euro Umsatz pro Jahr.

Mehr Altglas durch „Home-Drinking“

1.100 Hightech-Anlagen werden österreichweit betrieben, um aus der Abfall- eine Kreislaufwirtschaft zu machen. Auch zwischen gelben, schwarzen und grünen Tonnen, zwischen Shreddern, Sortieranlagen und Verbrennungsöfen sind die Folgen von Corona und der Globalisierung zu spüren.

Die ARA verzeichnete allein im ersten Halbjahr 2020 um 3 Prozent mehr Altglas als sonst. Nach dem Motto: Wenn der Wirt zu hat, wird daheim getrunken.

Da sind einerseits die steigenden Müllmengen aus den Haushalten. Die Bilanz der ARA (Altstoff Recycling Austria) listet für das erste Halbjahr: plus 1,3 Prozent bei Leichtverpackungen, plus 5,1 Prozent beim Altmetall (das Comeback der Konservendose), plus drei Prozent beim Altglas (wenn der Wirt zu hat, wird daheim getrunken).

Die Austria Glas Recycling rechnet gar mit einer Rekordsteigerung von rund 1.000 Sammel-LKW-Ladungen im Vergleich zum Vorjahr – und das allein rund um den Jahreswechsel. Zum Jahresende schnellt die Menge erfahrungsgemäß in die Höhe. Von Sektflasche bis Olivenglas, von Saftflasche bis Marmeladeglas – rund 30 Prozent mehr Altglas als im Jahresmittel füllen am Jahresende die Glascontainer. Zusätzliche Entleerungsfahrten rund um die Feiertage sind auch heuer eingeplant, um Hygiene und Sauberkeit in Stadt und Land sicherzustellen.

Dr. Harald Hauke, Geschäftsführer von Austria Glas Recycling und Vorstand der ARA AGFoto: Austria Glas Recycling/Imre Antal

Harald Hauke, Geschäftsführer von Austria Glas Recycling und Vorstand der ARA AG: „Auch wenn wir heuer leider zurückhaltend feiern müssen, gehe ich davon aus, dass die Glassammelmengen zu den Festtagen wie jedes Jahr ansteigen. Die Abfallwirtschaft und die Industrie sind jedenfalls gerüstet. Jede richtig entsorgte Glasverpackung wird dem Recycling übergeben. Altglas ist der wichtigste Rohstoff für die Glasproduktion.“

Recycling leidet an Verstopfung 

Da sind aber auch noch andererseits Corona und die globalen Folgen. „Die Coronakrise hat die Kreislaufwirtschaft substanziell getroffen. Sie leidet unter einer Art Verstopfung – und das bei hohen Fixkosten“, klagte ARA-Vorstandssprecher Christoph Scharff schon im Mai.

Christoph Scharff
ARA-Vorstandssprecher Christoph Scharff weiß: „Die Coronakrise hat die Kreislaufwirtschaft substanziell getroffen. Sie leidet unter einer Art Verstopfung – und das bei hohen Fixkosten.“Foto: ARA | Werner Streitfelder

Denn Corona hat zwar die Müllberge wachsen, aber die Nachfrage nach Sekundärrohstoffen wie etwa Kunststoffen aufgrund der Rezession einbrechen lassen. So stieg zwar dank Onlinehandel und Hygienevorgaben im Supermarkt die Menge an Plastikmüll, gleichzeitig sackte aber der Rohölpreis massiv ab.

Billiger Ölpreis bremst Recycling

Die Folge: Es ist billiger, neuen Kunststoff aus „frischem“ Rohöl zu produzieren als auf wiederverwertete Rohstoffe zurückzugreifen. Nach dem ersten Lockdown kam es so aufgrund der sinkenden Nachfrage nach Recyclingkunststoffen zu einem kurzfristigen Stillstand von 70 Prozent der österreichischen Kunststoffrecycler, schlägt man beim Verein Österreichischer Entsorgungsbetriebe (VOEB) Alarm.

Beim Altpapier gehen die Sammelmengen zwar schon einige Zeit zurück; daran hat auch Corona und der boomende Onlinehandel nichts geändert. In Deutschland aber klagen Recyclingbetriebe bereits, dass die Papiertonnen mit minderwertigen Kartonagen verstopft werden. In weiterer Folge sinkt auch dort der Preis, den die Papierindustrie bereit ist, für den Altstoff zu zahlen. 74,95 Euro pro Tonne waren es Mitte November, fünf Prozent weniger als im Monat zuvor. 2018 hatten Sammler für dieselbe Menge noch 163 Euro erhalten. Für Österreich gilt laut VOEB eine ähnliche Entwicklung.

Keine Mülltrennung bei Covid-19-Infektion

Und noch eine Coronafolge wird sich in den Mülltonnen widerspiegeln: eine sinkende Trennquote. In diesem Fall ist die aber erwünscht. Denn Haushaltsabfälle, mit denen Covid-19-Infizierte Kontakt hatten, gehören ausschließlich in den Restmüll. Das betrifft sowohl die leere PET-Flasche, die sonst in der gelben Tonne oder im gelben Sack gesammelt wird, als auch die Tageszeitung, die gewöhnlich zum Altpapier kommt.

Und es gilt auch für die persönliche Schutzbekleidung wie Mund-Nasen-Schutzmasken und Einweghandschuhe: All diese Abfälle gehören in den Restmüll, weil sie thermisch verwertet werden sollten, um Krankheitserreger zu vernichten.

Gut zu wissen:

Österreich ist im Recycling im europäischen Spitzenfeld und hat bereits heute die Zielvorgaben des EU-Kreislaufwirtschaftspakets 2025 für Verpackungen aus Papier, Glas und Metall erfüllt.

Um die von der EU vorgeschriebene Recyclingquote von 50 Prozent Kunststoffverpackungen im Jahr 2025 zu erreichen, braucht es aber eine Verdopplung des Recyclings von aktuell 75.000 Tonnen auf 150.000 Tonnen in den kommenden vier Jahren.

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