Jung, fleißig, gesucht: Corona vergrault Lehrlinge

Während der Pandemie drückten Lehrkräfte bei der Notenvergabe öfter mal ein Auge zu. Die Folge: Viele Jugendliche zogen den Schulbetrieb einer Lehre vor. Oder in Zahlen ausgedrückt: Uns fehlen 10.000 Lehrlinge in der Industrie.

Noten – egal, ob gut oder schlecht – sagen oft wenig über die tatsächliche Leistung aus. Und doch spielen sie eine entscheidende Rolle, wenn es um die berufliche Zukunft junger Menschen geht.  So wirkt sich die lockere Vergabe von Schulnoten während der Pandemie zwar positiv auf so manches Zeugnis aus, aber negativ auf Industrie und Wirtschaft. Zu diesem Schluss kommt IV-Präsident Georg Knill, der erklärt, dass durch die Corona-Aufstiegsklausel mehr Schüler und Schülerinnen an den Schulen bleiben und weniger eine Lehre beginnen. Konkret spricht er von 10.000 Jugendlichen, die am Arbeitsmarkt fehlen.

Die scheinbare Sackgasse nach dem Lehrabschluss hindert noch manche, eine Lehre zu absolvieren.

Werner Steinecker, z.l.ö.-Präsident

Das untermauert auch die Studie zur aktuellen Lehrlingssituation, die von der Lehrlingsinitiative zukunft.lehre.österreich (z.l.ö.) und der Industriellenvereinigung in Auftrag gegeben wurde. Demnach meinten 40 Prozent der 14- und 15-Jährigen, dass sie derzeit keine Probleme in der Schule haben und nicht Gefahr laufen, sitzenzubleiben. Nicht zuletzt wegen der Corona-Klausel. Das sei ihnen natürlich vergönnt. Die Pandemie führt aber gleichzeitig zu Verunsicherung. 36 Prozent der Befragten fällt es schwer, eine Entscheidung über die berufliche Zukunft zu treffen. Der Verbleib in der Schule erscheint vielen daher sicherer, als ganz neues Terrain zu betreten.

Studium auf dem ersten, Lehre auf dem fünften Platz

Noch dazu rechnen sich mehr als die Hälfte der Jugendlichen, nämlich 56 Prozent, mit einem Studium an einer Universität oder einer Fachhochschule die besten Karrierechancen aus. Die Lehre liegt mit nur 14 Prozent auf Platz fünf, hinter der Matura an einer berufsbildenden höheren Schule (BHS), der Lehre mit Matura und der AHS-Matura. Diese Einschätzung hat allerdings weniger mit der Realität als mit veralteten Vorurteilen zu tun. Vor allem die Vorstellung, dass die Verdienstmöglichkeiten mit einer Lehre niedrig seien, hält sich hartnäckig in vielen Köpfen. Um damit aufzuräumen, zieht der IV-Präsident eine Arbeiterin in der Metallindustrie als Beispiel heran, die in ihrer Lebenszeit doppelt so viel wie eine Friseurin und ähnlich viel wie eine Akademikerin verdient.

Lehre Corona
Corona macht es der Lehre nicht leicht: Vielen Jugendlichen wurde durch die Absage von Informationsveranstaltungen die Suche nach passenden Lehrstellen erschwert.Foto: Adobe Stock | Setthawuth

Informationslücke durch Corona

Und damit kommen wir zu einem weiteren Problem, das die Pandemie mit sich bringt. Denn durch Lockdowns und Abstandsregelungen fielen genau jene Informationsveranstaltungen aus, die SchülerInnen die Möglichkeit gegeben hätten, Lehrbetriebe kennenzulernen, Fragen zu stellen und sich ihr eigenes Bild zu machen. Viele Unternehmen wurden zwar kreativ und boten etwa virtuelles Schnuppern an, eine Führung durch den Betrieb oder eine Berufsinformationsmesse kann dies aber nicht ersetzen. Zusätzlich wird aber auch die Berufsorientierung an Schulen, die wesentlich dazu beitragen könnte, Unsicherheiten abzufangen oder Vorurteile abzubauen, vernachlässigt. Nur jede/r zehnte 13- bis 14-Jährige stellte ihr ein gutes Zeugnis aus. Alle Befragten (Eltern und Lehrkräfte miteingeschlossen) wünschten sich eine bessere Bildungs- und Berufsorientierung in der Schule, vielleicht sogar in Form eines eigenen Schulfachs für alle 14-Jährigen – auch in den Gymnasien.

Die Lehre aufpimpen

Es besteht Handlungsbedarf, darin sind sich die StudienautorInnen sowie VertreterInnen aus Wirtschaft und Industrie einig. Denn der Ruf der Lehre ist seit Corona noch weiter angeknackst. Auch das geht aus der Studie hervor. Für 38 Prozent der Jugendlichen ist sie wenig bis gar nicht attraktiv. 39 Prozent der befragten SchülerInnen halten das Image der Lehre für alt und verstaubt. Und für 45 Prozent ist der Begriff „Lehrling“ nicht mehr zeitgemäß. Und seien wir mal ehrlich, ganz unrecht haben sie damit nicht, gibt es doch nicht einmal eine weibliche Form für „Lehrling“. Hier sei die Politik gefragt. „Ein modernerer Begriff könnte der erste Schritt der Regierung sein, das Ansehen der Lehre zu steigern“, sagt Werner Steinecker, z.l.ö.-Präsident und ehemaliger Lehrling, und kündigt in diesem Zusammenhang eine österreichweite Befragung an.

Alle Wege führen zur Matura

Der nächste Schritt müsse sein, der Lehre den gleichen Stellenwert zu geben wie anderen Ausbildungswegen. „Die scheinbare Sackgasse nach dem Lehrabschluss hindert noch manche, eine Lehre zu absolvieren. Das langfristige Ziel soll sein, dass mit den drei Wegen AHS, BHS und Lehre gleichermaßen gute Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten verbunden werden“, sagt der z.l.ö.-Präsident. So soll jeder Bildungsweg zur Matura führen, sowohl der allgemeinbildende über die AHS als auch der berufsbildende über die BHS und der vorwiegend praktische über eine Lehre. Dass dies sowohl bei den Jugendlichen als auch bei deren Eltern gefragt ist, zeigt die hohe Zustimmung, die die Lehre auch während Corona erhält, sobald sie in Kombination mit weiterführenden Ausbildungen gesehen wird.  

Das langfristige Ziel soll sein, dass mit den drei Wegen AHS, BHS und Lehre gleichermaßen gute Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten verbunden werden.

Werner Steinecker

Doch noch etwas wird durch die Studie klar, und das gibt Grund zur Hoffnung: Selbst nach zwei Jahren Pandemie sehen 70 Prozent der befragten SchülerInnen der Zukunft sehr oder eher optimistisch entgegen. Wenn sie mit Corona zurechtkommen, dann werden sie wohl auch ihre Zukunft meistern und die Ziele, die sie sich stecken, erreichen. Vielleicht sogar durch eine Lehre.

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