Lehre oder Matura? Kein Widerspruch mehr – längst ist ein „und“ möglich: Neben der Lehre mit Matura gibt es jetzt auch eine Lehre nach der Matura. Diese Variante wird in Form der Dualen Akademie forciert.
Matura – und dann? Ein Studium an einer Universität scheint für viele Schulabsolventen und -absolventinnen der nächste logische Schritt auf der beruflichen Karriereleiter zu sein. Es ist ein ausgetretener Pfad. 43.600 Neuzulassungen an österreichischen Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen gab es allein im Wintersemester 2019/20. Tendenz steigend – nicht zuletzt aufgrund von Corona und einer anhaltend angespannten Situation am Arbeitsmarkt. Viele Jugendliche wählen „zur Sicherheit“ einmal ein Studium.
Parallel trocknet aber der Lehrlingsmarkt aus. So gab es im Jahr 2020 in Österreich zwar noch rund 108.000 Lehrlinge und circa 28.700 Lehrbetriebe. Ebenfalls vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und ihrer Turbulenzen am Weltmarkt sanken aber beide Zahlen gegenüber dem Vorjahr. So ging der Anteil der Jugendlichen, die mit 15 Jahren in ihr erstes Lehrjahr starten, das zweite Jahr in Folge auf nunmehr nur noch 37 Prozent zurück. Damit ist die Zahl der Lehrlinge in den letzten Jahren um 25.000 zurückgegangen, die Zahl der Lehrbetriebe um 10.000. Wobei es bei den aktuellen Lehrlingszahlen aber regionale Unterschiede gibt: In Wien, Niederösterreich und Kärnten sind beispielsweise mehr Lehrlinge registriert also noch vor einem Jahr.
Duale Akademie: Vorbild Deutschland
Die Gesamtsituation bleibt aber angespannt, der Fachkräftemangel latent. In dieser immer weiter aufgehenden Lücke will Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck jetzt die Duale Akademie forcieren. „Wir haben über Jahrzehnte immer wieder kommuniziert, wir brauchen AkademikerInnen – und dafür ist die Matura die Basis“, bringt Schramböck Verständnis für den anhaltenden Zuzug an die Hochschulen auf. Die Zeiten und Ansprüche am Arbeitsmarkt hätten sich aber geändert. „Daher muss sich jetzt auch bei der Frage, wie es nach der Matura weitergeht, etwas ändern“, drängt die Ministerin.
Nach der bereits etablierten „Lehre mit Matura“-Variante ist die Duale Akademie ein Ausbildungsmodell, das bei uns noch unpopulär ist, sich in der Schweiz und Deutschland jedoch bereits bewährt hat und mittlerweile zum Standard gehört. Nämlich: eine Lehrausbildung nach der Matura. Um diesen Einstieg in die Berufswelt zu attraktivieren, werden auf die betroffene Altersgruppe zugeschnittene Strukturen geschaffen. Einerseits gibt es eigens eingerichtete Berufsschulklassen für die über 18-jährigen MaturantInnen, die ja von einem anderen Niveau starten als Jugendliche nach Abschluss der Schulpflicht. Andererseits ist die Lehrzeit auf zwei Jahre verkürzt – inklusive Auslandsaufenthalt und Abschlussarbeit. Zudem ist nach einem Jahr Berufspraxis nach Abschluss des Duale Akademie-Traineeprogramms eine Zertifizierung zum wirtschaftlich anerkannten Abschluss „DA Professional“ möglich.
Pilotprojekt in Oberösterreich
In Oberösterreich läuft mittlerweile in enger Abstimmung mit Unternehmen eine Pilotphase. Die TeilnehmerInnen durchlaufen maßgeschneiderte Ausbildungen, die sie dazu qualifizieren, im Anschluss Karrieren als wichtige Fachkräfte zu machen und Schlüsselfunktionen in zukunftsorientierten Berufsbildern zu übernehmen. Der Fokus liegt dabei vor allem auf jungen Frauen. Das Angebot gilt aber auch für Studierende ohne Studienabschluss oder BerufsumsteigerInnen, die einen neuen Karriereweg einschlagen wollen. „Ich glaube“, sagt Schramböck , „dass das wesentlich zur Reduktion des Fachkräftemangels beitragen wird, weil wir das Thema nicht ausschließlich mit Jugendlichen zwischen 15 und 16 Jahren lösen werden können. Das geht sich demografisch nicht aus.“
Was es jetzt brauche, sei ein klares Signal der Betriebe, dass junge Menschen mit Matura in den Betrieben gewollt sind, sagt die Ministerin. Der Rechtsrahmen sei jedenfalls geschaffen. Das Wirtschaftsministerium wird den Abschluss der „Dualen Akademie“ auf Stufe fünf im Nationalen Qualifikationsrahmen verankern. Damit steht der „DA Professional“ künftig auf der Stufe mit der HAK- oder HTL-Matura. Konkret wird der bundesweite Start im Herbst 2022 erfolgen, und zwar mit den vier Berufsbildern Mechatronik, Applikationsentwicklung/Coding, Elektrotechnik und Speditionskaufmann/-frau. Bis zur bundesweiten Ausrollung gibt es spezifischere Angebote in Oberösterreich, Salzburg, Vorarlberg und Wien – in Wien beispielsweise in den Berufen Gardening, Joinery & Cabinetmaking und Floristry.
Gute Verdienstmöglichkeiten
Als zusätzliches Lockmittel verweisen die Unternehmen auf die lukrativen Verdienstmöglichkeiten, beispielsweise gerade in der Industrie. Nicht nur, dass die Trainees in der „Dualen Akademie“ ab dem ersten Tag eine attraktive Bezahlung fürs Lernen erhalten, auch die Gehaltsaussichten danach sind gut. Über die Lebenszeit gerechnet, könne das Einkommen durchaus mit dem von AkademikerInnen mithalten, sagt Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung. Er ist selbst Inhaber einer Firmengruppe, die im Bereich Energie-, Kommunikations- und Mobilitätsinfrastruktur tätig ist. Knill rechnet umgekehrt vor, dass ein Industrielehrling seinen Betrieb rund 100.000 Euro in der Ausbildung kostet. Dass die Qualität der schulischen und sozialen Bildung der Jugendlichen, wie gerne behauptet, nachgelassen hat, sieht der IV-Chef aber nicht. Von Pauschalierungen hält er entsprechend wenig: „Das ist gegenüber den vielen engagierten Jugendlichen, die sich sehr bemühen, nicht gerecht.“