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Neue Lust auf alte Traditionen: Österreich rext wieder ein

Der Lockdown ist zu Ende und es wird klar, was wir so in dieser Zeit getrieben haben: eingekocht, was das Zeug hält! Doch die Studie, die das belegt, hat noch mehr zu bieten. Warum genau das gute alte Einkochen derzeit eine Renaissance erlebt und was Napoleon damit zu tun hat.

In den Kindheitserinnerungen vieler ÖsterreicherInnen ist folgendes Szenario fest verankert: Neugierig beobachten wir Oma in der Küche beim Hantieren mit Gläsern aller Art. Essiggeruch liegt in der Luft, ein Sammelsurium an Gemüse, Obst und Gewürzen am Küchentisch. Gläser voller Gurkerl, Sauerkraut, Karotten oder Kirschen blubbern geheimnisvoll im großen Kochtopf. Und wird gemahnt: Nur ja nicht die gereinigten Gläser anfassen! Die müssen steril bleiben. Bis das abgekühlte Gut schließlich wie ein Schatz behandelt und in der Speisekammer einsortiert wurde. „Einrexen“ nannte das die Oma immer. Für schlechte Zeiten, die dann zum Glück nie kamen.

72 % der Befragten kochen oder legen zumindest einmal jährlich ihr Selbstgemachtes ein – unabhängig von Alter und Geschlecht.

Und heute? Da sind es nicht die Großmütter, die fleißig einkochen. Es sind die Mittzwanziger, die im Lockdown einen sinnvollen Zeitvertreib such(t)en. Denn Österreich rext gerade ein wie schon lange nicht mehr. Das ergibt zumindest eine repräsentative Studie von Müller Glas mit 1.000 Teilnehmenden, die im März auf Basis des Marketagent Online Access Panels gemacht wurde: Knapp 72 % der Befragten kochen oder legen zumindest einmal jährlich ihr Selbstgemachtes ein – und das quer durch alle Altersschichten und unabhängig vom Geschlecht.

Napoleon – der Urvater des Einrexens?

Eine der allerersten Aufzeichnungen des Einkochens von Nahrung geht übrigens auf eine Initiative Napoleon Bonapartes zurück. Er setzte einen Preis von 12.000 Goldfranken für die Erfindung eines Verfahrens zur Konservierung von Lebensmitteln aus. Seine Truppen sollten damit auf Kriegszügen besser versorgt werden können. Den Preis gewann der französische Koch Nicolas Appert, der bereits im Jahr 1790 entdeckte, dass Lebensmittel durch das Erhitzen auf 100 °C in geschlossenen Behältern haltbar werden. Wer dann tatsächlich der oder die ErfinderIn des Verfahrens war, das wir heute kennen, darüber scheiden sich die Geister. 

Sicher ist aber, woher das in Österreich und Süddeutschland für „einkochen“ geläufige Synonym „einrexen“ herkommt: Die Firma Rex-Konservenglas-Gesellschaft, die von 1907 bis 1925 in Deutschland produzierte, versorgte damals den Großteil der Haushalte mit dem passenden Einkochzubehör. Der „Rex“-Schriftzug am Glas brannte sich offensichtlich so stark ein, dass er bald zum Synonym für diese Tätigkeit wurde. Das österreichische Familienunternehmen Müller Glas reaktivierte das 111 Jahre alte Glas und bringt es seitdem im kultigen Retrostil wieder zurück in Küche und Gastronomie.

Kimchi und Co. sind in

Die Blütezeit des Einrexens aber ist längst Geschichte: Von Beginn des Ersten Weltkriegs bis in die 1960er-Jahre stand das Haltbarmachen in Gläsern besonders hoch im Kurs. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs kochten Aufzeichnungen zufolge bis zu 90 Prozent aller österreichischen Haushalte Obst, Gemüse und Fleisch ein. Nahrung war schließlich knapp, und Saisonales musste möglichst lange haltbar gemacht werden. Erst das Aufkommen von Tiefkühlern löste diese Methode schließlich langsam, aber sicher ab.

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Angestaubtes Image war gestern: Selbstgemachtes ist derzeit wieder in.Foto: Adobe Stock | marcin jucha

Während ursprünglich also wirklich Grundnahrungsmittel durch Erhitzen haltbar gemacht wurden, sind es heute eher Spezialitäten. Das koreanische Sauerkraut Kimchi oder Kuchen im Glas locken das jüngere Publikum an. Faktoren wie die Langeweile im Lockdown, aber auch das neue Bedürfnis nach Ursprünglichkeit, Nachhaltigkeit und Tradition sorgen gerade für eine erneute Renaissance des Einrexens, so die Expertise. Denn Selbstgemachtes ist nicht nur gesünder als vergleichbare Fertigware – es genießt derzeit ein geradezu hippes Image. Das zeigt auch die Studie von Müller Glas eindrücklich: Ihr zufolge freuen sich sogar 92 % der 1.000 Befragten, wenn sie Eingerextes geschenkt bekommen. 

Beeinflusst Corona unsere Ernährungsgewohnheiten?

Tatsächlich hat die Pandemie Schuld an der neuen Lust am Selbermachen. Das belegen die aktuellen Zahlen eindrücklich. Bei 57,6 % der Befragten hat sich das Ernährungsverhalten geändert. Rund 30 % kochen seit Anfang des letzten Jahres häufiger selbst. Als Einrexer betätigen sich 71,9 % der Befragten zumindest einmal jährlich. Signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern oder bei den Altersgruppen beim Selbermachen von Marmelade und Co. sind nicht auszumachen. Allerdings holt man sich Inspiration, Rat und Unterstützung dafür immer noch bei den weiblichen Experten der Familie: 17,4 % kochen gemeinsam mit der Mutter, fast genauso viele holen sich Rat bei der Oma oder der Schwiegermutter. Auch bei der Frage, welche ExpertInnen man im eigenen Umfeld kennt, geben rund 35 % ganz klassisch die Mama an.

Statistik Einrexen
Kochen Sie zumindest einmal jährlich selbst ein? Die überwiegende Mehrheit antwortete darauf mit einem klaren „Ja“. Foto: Müller Glas


Einrexen als Familientradition mit Zukunft

Wie vieles rund ums Thema Kochen werden also auch alle Geheimnisse rund ums Einrexen hier in Österreich innerhalb der Familie weitergegeben. Mehr als die Hälfte der Befragten gab sogar an, dass diese Art der Vorratsanlage eine Familientradition ist. Die Frage „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie zukünftig weiterhin Lebensmittel selbst einkochen oder Säfte selbst herstellen?“ beantworten 38,1 % mit „sehr wahrscheinlich“ und 21 % mit „eher wahrscheinlich“. Im Gegensatz zu anderen Experimenten im Lockdown (Stichwort: Bananenbrot) sieht es also ganz so aus, als würde sich dieses etwas länger halten – vielleicht sogar weit über die Pandemie hinaus.

Statistik Einrexen
Die Oma prüfend über die Schulter schauen lassen? Nein, hierzulande experimentiert man am liebsten alleine.Foto: Müller Glas


Einrexen in Stadt und Land

Zumindest besteht gerade am Land diese Hoffnung. Denn, vielleicht haben Sie es schon geahnt, am Land wird diese Tradition auch derzeit tatsächlich häufiger gelebt als in der Stadt. Klar, wo Platz für eigene Gemüsegärten oder Obstbäume ist, steigt auch die Notwendigkeit, saisonale Überschüsse zu konservieren. Rund ein Viertel der befragten LandbewohnerInnen wollen mit Eingelegtem jemandem Freude bereiten. 

Mindesthaltbarkeit: 148 Jahre

Und diese Freude kann durchaus lange wären! Denn im Gegensatz zum Supermarktprodukt kommt selbst Eingekochtes ganz ohne Mindesthaltbarkeitsdatum aus. Wie Oma immer so schön sagte: Wenn’s normal riecht und normal ausschaut, dann kann man’s auch ohne Bedenken essen. Vorsicht ist nur geboten, wenn der Deckel nicht mehr fest am Glas sitzt. Denn dann sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Keime von außen eingedrungen, die das Innere schnell verderben lassen. 

Den absoluten Beweis, dass Eingerextes quasi unbezwingbar ist, liefert übrigens eine Konservendose der deutschen Firma Busch & Barnewitz. Wie einen kuriosen Schatz bewahrten die Inhaber des Unternehmens eine Dose voll eingekochtem Fleisch aus dem Gründungsjahr 1873 auf, bis sie schließlich 2007 an das Niedersächsische Wirtschaftsarchiv übergeben wurde. Wozu der ganze Aufwand? Das Besondere an dieser Dose ist, dass sie noch original befüllt ist und in diesen 148 Jahren nicht geöffnet wurde. Die Untersuchung eines Lebensmittelchemieinstituts kam zu dem Ergebnis, dass man den Inhalt mit großer Wahrscheinlichkeit noch essen könnte. Das einzige Problem ist wohl, freiwillige TestesserInnen zu finden. 

Glasklare Fakten

Müller Glas & Co. wurde 1990 in Arbesthal als Familienbetrieb gegründet.

Heute ist das Unternehmen ein Komplettanbieter für Verpackungsglas, Verschlüsse und Zubehör und hat sich zum führenden österreichischen Handelsunternehmen in diesem Bereich entwickelt.

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