Erdgas Stahl Judenburg

Erdgas-Stopp: „Dann wäre es finster“

Über 700 Menschen arbeiten in Judenburg in der stahlverarbeitenden Industrie. Die anhaltende Energiekrise sorgt für Ärger und Ungeduld. Fließt kein Erdgas mehr, würden die Produktionshallen kalt bleiben. Dennoch wird massiv investiert, um den Standort „grüner“ und damit zukunftsfit zu machen.

Wenn es kein Erdgas mehr gibt, ist es finster.“ Heinz Kettner ist ein Freund klarer Worte. Die aktuelle Situation verwandelt die Klarheit in einen Alarmruf. Sollte sich die Versorgungslage mit Erdgas weiter zuspitzen, hätte es fatale Folge für die Produktion, warnt der Geschäftsführer der Stahl Judenburg.

Ohne Energie aus fossiler Quelle würde beispielsweise der Walzwerkofen abgeschaltet werden müssen. Der Bezug aus anderer Energie für Heizung und Warmwasser würde gerade noch für eine „produktionsfreie Systemerhaltung“ reichen, sagt Kettner, der als Elektriker vor zwei Jahrzehnten bei der Stahl Judenburg anheuerte und seit 2021 Geschäftsführer ist.

Erdgas: Energiequelle für Exportstärke

Ähnlich dramatische Perspektiven hört man aus der direkten Nachbarschaft des Traditionsbetriebs. Mit Wuppermann und Hendrickson, zwei weiteren stahlverarbeitenden Unternehmen, teilt sich die Stahl Judenburg nicht nur das Einfahrtstor in ein weitläufiges Industriegelände am Stadtrand von Judenburg, sondern derzeit auch die Sorgen um eine gesicherte Energieversorgung.

Die drei Unternehmen bilden die wirtschaftliche Herzkammer der Stahlstadt im oberen Murtal. Mehr als 700 Personen arbeiten hier insgesamt, wobei davon allein 450 bei der Stahl Judenburg beschäftigt sind, 150 bei Wuppermann und 125 bei Hendrickson. Die Exportquoten liegen bei allen drei Unternehmen rund um die 90 Prozent. Die Kunden kommen vor allen aus der Automobil- und Nutzfahrzeugindustrie und dem Anlagen- und Maschinenbau.

Arbeit in kalten Fabrikshallen 

Während bei Stahl Judenburg Stahl unter anderem zu Komponenten für Lenkungen und Einspritzsysteme veredelt wird, sind es bei Hendrickson Feder- und Aufhängungssysteme. Wuppermann hat sich wiederum auf Bandstahl und verzinkte Stahlprofile für Photovoltaikanlagen spezialisiert. Ohne Energie aus Erdgas käme es zu gravierenden Einschränkungen.   

Wuppermann
Wuppermann produziert in Judenburg neben schmalem verzinktem Spaltband auch feuerverzinkte Rohre und Profile mit besonders hohem Korrosionsschutz für Anwendungen in der Photovoltaik-, Bau- und Automobilindustrie.Foto: Kraft das Murtal | Wuppermann

„Wir könnten zwar weiterarbeiten, aber in kalten Hallen“, schildert Wuppermann-Geschäftsführer Hubert Pletz sein Notfallszenario. Und auch bei Hendrickson, dem dritten großen Industriebetrieb, der in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof im Bereich Stahlverarbeitung tätig ist, spricht man von einem Produktionsstopp, sollte kein Erdgas mehr fließen.

„Alarmstufe Rot“ bei Energiepreisen

„Die Lage ist tatsächlich sehr dramatisch“, fasste Stefan Stolitzka, Präsident der steirischen Industriellenvereinigung, zuletzt die Situation in einem Interview zusammen. Es herrsche „Alarmstufe Rot“. Einerseits sei die Energieversorgung selbst nicht mehr sichergestellt – Stolitzka erwartet, dass es zu Ausfällen kommen wird. Andererseits spitze sich die Lage bei den Energiepreisen weiter extrem zu.

Auch bei den drei obersteirischen Stahlveredlern schlagen die explodierenden Energiekosten mittlerweile zu Buche. Bei der Stahl Judenburg ist es im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von elf Millionen Euro, bei Wuppermann und Hendrickson sind es Mehrkosten von jeweils rund zwei Millionen Euro. „Wir würden das Geld lieber in Energieeinspar- oder andere Nachhaltigkeitsprojekte investieren“, heißt es unisono. Teilweise tun sie es trotzdem.

Investitionen trotz Turbulenzen

Jeweils 14 Millionen Euro fließen bei Stahl Judenburg und Wuppermann in Kapazitätserweiterungen und moderne Fertigungstechnologien. Bis zum Herbst werden zudem Photovoltaikanlagen bei allen drei Firmen fertiggestellt, die bei jedem Betrieb bis zu 400 Kilowattstunden Leistung liefern. „Wir sind Teil der Transformation in Richtung Nachhaltigkeit“, stellt das Trio klar. Damit wird eine jahrhundertealte Tradition fortgeschrieben. Denn Judenburg gilt als uralter transalpiner Handelsknotenpunkt und geschichtsträchtiger Standort der Stahlverarbeitung. Auch die Internationalisierung der Industrie spiegelt sich wider.

Die einstige „Steirische Gußstahlwerk AG“ und heutige Stahl Judenburg gehört seit 1995 zur deutschen Georgsmarienhütte Holding (GMH Gruppe), Wuppermann ist Teil und wichtiger Produktionsstandort des gleichnamigen, 150 Jahre alten Familienunternehmens aus Leverkusen, und Hendrickson Austria ist seit 2015 in einen amerikanischen Konzern eingegliedert.

Wichtiges Glied in der Wertschöpfungskette

Als traditionelle Zulieferbetriebe sind sie Teil global vernetzter Lieferketten – und als solcher mittelbar von etwaigen Engpässen oder Ausfällen sowohl bei Komponenten als auch Rohstoffen und vor allem Energie betroffen. „Wenn ein Glied in der Wertschöpfungskette reißt, kommt es zu einer Kettenreaktion“, warnt Kettner.

Hendrickson
In der Herstellung dieser Parabelfedern und -lenker blickt die Hendrickson Austria GmbH auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurück – beginnend 1906 als Veredelungsbetrieb des Stahlwerkes entwickelte man sich zu einem globalen Spezialisten.Foto: Kraft das Murtal | Hendrickson

Ausfälle wären bis in die Region spürbar. „Denn jeder Industriearbeitsplatz bedient vier bis fünf andere Jobs in der Region, hinter jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter stehen ganze Familien mit ihren Ausgaben und Arbeitsplätzen“, gibt Wuppermann-Geschäftsführer Hubert Pletz zu bedenken.

Nachteile im globalen Wettbewerb

Armin Gößler, Geschäftsführer von Hendrickson, sieht vor allem in den nationalstaatlichen Unterschieden des politischen Krisenmanagements eine Gefahr für den steirischen Standort. So gebe es beispielsweise auf der iberischen Halbinsel von der EU genehmigte Preisdeckel, wodurch die direkte Konkurrenz einen klaren Wettbewerbsvorteil auf dem internationalen Markt habe.

Man habe es hier mit einem europäischen Problem zu tun, nicht mit einem globalen, unterstreicht auch der steirische IV-Präsident Stolitzka. In Nordamerika oder Indien seien die Produktionskosten aufgrund der Energiepreise teilweise um den Faktor zehn bis 15 niedriger, rechnet er vor: „Das macht die Brisanz aus, weil wir ja in einem weltweiten Wettbewerb stehen.“

Credits Artikelbild: Georg Ott | Stahl Judenburg

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