Erdgas

Erdgas: Warum die Versorgung in Gefahr ist

Die Versorgungslage mit Erdgas bleibt „wackelig“. Die Industrie fordert rasches Krisenmanagement, Unternehmen brauchen klare Regeln, aber die Politik streitet und bremst. Fünf Fakten zur aktuellen Lage und warum 341.000 Jobs gefährdet sein könnten.

1 ERDGAS: WIE IST DIE AKTUELLE SITUATION?

Auch ein halbes Jahr nach Beginn des Kriegs in der Ukraine bleibt die Situation auf dem Energiemarkt angespannt. Angesichts der Sanktionen gegen Russland und der russischen Reaktionen darauf – zurückgefahrene Liefermenge beziehungsweise immer wieder unterbrochene Leitung – steht die Versorgungssicherheit mit Erdgas auch hierzulande weiterhin auf einem wackeligen Fundament.

Zwar konnte in den vergangenen Monaten die Abhängigkeit von russischem Erdgas von 80 auf rund 50 Prozent gesenkt und die Erdgasspeicher auf mittlerweile knapp über 60 Prozent (Stand Ende August 2022) gefüllt werden. Diese Speichermenge entspricht fast zwei Drittel des Jahresverbrauchs. Von einer Entspannung der Lage kann aber noch nicht die Rede sein, warnen unter anderem IndustrievertreterInnen. Allgemein wird der Ruf der Wirtschaft nach einem schnellen Krisenmanagement durch die Regierung wieder lauter. Zuletzt stimmte allerdings die Opposition einer sogenannten Lenkungsmaßnahmenverordnung für Erdgas nicht zu.

2 LENKUNGSMASSNAHMENVERORDNUNG – WAS IST DAS?

Eine derartige Verordnung, die im Hauptausschuss des Parlaments beschlossen werden muss, regelt die verpflichtende Vorbereitung von Unternehmen, dort wo es technisch, rechtlich und wirtschaftlich möglich ist, von Erdgas auf andere Energieträger umzustellen beziehungsweise eine möglichst rasche Umstellung vorzubereiten. Man nennt diesen Wechsel auf Kohle, Öl oder Biomasse „Fuel Switch“. Von der Verordnung betroffen wären Energieerzeuger und Großabnehmer.

Die Verordnung betrifft unter anderem das stillgelegte Kohlekraftwerk des Verbunds in Mellach in der Steiermark, aber auch Fernwärmekraftwerke, etwa jene der Wien Energie, die von Gas auf Öl umgestellt werden sollen. Ziel ist es, Gas zu sparen, falls Russland den Gashahn ganz zu dreht.

Mittlerweile drängen aber auch 7000 Unternehmen, die unter der Großverbraucherschwelle liegen darauf, umstellen zu können. Wechselwille und Druck wachsen also. Für Christoph Neumayer ist das Veto im Parlament daher „nicht nachvollziehbar“: „Derartige politische Machtspiel gefährden den Standort.“ Man dürfe jetzt keine Zeit für Maßnahmen vergeuden, mahnt er.

Die Verordnung wäre ein erster Schritt, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu senken. Die Opposition hat im Hauptausschuss aber kürzlich dagegen gestimmt. Zudem braucht es entsprechende Rechtssicherheit für die Genehmigung von alternativen Anlagen und damit verbundener Emissionsgrenzwerte.

3 WER KANN ÜBERHAUPT SO SCHNELL UMSTELLEN?

Damit mehr Erdgas in die Speicher als in den Verbrauch fließt, braucht es Unternehmen, die ihre Versorgung sehr rasch umstellen können. Laut Schätzungen wären fünf bis fünfzehn Prozent der Unternehmen – also ein paar hundert – theoretisch dazu in der Lage. Die technischen Voraussetzungen (und damit auch die Kosten und der Zeitaufwand) dafür sind je nach Branche und Betrieb sehr unterschiedlich.

4 WAS BRAUCHT ES, UM ÜBER DEN WINTER ZU KOMMEN?

Kurzfristig braucht es einen Mix mehrerer Maßnahmen aus Gas-Einspeicherung, Sicherung alternativer Gasquellen und Substitution von Erdgas, wo es möglich ist. Dabei geht es um Maßnahmen, die für wenige Monate Abhilfe schaffen, sollten die Gaslieferungen kurzfristig ausfallen.

Mittelfristig braucht es in ganz Europa eine Diversifizierung der Energieversorgung, um die Abhängigkeit von Lieferanten zu streuen. Dafür ist allerdings der Bau neuer Pipelines notwendig. Gerade im Winter lässt sich der heimische Strombedarf nämlich durch erneuerbare Energieträger wie beispielsweise Wasserkraft (noch) nicht decken. Langfristig muss der Anteil erneuerbarer Energiequellen aus heimischer Produktion daher erhöht werden. Die dafür notwendige Infrastruktur muss rasch ausgebaut werden. Aktuell sorgen lange Genehmigungsverfahren aber regelmäßig für Verzögerungen. Die Transformation wird so auf die Wartebank geschoben.

5 WAS PASSIERT IM „WORST CASE“?

Keine Gaslieferungen mehr – und dann? Die Auswirkungen eines Gas-Stopps lassen sich in der gesamten Tragweite derzeit noch schwer ganzheitlich abschätzen. Laut Schätzungen der Industrie wären durch eine längere Gasmangellage rund 341.400 Arbeitsplätze in Österreich direkt und umgehend gefährdet.

Dazu kommen aber noch weitreichendere Folgen, denn von einem Totalausfall der Gaslieferungen wären alle produzierenden Unternehmen betroffen – auch solche die vergleichsweise wenig Gas benötigen. Zudem spielt Gas auch für die Stromversorgungssicherheit eine zentrale Rolle. Knapp ein Drittel des Gas-Jahresverbrauchs geht in die Verstromung und Fernwärme. Zeitweise tragen Gaskraftwerke fast die Hälfte der gesamten Stromerzeugung bei.

Credits Artikelbild: adobe stock | industrieblick

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