Exoskelette

Wie innovative Roboteranzüge schwere Arbeiten erleichtern

Sogenannte Exoskelette verleihen zwar keine übermenschlichen Kräfte, bei der Arbeit in unbequemer Haltung können sie MitarbeiterInnen allerdings maßgeblich unterstützen. Sie verhelfen zu mehr Muskelkraft, schützen die Gesundheit am Arbeitsplatz und schonen gleichzeitig auch noch das Unternehmensbudget.

Der Traum, den menschlichen Körper technologisch zu optimieren, Bewegungen zu verstärken, Funktionen zu verbessern und nach Verlust wieder zu ermöglichen, ist wohl mindestens so alt wie der Menschheitstraum vom Fliegen. Bereits vor rund 3.000 Jahren wurde dieses Wunschdenken im alten Ägypten erstmals Realität. Ein Forscherteam entdeckte am Fuß einer ägyptischen Mumie die wahrscheinlich älteste Prothese der Welt: eine Zehprothese aus Holz und Leder.

Was also bereits vor sehr langer Zeit mit künstlichen Gliedmaßen aus einfachen Holzkonstruktionen begonnen hat, ist nun über die Jahrhunderte hinweg zu echten Hightech-Prothesen für Hand und Fuß herangewachsen. Diese unterstützen TrägerInnen mit kompakten Antrieben, ausgeklügelter Steuerelektronik und robustem, aber dennoch leichtem Design. Das Bein mittels Gedanken strecken oder mit der Hand zugreifen – längst keine Fiktion mehr. Moderne Prothesen machen genau das möglich. Mensch und Technik scheinen immer weiter miteinander zu verschmelzen.

Exoskelette
Mithilfe hochmoderner Prothesen können Menschen wieder zurück in ein normales Leben finden.Foto: Ottobock

Was ist ein Exoskelett?

Eine ganz besonders spannende Entwicklung auf diesem Gebiet ist jedoch das sogenannte Exoskelett. Dabei handelt es sich um eine Art Roboteranzug, der keine Gliedmaßen ersetzt, sondern vielmehr außerhalb des Körpers als Stützstruktur des menschlichen Organismus gedacht ist. Er soll Bewegungen unterstützen oder verstärken. Diese innovativen Assistenzsysteme wurden ursprünglich entwickelt, um Querschnittgelähmten wieder zu Mobilität zu verhelfen. Nun aber halten sie auch in Produktionshallen großer Industriebetriebe Einzug. Sie sollen ArbeiterInnen, insbesondere in der Automobilproduktion und Logistik, beim Heben schwerer Teile und bei Über-Kopf-Arbeiten unterstützen und entlasten. Kurz und knapp: Exoskelette sind das neueste technische Upgrade für den menschlichen Körper.

Echte Lebensqualität statt Science-Fiction

Was für viele nach Science-Fiction klingen mag, wird in Forschungszentren rund um den Globus bereits fleißig entwickelt und in der Realität längst erprobt. Aber warum sollte sich die Belegschaft in Zukunft solche Monturen nun konkret um die Hüfte schnallen? „Exoskelette können es Menschen ermöglichen, ihrer Arbeit langfristig und gesundheitsschonend nachzugehen – sei es in Industrie, Logistik oder Handwerk“, liefert Sönke Rössing, Leiter von Ottobock Industrials, die Antwort. Das international agierende Medizintechnikunternehmen ist Weltmarktführer in Sachen Prothetik und überzeugt mit einer über 100-jährigen Expertise in der Entwicklung und Herstellung biomechanischer und orthopädischer Produkte. Mit der Exoskelett-Reihe „Paexo“ will das Unternehmen nun die Arbeitswelt völlig umkrempeln.

Weniger MitarbeiterInnenausfälle dank Roboteranzug

Vor allem die Logistikbranche steht immer wieder vor besonderen Herausforderungen: Personalmangel, eine alternde Belegschaft und hohe Fluktuation, um nur einige davon zu nennen. Darüber hinaus klagen immer mehr Unternehmen über MitarbeiterInnenausfälle aufgrund von körperlicher Überlastung. Und wohl nichts fürchten die Risikoverantwortlichen in einem Unternehmen mehr als den unerwarteten Ausfall ihrer Belegschaft für längere Zeit durch Krankheit oder am Arbeitsplatz entstandene Verletzungen. Das kann im schlimmsten Fall Lieferengpässe und somit Vertragsbrüche zur Folge haben.

Exoskelette
Die Paexo-Reihe ermöglicht ein angenehmes Arbeiten, vor allem bei herausfordernden Überkopfarbeiten.Foto: Ottobock

„Unternehmen haben eine Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, appelliert Rössing. Verletzungen am Arbeitsplatz ziehen zudem auch einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden nach sich. Der Ersatz von Arbeitskräften, das Angebot von Weiterbildungen, indirekte Kosten für Produktivitätsverluste und Produktmängel wirken sich jedenfalls auf den Unternehmenserfolg aus. Mithilfe der Ottobock-Exoskelette sollen solche Ausfälle minimiert, die Belegschaft unterstützt und der Arbeitsplatz gesundheitsschonender gestaltet werden.

Das Gewicht einer Boeing 747 auf dem Rücken

Bei Anwendungen im Arbeitsalltag konzentriert sich Ottobock auf die Entlastung der Lendenwirbel. Denn deren Überbeanspruchung ist derzeit europaweit die häufigste Ursache für krankheitsbedingte Ausfallzeiten und Arbeitsunfähigkeit. Besonders bei LogistikmitarbeiterInnen wird der Rücken häufig in Mitleidenschaft gezogen, beim Be- und Entladen von LKWs etwa.

Exoskelette können es Menschen ermöglichen, ihrer Arbeit langfristig und gesundheitsschonend nachzugehen – sei es in Industrie, Logistik oder Handwerk.

Sönke Rössing, Leiter von Ottobock Industrials

Eine aktuelle Ottobock-Studie verdeutlicht: MitarbeiterInnen, die täglich rund 15 Kilo im Akkord heben, haben den Rücken am Ende einer Woche mit mehr als 180.000 Kilogramm belastet. Zum Vergleich: Eine Boeing 747 wiegt knapp 183.500 Kilogramm. Dass das langfristig nicht gesund sein kann, liegt auf der Hand. Der vermehrte Einsatz von Exoskeletten soll in Zukunft genau hier entgegenwirken und Haltungsschäden sowie körperliche Verschleißerscheinungen auf ein Minimum reduzieren.

Vom Logistiker zum Superheld?

Ottobock hat dafür gemeinsam mit LogistikexpertInnen und MitarbeiterInnen von Warenlagern und Paketverteilzentren das Assistenzsystem „Paexo Back“ entwickelt. Der moderne Roboteranzug funktioniert dabei nach einem biomechanischen Prinzip. Sprich: Die Last wird ähnlich wie bei einem Rucksack an der Schulter abgenommen und mithilfe der Stützstruktur des Exoskeletts weiter in die Oberschenkel umgeleitet. Der Energiespeicher nimmt beim Beugen Kraft auf und gibt sie beim Heben wieder ab. „Paexo Back entlastet die Lendenwirbelsäule beim Heben um bis zu 25 Kilogramm, ohne dabei die Bewegungsfreiheit einzuschränken“, erklärt Rössing.

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Paexo Back entlastet die Wirbelsäule bei hochfrequenten Lastenhandhabungen, wie etwa in Waren- und Paketlagern.Foto: Ottobock

Das Herz des Systems ist aber ganz klar die rein mechanische Steuerung auf Hüfthöhe – eine technologische Weltneuheit, wie es vonseiten des Unternehmens heißt. Diese kann zwischen Beugen und Gehen unterscheiden. Beim Gehen schaltet sich die Steuerung automatisch ab, sodass zu jeder Zeit volle Bewegungsfreiraum gewährleistet werden kann. Und wie sieht es mit dem Gewicht der Monturen aus? Denn mal ganz ehrlich, wer denkt bei Hightech-Anzügen nicht auch an große und vor allem schwere, von Menschen gesteuerte Maschinen? Anders als vielleicht gedacht, handelt es sich bei den Ottobock-Exoskeletten um leichte, körperanliegende Geräte. Die zukunftsweisenden Helferlein wiegen nur rund vier Kilogramm.

Weitere Produkte

Freilich haben aber nicht nur MitarbeiterInnen der Logistikbranche mit erschwerten Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Stellen wir uns folgendes Szenario vor: In der Automobilbranche etwa muss ein einziger Arbeiter in 90 Sekunden über Kopf einen Kabelbaum in die Heckklappe des Autos einziehen – und zwar acht Stunden am Tag. Jeden Tag. Klar, dass Qualität und Quantität nach einiger Zeit nachlassen. Genau aus diesem Grund entwickelte Ottobock zusätzlich die sogenannten „Paexo Shoulder“- und „Peaxo Neck“-Skelette.

Diese Monturen nehmen über angelegte Armschalen das Gewicht der Arme samt Werkzeug auf und leiten es über ein Gelenk und einen Expander auf die Hüfte weiter – ähnlich wie der Bauchgurt das Gewicht eines Rucksacks auf die Hüfte bringt. ArbeiterInnen können also über einen längeren Zeitraum mit gleichbleibender Präzision ihrer Arbeit nachgehen.

Angst vor dem Exoskelett?

Logische Schlussfolgerung: Wer ein Exoskelett trägt, arbeitet effizienter. Klingt gut. Doch werden mit dem vermehrten Einsatz der Monturen nun etwa auch Arbeitsstellen gestrichen? Schließlich kann am Ende mehr Arbeit von nur einer/einem einzigen MitarbeiterIn schneller und besser bewältigt werden. Ottobock stellt klar: „Wir beobachten, dass Menschen, die erkrankt sind, wieder gesund auf den Arbeitsmarkt zurückkehren, aber gegebenenfalls nicht dahin zurückkommen können, wo sie ursprünglich eingesetzt waren.“ Hier wolle man ansetzen – und nicht dabei helfen, Arbeitsplätze einzusparen. Das sei laut dem Medizintechnikunternehmen keinesfalls das Ziel. Der Einsatz von Exoskeletten führe vielmehr dazu, dass die Verletzungsgefahr minimiert wird. „Der Fokus liegt in der Beschäftigungserhaltung von Menschen, die in solchen Logistikprozessen arbeiten“, so das Unternehmen.

Großes Potenzial

Und geht es nach dem Ottobock selbst, so ist das Potenzial der Exoskelette noch längst nicht ausgeschöpft. Erst vor einigen Monaten reihten sich drei Neuheiten in das Paexo Produktportfolio ein. Und zwar:

  • Exoskelette
    Paexo Shoulder Jacket: eine flammhemmende Schutzjacke, die als Zusatz für das Paexo Shoulder dient. Die Jacke kommt etwa bei nicht gerade ungefährlichen Schweißarbeiten, die über dem Kopf durchgeführt werden, zum Einsatz. Foto: Ottobock
  • Exoskelette
    Paexo Cool Sleeve: eine kühlende Armbinde, die ebenfalls mit dem Paexo Shoulder kompatibel ist. Sie kühlt die Oberarme bis zu zehn Stunden lang und ermöglicht ein angenehmeres Arbeiten über Kopf in warmen Umgebungen.Foto: Ottobock
  • Exoskelette
    Paexo Thumb Slim: Dieses Produkt schützt die Daumenkuppe, zum Beispiel beim Klipsen, Stecken und Stopfen in der Montage. Die Slim-Version eignet sich für komplexere Handgriffe und kann auch unter Handschuhen getragen werden.Foto: Ottobock

Wie sehen die Industriearbeitsplätze der Zukunft aus?

Aber werde sich Exoskelette in der Arbeitswelt von morgen tatsächlich auch großflächig durchsetzen? „Viele unserer Kunden kommen auf uns zu, da sie einfach sehen, dass es darum geht, die Arbeitsplätze für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv zu gestalten“, erklärte Sönke Rössing kürzlich bei der digitalen Hannover Messe. Die Nachfrage wird laut dem Leiter von Ottobock Industrials auch in Zukunft ansteigen. Zudem werden die Anwendungsfelder vielfältiger: Exoskelette sollen in Zukunft auch im Schiffsbau oder der Medizinbranche vermehrt für Entlastung sorgen.

Und wie wirkt sich die voranschreitende Digitalisierung auf diese Hightech-Arbeitswelt aus? Bereits heute werden einige Ottobock-Produkte, vor allem die Prothetik der oberen Extremität, mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuert. Das gesteckte Ziel: Diese KI soll auch bei Exoskeletten Anwendung finden. So könnte die Unterstützungskraft der Anzüge mithilfe smarter Programme zum Beispiel automatisch bestimmt werden. Aber das ist derzeit noch Zukunftsmusik.

Bis es so weit ist, werden wir uns eben noch ein wenig gedulden müssen. Der bisherige Fortschritt der unterstützenden Roboteranzüge ist allerdings bereits heute ein echter Erfolg. Und wer weiß, vielleicht verleihen uns die Exoskelette der Zukunft dann auch tatsächlich Superkräfte.

Über Ottobock

Seit 2012 forscht Ottobock an innovativen Lösungen, um Arbeitsplätze in Industrie, Logistik und Handwerk ergonomischer zu gestalten. Das Ziel ist es, Menschen mit körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten zu entlasten und gesündere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Ottobock Industrials bietet eine breite Palette von passiven Exoskeletten und Ergonomielösungen, z. B. Paexo Shoulder und Paexo Neck zur Unterstützung bei der Überkopfarbeit sowie Paexo Thumb und Paexo Wrist zur Entlastung des Daumens bzw. des Handgelenks.

Credits Artikelbild: Ottobock

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