Hermann Ludwig Moeller
Hermann Ludwig Moeller

„Wir müssen unsere Claims abstecken, um autonom zu bleiben!“

Während Elon Musk die Weltallherrschaft an sich zu reißen versucht, arbeitet man bei der European Space Agency intensiv an europäischen Lösungen, etwa für Satelliteninternet. Der dafür zuständige Leiter ESA Strategie Hermann Ludwig Moeller berichtet im Interview von zukunftsweisenden Entwicklungen – und unterstützt eine Beschleunigung der Dinge.

Es ist gerade einmal zwei Jahre her, da herrschte buchstäblich helle Aufregung: Wie eine gigantische Perlenkette zogen erstmals die Satelliten des weltumspannenden Internetdienstes Star-Link über den österreichischen Nachthimmel. Heute sind es insgesamt schon über 2.000 Stück, die über unseren Köpfen Daten zwischen Himmel und Erde hin- und herschicken – und die ganz aktuell auch in der militärischen Verteidigung der Ukraine gegen Russland derzeit eine überraschend wichtige Rolle spielen, damit aber gleichzeitig unzweifelhaft bestätigen, wie zukunftsweisend diese Technologie sein kann und noch sein wird.

Bei der European Space Agency (ESA) steht das Thema Satelliteninternet daher naturgemäß schon länger ganz oben auf der Prioritätenliste. In seiner Agenda 2025 hat Josef Aschbacher, der neue Generaldirektor der ESA, diesem dementsprechend hohe Relevanz eingeräumt. Jetzt war der Head of Strategy, Programme and Transformation der ESA auf Einladung der Industriellenvereinigung in Wien zu Gast, um eine Keynote über die digitale Zukunft unseres Planeten – und des Weltalls – zu halten und Fakt & Faktor ein exklusives Interview zu geben.

Hermann Ludwig Moeller
Der Head of Strategy, Programme and Transformation der ESA – Hermann Ludwig Moeller – wirft einen Blick in die digitale Zukunft unseres Planeten – und des Weltalls.

Heute sind wir alle mit dem Internet vertraut. Was aber ist jetzt Satelliteninternet genau?

Hermann Ludwig Moeller: Fangen wir bei den bekannten Kommunikationssatelliten an: Wenn man zu Hause eine Astra-TV Antenne hat, wie man sie früher nannte, dann ist man an ein Satellitennetz angeschlossen. Das sind aber Systeme, die in der Regel lediglich  Informationen verteilen, man kann mit ihnen nicht interaktiv kommunizieren. Diese Satelliten befinden sich in einem sogenannten geo-stationären Orbit, fix, ungefähr 36.000 Kilometer über der Erde. Seit wenigen Jahren finden sich aber neue, andere Satelliten am Himmel, die nur mehrere 100 Kilometer über uns in Konstellationen fliegen. Sie haben den Vorteil, dass sie interaktiv sein können, wie wir es vom Internet gewohnt sind. Das heißt, ich kann tatsächlich über solche Satelliten kommunizieren. Sie können also das Glasfasernetz auf der Erde oder das Netz der Mobiltelefonie ins All verlängern und so in Zukunft das Internet überall auf dem Planeten zugänglich machen.

Aber was habe ich hier in Österreich von dieser Art des Internets?

Hermann Ludwig Moeller: Das sind zunächst einmal ganz banale Vorteile, wie ein Internetanschluss zu Hause, wenn man zum Beispiel am Land lebt – Kabel hat man schließlich nicht überall, und das Netz kann abseits der großen Ballungszentren auch schlecht sein. Es sind aber oft die Anwendungen, die wir gar nicht so bewusst wahrnehmen, um die es geht. Wenn Sie heute mit dem Auto fahren und Sie haben das Navigationssystem aktiviert, dann sind Sie zum Beispiel schon Nutzer der Raumfahrt – das Navigationssystem ist satellitengestützt. Aber die zukünftige Automobilindustrie, das Fahrzeug der Zukunft, wird mit dem autonomen Fahren einen großen Schritt weitergehen. Das heißt, da wird das Fahrzeug über Cleverness verfügen. Im Idealfall geht das so weit, dass Sie während der Fahrt Zeitung lesen können, weil sich Ihr Auto selbst auf der Autobahn einreiht und von A nach B bewegt.

Wenn Sie heute mit dem Auto fahren und Sie haben das Navigationssystem aktiviert, dann sind Sie zum Beispiel schon Nutzer der Raumfahrt – das Navigationssystem ist satellitengestützt.

Das funktioniert nur, wenn das Auto konstant mit dem Internet verbunden ist – und hier ist das Satelliteninternet dann das Backup, wenn die terrestrische Abdeckung auf einmal nicht mehr gegeben ist. Noch wichtiger ist dieser Backup-Effekt etwa in der Luftfahrt – mittels Satelliteninternet kann man garantieren, dass die Konnektivität erhalten bleibt, zum Beispiel über den Weltmeeren. Denn es gibt eigentlich keine Begrenzung, in welchen Bereichen diese Internetstruktur im All nicht nutzbar wäre. Nicht zuletzt deshalb investiert derzeit Amazon in eines dieser Systeme – wir reden hier von einem Zehn-Milliarden-Dollar-Investment! Die tun das, um die Verteilung ihrer Lieferungen zu perfektionieren – dann gibt es vielleicht bald automatisierte Vehikel, die Ihnen das Paket bringen. Und die werden dann eben auch über diese Satelliten und das durch sie mögliche flächendeckende Internet gesteuert.

Also die Drohne, die Blutkonserven vom Krankenhaus an den Unfallort bringt – oder eben Bestellungen vom Lager zum Kunden –, braucht Internet aus dem All?

Hermann Ludwig Moeller: Ja. Doch dabei geht es nicht zwingend darum, dass diese Form des Internets für die Funktionalität entscheidend ist. Es geht vielleicht um das eine Prozent, das fehlt, um eine Komplettabdeckung zu ermöglichen. Dieses eine Prozent kann eben entscheidend sein! Sie wollen ja auch nicht auf der Autobahn fahren und wissen, dass irgendwann auf der Strecke für ein Prozent der Zeit die Steuerung nicht funktionieren wird. Sie brauchen eine Komplettlösung! Und genau dieses eine fehlende Prozent kann die Satelliteninfrastruktur bereitstellen. Klar ist aber auch, dass in vielen Fällen die ganzen 100 Prozent bereitgestellt werden, wenn das terrestrische Internet einfach an seine Grenzen stößt oder nicht vorhanden ist – wie etwa in einer Wüste. Aber es gibt auch viel banalere Beispiele.

Welche meinen Sie da genau?

Hermann Ludwig Moeller: Nehmen wir Ihr Auto. Es beinhaltet zunehmend immer mehr Elektronik und braucht – so wie Ihr Telefon, wie der Computer zu Hause auch – Softwareupdates. Derzeit müssen internationale Hersteller wie Tesla, Volkswagen oder Renault diese Ladevorgänge über die Netze des jeweiligen Landes abwickeln. Das Niveau der Zuverlässigkeit dieser Softwareupdates ist dann natürlich sehr abhängig von der Netz-Struktur des jeweiligen Landes. Das kann in Indien schon schwieriger sein als in Österreich – und man kann sich ausrechnen, was es einen Autobauer in Summe kosten kann, wenn bei einem Update etwas Gravierendes schiefläuft. Der Satellit aber, der fliegt weltweit und hat überall die gleich gute Abdeckung. Ist also die ideale Lösung.

Hermann Ludwig Moeller
Dank Raumfahrt und Satellitenüberwachung ist Windpark- oder auch Gas Pipeline-Monitoring hocheffizient möglich.Foto: adobe stock | Engel.ac

Das heißt aber für uns, dass wir uns auf ein komplett verändertes Erscheinungsbild des Himmels einstellen sollten, da sich hier bald sehr viele solcher Satellitenkonstellationen bewegen werden?

Hermann Ludwig Moeller: Absolut! Man muss dazu wissen, dass Satelliten, um kommunizieren zu können, eine Frequenz brauchen. Also genauso wie Radio auch. Diese Frequenzen sind aber nicht unendlich verfügbar, und das funktioniert im Wesentlichen – und vereinfacht gesagt – nach dem Prinzip „First come, first serve“. Und weitergesponnen heißt das auch: „The Winner takes it all!“ Das ist auch der Grund, warum heute sehr viele große Investments solche Systeme nicht nur entwerfen, sondern auch in den Orbit bringen. Denn man muss im Orbit sein, um den Raum zu besetzen, um ihn schließlich nutzen zu können.

Das heißt, wir und ESA befinden uns in einem Wettstreit mit China, Russland und Amerika, um diesen Raum zu belegen?

Hermann Ludwig Moeller: Ich würde jetzt nicht sagen, dass es die ESA ist, die im Wettlauf steht. Aber man könnte es vielleicht auf zwei Aspekte hinunterbrechen: Zum einen die Wirtschaft ist im Wettbewerb. Das heißt, wir konkurrieren hier nicht gegen die USA, sondern der Herr Musk ist ein Privatier und der Herr Bezos genauso. Es ist somit auch die Wirtschaft gefragt. Aber wir haben hier in Europa nicht die gleiche Kultur, auch nicht die Risikokultur für solche Investments, die ja nicht unwesentlich sind. Neben den privaten und industriellen Investoren, die man unbedingt braucht, gibt es öffentliche Anliegen, die ähnliche Interessen verfolgen. Denn – und das ist ganz wichtig – der Besitzer der Infrastruktur wird darüber entscheiden, wer sie benutzen darf und wofür. Das heißt, es gibt ein hohes Interesse daran, derartige Infrastrukturen selbst zu besitzen, um als Land, als Europa eine gewisse digitale Autonomie behalten zu können.

Energie ist Lebensblut der Gesellschaft und der Industrie. Und wir erleben, wie erpressbar man sein kann, wenn man solche Abhängigkeiten eingegangen ist.

Gerade in Sachen Energieversorgung sehen wir in diesen Tagen den wahren Wert von Autonomie …

Hermann Ludwig Moeller: Genau, Energie ist Lebensblut der Gesellschaft und der Industrie. Und wir erleben, wie erpressbar man sein kann, wenn man solche Abhängigkeiten eingegangen ist. Gerade hierbei kommt der Perspektive aus dem All übrigens eine zusätzliche Sonderstellung zu: Windpark- oder auch Gas Pipeline-Monitoring ist nämlich über Satelliten hocheffizient möglich! Das sind alles Infrastrukturen der Energiegewinnung und -verteilung, die geografisch großflächig verteilt sind, also über Millionen von Quadratkilometern. Und Sie können jetzt nicht unbedingt effizient jede dieser einzelnen Windanlagen anschließen oder sie entlang der Pipeline komplett überwachen. Dank Raumfahrt und Satellitenüberwachung kann ich Monitoring betreiben. Kann den Gesundheitszustand der Pipeline sehen. Vor allem aber auch die Effizienz einer Windturbine konstant erfassen.

Ich werde in Zukunft im Zusammenspiel mit Meteorologiedaten vorhersehen können, wo der Wind weht und welche Turbinen ich wann und wie am effizientesten einsetzen kann. Das heißt, die Gewinnung der Energie, die Verteilung der Energie und die ganze Verwaltung der damit verbundenen Prozesse sind kommunikationsgestützt, und weil das eben großflächige Dinge sind, ist die Raumfahrt hier ein wesentlicher Faktor. Das wird – davon bin ich überzeugt – ein weiteres Kernthema der Zeit sein, weil es uns dabei helfen wird, CO2 zu sparen und effizient auf erneuerbare Energien zu wechseln.

Das bedingt aber, dass wir zu den aktuell noch in privater Hand befindlichen Systemen – Stichwort Star-Link – aufschließen. Wie weit sind wir davon entfernt?

Hermann Ludwig Moeller: Heute sind wir absolut handlungsfähig, die dafür notwendigen Initiativen befinden sich auf europäischer Ebene im Entscheidungsprozess. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass Handlungsbedarf besteht, wir haben nicht unendlich lange Zeit. Ich habe eben über die Frequenzen gesprochen. Diese Frequenzrechte zu besitzen hilft allein langfristig nichts, wir müssen auch die Satelliten in den Orbit setzen und sie benutzen. Das ist wie bei einem brach liegenden Grundstück: Wenn man das nicht in einem gewissen Zeitfenster auch verwertet, kann es passieren, dass es an Wert verliert oder gar irgendwann gar nicht mehr nutzbar ist.

Hermann Ludwig Moeller
Die zukünftige Automobilindustrie wird mit dem autonomen Fahren einen großen Schritt weitergehen – das funktioniert aber eben nur, wenn das Auto konstant mit dem Internet verbunden ist.Foto: adobe stock | Gorodenkoff

Wenn man an den Wilden Westen denkt und an die Zeit, wo man sich in Kalifornien die Claims absteckte, um seine Ranch zu bauen, dann sind wir als Europäer heute ungefähr in den Rocky Mountains. Allerdings gibt es schon ein paar Leute, die in Kalifornien angekommen sind und angefangen haben, ihre Pfähle einzuschlagen. Und wenn man zu spät kommt, dann wird der Platz eng. Wir müssen also unsere Claims abstecken, um autonom bleiben zu können. Zusammenfassend: Wir sind heute in der Lage zu tun, was nötig ist, doch die Zeit drängt, es auch wirklich zu tun und alle Kräfte Europas zu bündeln.

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