Berufliche Höhere Bildung

Lern was G’scheits! Aufwertung der Lehre soll Fachkräftemangel entgegenwirken

Es gibt viele Gründe, die für eine Lehre sprechen. Das gute Image zählte bislang aber nicht dazu. Mit der Höheren Beruflichen Bildung soll sich das endlich ändern. Ziel ist, die Lehre aufzuwerten und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Rund 392.000 Studierende waren im Wintersemester 2021/2022 in Österreich immatrikuliert. Das entspricht ungefähr der Einwohner:innenzahl von Graz und Klagenfurt zusammengerechnet. Damit erreichte die Zahl der Studierenden einen Höchststand, und das zum zweiten Mal in Folge. Doch nicht jede:r ist für das Studium gemacht. Manche setzen den Fokus lieber auf praxisorientierte Fähigkeiten statt auf theoretisches Wissen. Was nicht weiter schlimm wäre, gibt es doch auch andere Bildungswege. 

Allerdings ist der Gedanke, dass man es im Leben nur mit einem Hochschulabschluss zu etwas bringen kann, noch immer so fest in uns verankert, dass viele eine Lehre erst gar nicht in Betracht ziehen. Und dann wird das Ganze schon zu einem Problem. Speziell für Unternehmen, die verzweifelt nach passenden Fachkräften suchen. Eine neue Weiterbildungsschiene für Lehrabsolvent:innen soll das Image der Lehre endlich aufpolieren und die Lehre für junge Menschen attraktiver machen. Der Startschuss für die „Höhere Berufliche Bildung“ ist bereits gefallen, nun muss der Beschluss zügig in die Praxis umgesetzt werden. 

Höhere Berufliche Bildung: Werk- statt Schulbank

Doch was ändert sich jetzt genau? Österreichs Berufsausbildung ist im Großen und Ganzen mit der Lehre und den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen gut aufgestellt. Im Vergleich zur akademischen Ausbildung war die Lehrlingsausbildung bisher aber oft limitiert. Denn von 215 Lehrberufen eröffnen nur 70 die Möglichkeit zur Meisterprüfung. Diese steht, so wie auch der Bachelor-Abschluss, im sogenannten Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) auf Stufe sechs von insgesamt acht. 

Fakten

Ziel des Nationalen Qualifikationsrahmens (NQR) ist es, Transparenz zu schaffen und Bildungsabschlüsse, also Qualifikationen, vergleichbar zu machen. Und das nicht nur im nationalen, sondern auch im europäischen Kontext. Bis jetzt sind nur wenige Qualifikationen dem NQR zugeordnet. Lehrabschlüsse und BMS-Abschlüsse (Fachschulen) stehen auf Stufe 4, BHS-Abschlüsse (HTL, HAK usw.) auf Stufe 5, die Ingenieursqualifikation und die Meisterprüfung auf Stufe 6 und die hochschulischen Qualifikationen Bachelor, Master und PhD auf Stufen 6, 7 und 8.

Darüber hinaus haben Lehrabsolvent:innen in 40 Lehrberufen die Möglichkeit, eine Befähigungsprüfung abzulegen, die bisher noch keinem NQR-Niveau zugeordnet ist. Aber was tun, wenn weder die Meister- noch die Befähigungsprüfung angeboten wird und man sich trotzdem höher qualifizieren möchte? Für die meisten bedeutet das fast zwangsläufig, dass sie an eine Hochschule wechseln müssen. Was jedoch, wie wir eingangs bereits festgestellt haben, nicht jeder und jedem liegt. Viele Lehrabsolvent:innen ziehen es vor, sich praxisnah in ihrem Berufsfeld weiterzubilden statt sich in einen Hörsaal zu setzen und die Berufstätigkeit zu unterbrechen. Und das ist durchaus nachvollziehbar. 

Die Schweiz und Deutschland machen’s vor

Die Regierung hat daher beschlossen, für Lehrabsolvent:innen eine neue Weiterbildungsschiene im nicht-akademischen Bereich zu schaffen. Will heißen: Junge Menschen sollen in Zukunft im Betrieb dieselben Entwicklungschancen haben wie auf der Schulbank oder an der Universität. Der Prozess zur Erarbeitung der Rahmenbedingungen wurde bereits gestartet und läuft unter dem Namen „Höhere Berufliche Bildung“.

Diese wird direkt auf einer beruflichen Erstausbildung oder entsprechender Berufserfahrung aufbauen und eine berufsbegleitende Höherqualifizierung bis auf ein Niveau ermöglichen, das den an Universitäten, Fachhochschulen oder pädagogische Hochschulen vergebenen Bachelor-, Master- oder sogar PhD-Abschlüssen )entspricht. Damit folgt man dem Beispiel anderer europäischer Länder, wie etwa der Schweiz, wo sich ein ähnliches Modell unter dem Titel „Tertiär B“ bereits gut entwickelt hat. Und auch Deutschland ist uns in diesem Bereich noch um einiges voraus. 

IV-Generalsekretär Neumayer
IV-Generalsekretär Neumayer sagt: „Neue Bildungsperspektiven für Lehrabsolvent:innen sind einer der Schlüsselfaktoren dafür, die Lehrausbildung attraktiver zu machen und damit den Fachkräftenachwuchs in unserem Land abzusichern“Foto: IV | Müller

Mit der Weiterentwicklung der beruflichen Ausbildung soll die Lücke, die noch zwischen der Lehrabschlussprüfung (NQR-Stufe 4) und der Meisterprüfung (NQR-Stufe 6) klafft, geschlossen werden. Darüber hinaus will man Lehrabsolvent:innen aber auch den Zugang zu Führungspositionen erleichtern sowie die Möglichkeit geben, branchenübergreifende Kompetenzen (auf NQR-Stufe 7) zu erwerben. Der Fokus könnte dabei auf Themen wie Management, Führungskompetenz, Rechnungswesen oder Marketing gelegt werden.

Höhere Berufliche Bildung gegen den Fachkräftemangel

Auch die Industrie steht hinter der Höheren Berufsausbildung und sieht darin eine vielversprechende Chance: „Neue Bildungsperspektiven für Lehrabsolvent:innen sind einer der Schlüsselfaktoren dafür, die Lehrausbildung attraktiver zu machen und damit den Fachkräftenachwuchs in unserem Land abzusichern“, betont etwa Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung.

So sollen künftig in der Industrie Kompetenzen, die nach der Lehre zum Beispiel in der Planung, Teamleitung und Innovation erworben wurden, auch durch einen formalen Abschluss belegt werden. Dies gilt unter anderem auch für den Handel, wo nach dem Lehrabschluss eine höhere Qualifikation mit formalem Abschluss, zum Beispiel als Filial- oder Regionalleiter:in, möglich sein soll.

Anderer Bildungsweg – gleiche Chancen 

„Für jene Fachkräfte, die sich praxisnah weiterentwickeln und vertiefen wollen, soll die Höhere Berufliche Bildung zukünftig das gleiche Prestige und Ansehen mit sich bringen wie ein Studium“, fordert Christoph Neumayer. Aus Sicht der Industrie sei es vor allem wichtig, dass die Höhere Berufliche Bildung möglichst nahe an der Realität und Bedarfslage der Unternehmen entwickelt wird. Dafür brauche es das Bemühen aller, die Höhere Berufliche Bildung als Marke bekanntzumachen und eine Akzeptanz der neuen Qualifikationen bei den Arbeitskräften und in den Unternehmen aufzubauen.

Fazit: Der neue Bildungspfad soll vor allem eines schaffen: Wahlfreiheit im Bildungssystem. Das heißt: Jugendliche sollen sich nicht aus Prestigegründen gezwungen sehen zu maturieren oder zu studieren. Stattdessen sollen sie auf ihre eigenen Fähigkeiten und Stärken vertrauen und dabei die gleichen Chancen haben wie alle anderen. Denn am Ende zählen im Idealfall die Qualifikationen, und nicht, wo man diese erworben hat.

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