Steigende Energiekosten wirken als Inflationstreiber und bringen im globalen Wettbewerb massive Nachteile für die heimische Industrie. Betriebsabschaltungen drohen. Auch bei der Klimaschutzkonferenz ist das Thema.
Die Konjunkturkurve zeigt nach Monaten der Krise wieder nach oben. Der Aufschwung treibt manchen aber auch Sorgenfalten auf die Stirn. Grund sind die sprunghaften Bewegungen am Energie- und Rohstoffmarkt. Vorausschauende Preis- und Mengenkalkulationen sind unmöglich geworden. Einzige Konstante seit Ausbruch der Pandemie: Die Energiekosten steigen tendenziell. Teilweise massiv.
So hat sich der Eisenerzpreis während der letzten Monate zunächst verdreifacht, dann aber wieder halbiert. Anders der Gaspreis: Er hatte sich zu Beginn der Pandemie zunächst halbiert, seit dem unteren Wendepunkt im August des Vorjahres jedoch nahezu verachtfacht. Dies entspricht einer Verdreifachung gegenüber dem üblichen Niveau. Vor allem für die energieintensive Industrie gleicht das einer Achterbahnfahrt ohne Happy End. „Es ist kurzfristig wie langfristig eine Gefahr für den Standort“, warnt Thomas Salzer, Geschäftsführer seines traditionsreichen Familienunternehmens, das seit dem 18. Jahrhundert in St. Pölten Papier produziert.
30 Prozent höhere Energiekosten
„Der Anstieg der Energiepreise stellt für die globale Inflation in der kurzen Frist ein bedeutendes Risiko dar und könnte bei weiterem Anhalten auch das Wachstum in Ländern schwächen, die Energie importieren“, unterstreicht Weltbank-Volkswirt Ayhan Kose. In Europa trifft das einige Staaten, Österreich gehört dazu. 2020 wurden Kohle, Öl und Gas im Wert von insgesamt 7,4 Milliarden Euro importiert.
Das ist zwar um 3,8 Milliarden Euro weniger als 2019 – was aber abgesehen vom niedrigeren Verbrauch vor allem am deutlich niedrigeren Preis lag. Die Primärenergiekosten lagen zwischen 30 und 40 Prozent unter dem 2019er-Niveau. Jetzt zieht die Konjunktur wieder an, das Angebot aber fehlt. Die Preisschraube wird weiter angezogen. Mit gravierenden Folgen: Es wird teurer.
Zusperren als Option
Nicht nur Privathaushalte erhalten dieser Tage Informationen über künftig höhere Energiekosten, auch Industriebetriebe müssen neu kalkulieren. Die wachsenden Energiekosten haben bei „normalen“ Unternehmen eine acht- bis zehnprozentige Kostensteigerung zur Folge, rechnet Salzer vor: „Bei energieintensiven Branchen wie der Papierindustrie klettern die Ausgaben aber um bis zu 30 Prozent.“
In Salzers Unternehmen übersteigen die Energiekosten erstmals die Personalkosten. „Wir werden die Kosten weitergeben, wir haben keine andere Wahl in der Grundstoffindustrie“, sagt Salzer. Für andere Unternehmen heißt das, dass sie ihre Produktion einschränken, im Ernstfall überhaupt einstellen müssen, weil die explodierenden Kosten einen Betrieb unrentabel machen. Zumindest aber schrumpft der Spielraum für Investitionen.
Fehlende Strategie schwächt Europa
Damit bremst sich das Wirtschaftswachstum ein, was wiederum Arbeitsplätze kosten könnte. Zudem besteht die Gefahr eines Dominoeffekts, der über die Grundstoffproduzenten zu deren Abnehmern in der Landwirtschaft oder der verarbeitenden Industrie und am Ende zum Konsumenten überschwappt. Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Büchern und Zement bis zu Autos stehen bevor. An den Zapfsäulen der Tankstellen sind sie bereits spürbar.
Die Gründe ortet Salzer in einer falschen Energiepolitik auf EU-Ebene. „Es fehlt die strategische Planung und ein gemeinsames Auftreten“, kritisiert er. Das schwächt Europa im globalen Wettbewerb. Denn China kaufe beispielsweise massiv Flüssiggasreserven auf, hortet bereits 80 Prozent des Weltverbrauchs, und in den USA liegen die Erdgas-Kosten für die Industrie bei einem Drittel des europäischen Niveaus. Indes steige in Europa die Abhängigkeit von Russland. Salzers Bilanz: „Europa wird so die industrielle Basis entzogen.“
Um die energieintensive Produktion in Europa und Österreich halten zu können, müsse es zukünftig große Mengen an Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen geben, drängt auch Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung. Es sei nämlich nicht zu erwarten, dass der Energiebedarf zukünftig aus heimischen Quellen gedeckt werden kann. Schon jetzt werden rund 70 Prozent des Bedarfs importiert. „Wir bräuchten daher eine europäische Strategie zur Beschaffung klimaneutraler Energie aus Partnerländern“, so Knill im Rahmen der UN-Klimakonferenz 2021 „COP26“ in Glasgow. Erstmals hatte Bundeskanzler Alexander Schallenberg einen Vertreter der Industrie als einzigen Mitrepräsendanten auserkoren. Schließlich seien Innovation und Technologie die unverzichtbaren Voraussetzungen für nachhaltigen Klimaschutz, so die Begründung.
Keine Entspannung in Sicht
Denn die Umstellung auf nachhaltige Energieformen bleibt ein herausforderndes bis heikles Terrain. Selbst wenn das gesamte Ausbaupotenzial an erneuerbaren Energiequellen angezapft werden würde, würden in Österreich 30 bis 40 Terrawattstunden (das entspricht einem Zehntel des Energieverbrauchs) fehlen. Regenerative Quellen wie Wind- oder Sonnenenergie liefen nämlich zu unregelmäßig Strom.
Auch wenn heimische Forscher die vielleicht vielversprechendste Lösung schon gefunden haben: Noch müssen zur Netzabsicherung Kohle- und Gaskraftwerke „in Alarmbereitschaft“ sein, um Schwankungslücken beispielsweise durch zu wenig Sonneneinstrahlung oder zu starken Wind auszugleichen. Salzer warnt daher vor einer Destabilisierung: „Alle wollen den raschen Wandel und die Klimaschutzziele 20 Jahre früher erreichen, aber die Strukturen passen nicht.“ Entspannung scheint kurzfristig keine in Sicht zu sein.
Österreichs Industrie als Vorreiter
Nach Ansicht der Weltbank werden die Energiepreise auch 2022 hoch bleiben. Erst in der zweiten Jahreshälfte könnten sie demnach angesichts einer besseren Angebotslage und einer langsamer wachsenden Nachfrage wieder sinken. Bis dahin fordert man seitens der Industrie zumindest temporäre Maßnahmen zur Entlastung. Für Härtefälle solle es demnach Überbrückungsfonds analog zu den Covid-Hilfspaketen geben, für einen beschränkten Zeitraum führt man zudem eine Abgabenreduktion bei Erdgas und Strom ins Treffen.
Neidisch blickt man nach Skandinavien, wo Netzgebühren und Energiesteuern deutlich niedriger sind als in Österreich. Umgekehrt nimmt Österreich in Sachen Emissionsvermeidung und Energieeffizienz eine Vorreiterrolle ein. Sowohl in der energieeffizienten Produktion von energieintensiven Gütern wie Stahl, Zement oder Papier, aber auch im Bereitstellen technologischer Lösungen.
GUT ZU WISSEN
- In Glasgow findet aktuell die UN-Klimakonferenz COP26 statt.
- Rund 200 Staaten diskutieren, wie das in Paris beschlossene 1,5 Grad-Ziel noch erreicht und konkret umgesetzt werden kann.
- Ziel ist es, den menschengemachten globalen Temperaturanstieg bis zum Jahr 2100 auf 1,5 Grad zu begrenzen (bezogen auf den Wert aus vorindustrieller Zeit rund um das Jahr 1850).
- Die bisherigen Pläne der Staaten reichen dazu noch bei weitem nicht aus.