Geld kalte Progression

Kalte Progression – warum sie uns ärmer macht

Mit der hohen Inflation kehrt die kalte Progression zurück. Der Staat kann sich damit zwar über Mehreinnahmen freuen, der Ruf nach einer Abschaffung und damit steuerlichen Entlastung der arbeitenden Menschen wird aber lauter.

Die kalte Progression ist eine politische Überlebenskünstlerin. Vor Wahlen wollte sie in den letzten Jahren bereits jede Partei mindestens einmal abschaffen. Nach Wahlen drängt meistens nur noch die Opposition darauf. Die Regierungen versprechen zwar regelmäßig, dass man darüber nachdenken und das Potenzial prüfen wolle, die Umsetzung scheitert aber meist. Und so gibt es die kalte Progression als schleichende Steuererhöhung jedenfalls immer noch. 

Angesichts der aktuellen Verteuerungen werden die Stimmen aber wieder lauter, die auf ein Abschaffen der kalten Progression drängen. „Angesichts der höchsten Inflation seit 40 Jahren müssen nun endlich Taten folgen“, fordert etwa Christian Pochtler, der Präsident der Industriellenvereinigung Wien. Es sei „ein Gebot von Fairness und Gerechtigkeit gegenüber allen arbeitenden Menschen in Österreich“. Wie aber kommt es zu einer kalten Progression? Wer profitiert davon, wer leidet darunter? Eine Erklärung.

1 Was ist die kalte Progression?

Gehaltserhöhungen beziehungsweise Inflationsanpassungen sind für ArbeitnehmerInnen grundsätzlich erfreulich. Allerdings kann es aufgrund des progressiven Einkommensteuermodells in Österreich dazu führen, dass Steuerpflichtige dann mit größeren Teilen ihres Einkommens automatisch in eine höhere Steuerstufe rutschen. Die Steuerlast wird also schleichend insgesamt größer, und das, was man zum Ausgeben zu Verfügung hat, damit weniger. Entlastungen, die durch Steuerreformen greifen sollten, werden so binnen kürzester Zeit „aufgefressen“, da ein größerer Anteil als bisher höher besteuert wird. Die Betroffenen sind aufgrund einer höheren Durchschnittsbelastung so Opfer der kalten Progression, anstatt von den Tarifsenkungen zu profitieren.

2 Wie funktioniert ein progressives Steuersystem? 

Wesentliche Grundlage der kalten Progression ist das progressive Einkommensteuersystem. Es folgt einer „Wer mehr verdient, zahlt mehr Steuern“-Logik. So sind jährliche Einkommen bis 11.000 Euro steuerfrei. Man muss dafür keine Einkommensteuer zahlen. Darüber werden verschiedene Einkommensteile nach einem progressiven Tarifschlüssel berechnet. Das heißt, dass Einkommen zwischen 11.000 und 18.000 Euro mit 20 Prozent zu besteuern sind. Verdient jemand mehr als 18.000 Euro, wird der darüber hinausgehende Betrag bis zu einem Betrag von 31.000 Euro mit 32,5 Prozent besteuert. Dieses Pyramidenmodell setzt sich fort. Bis 60.000 Euro fallen beispielsweise 42 Prozent Einkommensteuer an. Steigt also das Gehalt, rückt man automatisch in eine höhere Steuerklasse. Die kalte Progression schlägt dann zu, wenn die allgemeinen Teuerungen und der höhere Steuerbetrag den Netto-Mehrverdienst übersteigt – wenn also weniger Netto vom Brutto bleibt. 

3 Warum verdient der Staat durch die Inflation?

Der Staat profitiert von der steigenden Inflation, denn hohe Inflationsraten führen zu einem unmittelbaren Anstieg der konsumabhängigen Steuern wie der Mehrwertsteuer. In weiterer Folge steigende Löhne erhöhen dann auch die Einnahmen aus Lohnsteuern beziehungsweise Sozialbeiträgen.

4 Wie viel verdient der Staat durch die kalte Progression?

Der Thinktank Agenda Austria berechnete für den Zeitraum zwischen 2016 und 2020 Mehreinnahmen durch die kalte Progression für den Staat in der Höhe von etwa 3,6 Milliarden Euro. Für 2022 und 2023 bringt die hohe Inflation laut Agenda Austria dem Budget insgesamt Mehreinnahmen aus Mehrwert-, Lohn- und Einkommensteuer zwischen 7,5 und elf Milliarden Euro.

5 Wen trifft die kalte Progression?

Durch die jährlich stattfindenden Lohnverhandlungen rutschen viele Menschen durch ein höheres Gehalt in höhere Steuerklassen. Abgesehen von Kleinstverdienern, die keine Lohn- oder Einkommensteuer zahlen, spürt damit der große Teil der Bevölkerung die kalte Progression mit voller Wucht. Jedes Mal, wenn Unternehmen daher Lohnerhöhungen auszahlen, nascht der Staat bei gleichbleibenden Tarifstufen überproportional mit.

6 Wie könnte man die kalte Progression verhindern?

Eigentlich würden die Steuermehreinnahmen durch die Inflation der Politik Spielraum für Entlastungen bieten. Tatsächlich wurde durch die Steuerreformen der letzten Jahre aber nur ein Teil der Mehreinnahmen an die Bevölkerung zurückgegeben. „Diese Reform muss bereits 2023 wirksam werden, um die drohende Lohn-Preis-Spirale abfedern zu können“, betont Pochtler. „Eine Abschaffung ist in der aktuellen Krisensituation eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit.“ Indem man beispielsweise die Steuerstufen laufend beziehungsweise regelmäßig an die Inflationsrate anpasst beziehungsweise indexiert – das heißt, nach oben korrigiert –, könnte man die kalte Progression im engeren Sinne weitgehend beseitigen.

Credits Artikelbild: adobe stock | Anna

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