Kinderbetreuung

Kinderbetreuung ist kein Kinderspiel

In all den Diskussionen, die seit Ausbruch der Pandemie geführt wurden, kamen Kindergartenkinder praktisch gar nicht vor – was unterstreicht, dass Elementarpädagogik einen viel zu geringen Stellenwert innerhalb der Gesellschaft hat. Dabei brächte eine Stärkung der frühkindlichen Betreuung enorme Vorteile. Nicht nur für Kinder. Nicht erst seit Corona.

Wenn man sich die Vorzüge ansieht, kann man schwer nachvollziehen, warum die Forderungen nach einer flächendeckenden, leistbaren und qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung nicht schon längst umgesetzt wurden. Stattdessen verpasst Österreich seit 2010 das EU-weite Barcelona-Ziel, das bei den unter Dreijährigen eine Betreuungsquote von 33 Prozent vorsieht. Und investiert mit 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung um ein Drittel weniger als der Durchschnitt der Industriestaaten in Kindergärten.

Damit liegen wir, trotz Verbesserungen in den letzten Jahren, im EU-Vergleich im hinteren Drittel, wie die Daten der OECD zeigen. Doch gerade in diesem Bereich sollte man nicht sparen. Im Gegenteil. Wenn Österreich hier an den EU-Schnitt von einem Prozent des Bruttoinlandprodukts aufschließen würde, so wie es die SozialpartnerInnen und die Industriellenvereinigung fordern, stünden jedes Jahr mehr als eine Milliarde Euro zusätzlich für die Elementarbildung zur Verfügung. Eine Zukunftsinvestition, von der alle profitieren würden. Aber warum genau?

Barcelona-Ziele

Beim EU-Gipfeltreffen in Barcelona im Jahr 2002 legten die Mitgliedsstaaten die sogenannten „Barcelona-Ziele“ fest, die vor allem die Situation für Frauen am Arbeitsmarkt verbessern sollen. So einigte man sich darauf, dass bis 2010 Kinderbetreuungsplätze für mindestens 90 Prozent der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schuleintritt und für mindestens 33 Prozent der Unter-Dreijährigen zur Verfügung gestellt werden. Tatsächlich wurde in den letzten Jahren mehr Geld in die Kinderbetreuung investiert, sodass es genügend Betreuungsplätze für die Drei- bis Sechsjährigen gibt. Bei den Unter-Drei-Jährigen haben wir das Ziel aber bis heute nicht erreicht und liegen mit einer Quote von 23 Prozent (laut Eurostat) bzw. 28 Prozent (Statistik Austria) innerhalb der EU-27 auf Platz 20, wie aus der aktuellen Studie der Julius-Raab-Stiftung hervorgeht.

Bildung – so früh wie möglich

Beginnen wir mit den Kindern. Die ersten drei Lebensjahre sind entscheidend. Es ist die Zeit, in der Kinder besonders lernfähig sind und alles aufsaugen, was rund um sie passiert. Das Gehirn eines/einer Dreijährigen ist fast doppelt so aktiv wie das eines/einer Erwachsenen. Ein Vorteil, den man nicht ungenutzt lassen darf. So belegen etliche Studien, dass frühkindliche Bildung sich positiv und nachhaltig auf die spätere Bildung, die Chancen am Arbeitsmarkt und sogar die Gesundheit auswirken. Besonders Kinder aus sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen profitieren überdurchschnittlich vom frühen Bildungsangebot, das vieles wettmachen kann, was die Familien nicht schaffen.

So schneiden etwa 15-Jährige bei PISA-Auswertungen besser ab, wenn sie schon vor der Schule einen Kindergarten oder eine ähnliche Einrichtung besucht haben. Wobei es nicht damit getan ist, nur genügend Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Um wichtige Weichen für später stellen zu können, müssen außerdem die Qualitätsstandards der Elementarbildung gehoben werden, indem man die PädagogInnen entsprechend ausbildet und entlohnt sowie die Gruppen verkleinert.

Raus aus der Teilzeit

Vom Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen profitieren aber auch die Mütter. Denn obwohl wir heute mit Robotern zusammenarbeiten, jede unserer Bewegungen und Körperfunktionen tracken oder selbstfahrende Autos entwickeln, sind wir, was das Rollenbild von Frauen und Männern angeht, noch lange nicht im aktuellen Jahrhundert angekommen. Nach wie vor sind es in der Regel die Frauen, die ihren Kindern zuliebe Karrierepläne hintenanstellen. Und das, obwohl sie heute besser gebildet sind als jemals zuvor. Die Folge: In Österreich ist fast jede zweite Frau in Teilzeitbeschäftigung, bei den Männern ist es nur jeder zehnte, wie aus der aktuellen Auswertung von Statista hervorgeht. Dies führt wiederum zu einem niedrigeren Einkommen und letztendlich oft zu einer geringen Pension.

Kinderbetreuung
Kinder und Haushalt – wer kümmert sich? Häufig sind es Frauen, die sich ihren Kindern zuliebe für eine Teilzeitbeschäftigung entscheiden.Foto: adobe stock | NDABCREATIVITY

Im Schnitt bekommen Frauen in Österreich rund 40 Prozent weniger Pension als Männer. Dabei ist die Entscheidung, in Teilzeit zu gehen, nicht immer eine, die freiwillig getroffen wird. Oft bleibt einem nichts anderes übrig, da es an Kinderbetreuungsplätzen mangelt oder Einrichtungen zu früh schließen. Speziell im ländlichen Raum ist es oft nicht möglich, Kinder ganztätig betreuen zu lassen. Für Alleinerziehende ist es besonders schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Das Barcelona-Ziel soll eben dies ändern und Frauen mithilfe gut ausgebauter Kinderbetreuung die Chance geben, schneller an den Arbeitsplatz zurückzukehren.

Es zahlt sich aus

Das bringt nicht nur Vorteile für die Familie, sondern auch für die Wirtschaft. Denn durch die höhere Beschäftigung entstehen hohe Rückflüsse, sowohl in Form von Steuern und Abgaben als auch durch Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung. Zudem ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein wichtiger Faktor, um den ländlichen Raum zu stärken, attraktive Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen und Abwanderung zu verhindern. Wie das Wifo berechnete, würden mehr als zwei Drittel der investierten Mittel wieder in die öffentliche Hand zurückfließen. Eine Win-win-Situation sozusagen.

Jeder nicht investierte Euro kostet uns mindestens acht Euro in der Zukunft.

Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung über die Notwendigkeit einer Stärkung der Kindebetreuung

Davon ist auch Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), überzeugt: „Jeder in die Qualität früher Bildung investierte Euro kommt volkswirtschaftlich gesehen mindestens achtfach zurück. Anders betrachtet: Jeder nicht investierte Euro kostet uns mindestens acht Euro in der Zukunft.

Gemeinsam mit den SozialpartnerInnen drängt die IV daher auf einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz bereits ab dem ersten Lebensjahr, flächendeckende, flexible und leistbare Kinderbetreuung (besonders für Unter-Dreijährige), eine Ausbildungsoffensive für PädagogInnen und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Betriebe, die Kinderbetreuung ermöglichen. Ziel ist es, die Forderungen bis 2025 umzusetzen. Viel Zeit bleibt also nicht. Immerhin sollen noch unsere Kinder etwas davon haben – und nicht erst die Enkelkinder.

Credits Artikelbild: adobe stock | Krakenimages.com

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