Energie Fachkräfte Klimaschutz

Klimaschützer:innen, dringend gesucht

Das Bemühen von Unternehmen, die ehrgeizigen Klimaschutzziele zu erreichen, wird durch allgemeinen Personalmangel massiv gebremst. Dabei wären Fachkräfte die effektivsten Klimaschützer:innen. Ein Kommentar.

Man kann es sich wie den Zusammenfluss zweier Flüsse vorstellen. Hier Fluss A, nennen wir ihn Fachkräftemangel. Es ist ein sich in den letzten Jahren immer weiter auch in vormals krisentrockene Gebiete ausbreitendes Gewässer. Dort Fluss B, nennen wir ihn Klimawandel. Auch bei ihm sind in jüngerer Vergangenheit Pegelstände und Fließtempo höher geworden. Auch er sorgt in wachsenden Zonen für Unbehagen, zunehmend auch für Un- und Notfälle.  

Dort, wo die beiden Flüsse zusammentreffen, vergrößern sich die Wassermassen noch einmal. Die Chance, dass es zu nachhaltigen Zerstörungen kommt, wächst massiv. „Multiple Krise“ nennt sich dieses Amalgam aus wenig erbaulichen Entwicklungen, in die sich aktuell in einer historisch einmaligen Gleichzeitigkeit noch Krieg, Inflationsexplosion und Lieferkettenprobleme mischen.

Fachkräfte als Notwendigkeit

Nicht immer haben all diese Rezessionstreiber unmittelbar miteinander zu tun. Manchmal können sie aber in Teilbereichen rückwärtskompatibel wirken. Wenn man beispielsweise die Fließgeschwindigkeit von Fluss A, dem Fachkräftemangel, eindämmen könnte, bis nur mehr ein Bach übrigbleibt – übersetzt: es also plötzlich (wieder) mehr Fachkräfte gibt –, könnten das dabei helfen, Fluss B, den Klimawandel, aufzustauen und auszutrocknen, jedenfalls aber so seine zerstörerische Wirkung abzuschwächen und vielleicht sogar in den Griff zu bekommen.

Glaubt man den Wasserstandsmesser:innen unseres Wirtschaftsozeans, ist der Abbau des Fachkräftemangels sogar eine der Grundvoraussetzungen, um die Klimawende bewältigen zu können. Rechtsbewanderte würden von einer Conditio sine qua non sprechen, also einer Maßnahme, die notwendige Bedingung für eine bestimmte Tatsache ist.

Personalkrater in Unternehmen

Um es abseits von Flussmetaphern konkret zu machen: Um die Energiewende zu schaffen, müssen noch zigtausend PV-Anlagen auf Dächer montiert, Wärmepumpen in Kellern installiert, Batterien und andere Speicher synchronisiert und Energiefresser repariert werden. Die Nachfrage nach Menschen, die das können, ist riesig. „Klimaschützer:innen, dringend gesucht“ könnte man abseits einschlägiger Demonstrationen lautstark rufen.

Fachkraefte-Energie
Begehrte Einzelstücke: Qualifizierte Fachkräfte werden auch im Bereich der erneuerbaren Energietechnologien gesucht. Foto: adobe stock | Pugun & Photo Studio

Allein: Das Angebot am Arbeitsmarkt an derartig ausgebildeten Spezialist:innen ist winzig. Vielfach nicht einmal das. In vielen Berufen klaffen riesige Personalkrater. Es fehlt an allen Ecken und Enden an qualifizierten Fachkräften und dem dazugehörenden Nachwuchs. Handwerker:innen, Monteur:innen, Elektrotechniker:innen, Maschinenbauer:innen usw.: Die Liste an Mangelberufen wächst.

87 Prozent finden keine Mitarbeiter:innen

Schon vor fünf Jahren ergab eine Studie von Ernst&Young einen Fachkräftebedarf von rund 162.000 Personen. 83 Prozent der österreichischen Mittelstandsunternehmen hatten damals Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden. 40 Prozent beklagten, deshalb erhebliche Umsatzeinbußen zu „erwirtschaften“. 2022 stieg der Anteil der Unternehmen, denen es schwerfiel, neue und ausreichend qualifizierte Mitarbeiter:innen zu finden, auf 87 Prozent, was rund 200.000 fehlende Kräfte bedeutet. Es gibt kaum mehr einen Sektor des österreichischen Arbeitsmarkts, der momentan nicht in Personalnot ist.

So ist es für zahlreiche Unternehmen im produzierenden Bereich und den mit ihm verbundenen Sektoren schon jetzt kaum bis gar nicht möglich, Mitarbeiter:innen mit den erforderlichen Qualifikationen, insbesondere im technischen Bereich, zu finden. Zwei von drei Betrieben dieser Branchen glauben diesbezüglich an keine Entspannung.

Betriebe sind in Gefahr

Aber auch der Transport- und Energiesektor, der Gesundheitsbereich, das Finanz- und Dienstleistungswesen sowie der Tourismus klagen über personelle Unterversorgung. 67 Prozent der Unternehmer:innen sahen laut E&Y-Untersuchung im Flaschenhals Fachkräfte sogar ein „enormes Risiko“ für die Zukunft des Betriebs. Es geht also längst ans Eingemachte.

Was dagegen zu tun ist, steht längst in diversen Forderungskatalogen: eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine Erhöhung der Berufstätigkeit von Frauen und Älteren, die weitere Attraktivierung der Lehre, eine Erleichterung beim Anwerben von Arbeitskräften aus Drittstaaten, eine steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit. Manches gehört längst zu den Evergreens der heimischen Arbeitsmarktdebattenhitparade.

Gefährliche Gemütlichkeit

Und was wird dagegen unternommen? Angesichts der Brisanz und dem Faktum, dass der demografische Wandel die Lage noch weiter eindunkeln wird, wenig – und das meist zu langsam. Die als Tourismusdestination vermarktbare „österreichische Gemütlichkeit“ erweist sich diesbezüglich jedenfalls als standortgefährdende Eigenschaft.

Brücke bei Unwetter
Der Moment, wenn es zu spät ist, um über Klimaschutz und Fachkräfte für Brückenbautechnik nachzudenken.Foto: adobe stock | Martin

Am zuletzt initiierten Fachkräftebarometer klebt daher viel Hoffnung. Damit könnten sich auch andere Messinstrumente am „Klima-Board“ der Wirtschaft ins Positive drehen. Beispielsweise jene für klimaschädliche Emissionen.

Know-how für die Klimawende

Da wäre man dann wieder beim Flussvergleich und den Fachkräften, die durch ihr Know-how einen wertvollen und wichtigen Beitrag zum Transformationsprozess der gesamten Wirtschaft Richtung Klimawende leisten könnten. Wenn nämlich sowohl Fluss A als auch Fluss B im Oberlauf eingebremst würden, würde die Bedrohungskulisse im Unterlauf deutlich kleiner werden.

„Wir überqueren die Brücke erst, wenn wir sie erreichen“ – diese andere Flussmetapher wäre jedenfalls fatal. Weil davon ausgegangen werden kann, dass Fluss A und Fluss B dann schon derart angeschwollen sind, dass ein Unglück unabwendbar ist.

Credits Artikelbild: adobe stock | familystock

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