Lagerarbeiter
Klaus Höfler

Kommentar: Ein Papiertiger schärft seine Krallen

Zwischen Pandemie und Krieg rutschen derzeit andere Themen ins Abseits. Verständlich. Das Lieferkettengesetz, das die EU auf den Weg geschickt hat, beispielsweise. Es verdient aber Aufmerksamkeit. Belastungen drohen.

Die Stoßrichtung des vorgelegten Entwurfs der Europäischen Kommission: Unternehmen sollen für die Produktionsweisen und Arbeitsbedingungen ihrer Lieferanten stärker in die Pflicht genommen werden und für Verstöße entlang dieser Lieferketten auch zivilrechtlich haften. Damit will man die Einhaltung von Mindeststandards bei Menschenrechten, im Umwelt- und Klimaschutz – egal, wo auf der Welt die Waren produziert werden – erzwingen. Erhoffter Kollateralnutzen: mehr Transparenz.

Keine Kinderarbeit, keine Umweltsünden mehr, dafür existenzsichernde Löhne, grüne Kreislaufwirtschaft und überhaupt mehr Fairness und Nachhaltigkeit: Klingt ja alles nicht so schlecht. Tatsächlich stellt sich diesen ambitionierten Zielen auch kaum jemand entgegen. Allein die angestrebte Verlagerung von Verantwortung Richtung Unternehmertum sorgt bei den Betroffenen für verständliche Kritik. Wäre es nicht einer der ureigensten Zuständigkeitsbereiche der Politik, dafür zu sorgen, dass von ihr festgelegte Normen, Regeln und Standards auch eingehalten werden?

Lieferketten: Zahnlose Zertifizierungen

Natürlich lassen sich die Kontrollvorschriften unter „sozialer Verantwortung“ abheften. Dass von Unternehmerseite aber „Augenmaß und Machbarkeit“ eingefordert wird, überrascht nicht, stoßen die eingemahnten Sorgfaltspflichten doch auf natürliche Grenzen. Es scheint die Komplexität globaler Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu ignorieren und nicht besonders realitätsnah zu sein. Ein heimisches Unternehmen für etwaige Verfehlungen von Zulieferern der Zulieferer der Zulieferer verantwortlich zu machen? Wo hört das auf?

Ja, längst existierende, freiwillige Verpflichtungen, Zertifizierungen und Gütesiegel scheinen bislang nicht gereicht zu haben. Auch die bereits 2011 von der UNO verabschiedeten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind ambitioniert, aber etwas zahnlos. Es hat sich – wenig überraschend – gezeigt, dass die Einbindung in den internationalen Waren- und Dienstleistungsaustausch nicht automatisch zu einem ökonomischen, ökologischen und sozialen Upgrade vor allem am hinteren Ende der Lieferkette führt. Vielmehr hat die Globalisierung gewisse Wohlstandsasymmetrien verschärft. Das steht außer Diskussion.

Es braucht sensiblere Instrumente

Auch dass es keine Amnestie bei Menschenrechtsverletzungen und kein Wegschauen bei Umweltsünden mehr geben darf, steht außer Zweifel. Die Gesetzesvorlage ähnelt aber eher einem Plan zur weiteren Bürokratisierung des unternehmerischen Alltags. Das überfordert die Betriebe und raubt Europa seine internationale Wettbewerbsfähigkeit. Globale Verantwortung ja, aber um profithungrige Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, soziale Schieflagen zu beseitigen und die Einhaltung der Klimaschutzziele zu garantieren, braucht es sensiblere Instrumente.

Betrieben die volle Verantwortung für die Durchsetzung der Menschenrechte oder ökologischer Mindeststandards in Drittstaaten zu übertragen, ihre Lieferketten also praktisch unter einen Generalverdacht zu stellen, wirkt wenig vertrauensbildend.

Traurig genug, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen dem Thema eine dramatische Aktualität geben. Kontinente überspannende Lieferkette – ob traditionsreich, gerade erst neu installierte und selbst noch nicht einmal in Betrieb genommene – werden derzeit mittels weitreichender Sanktionen (und auch im wahrsten Wortsinn) gesprengt. Zumindest die Frage nach Schuld und Verantwortung stellt sich in diesem Fall aber nicht. Die Antwort ist eindeutig.

Credits Artikelbild: adobe stock | sebastien rabany

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