Impfung

Konflikt um Patentschutz für Impfstoffe

Corona hält die Welt weiter fest im Würgegriff. Um die Impfquote global zu erhöhen, werden Stimmen lauter, die den Patentschutz für Impfstoffe freigeben wollen. Würde das wirklich die gewünschte Wirkung erzielen?

Ja? Nein? Befristet? In der Frage, ob man den Patentschutz für Impfstoffe gegen das Corona-Virus aufheben soll, liegen die Standpunkte aktuell weit auseinander. Jene, die dafür sind argumentieren mit der Benachteiligung wirtschaftlich schwacher Länder, die sich die Impfstoffe ansonsten nicht leisten können. Da führe zu einer niedrigen Impfquote innerhalb der Bevölkerung – und bereite am Ende den Nährboden für mögliche Mutationen.  

„Wenn ein Land nicht sicher ist, ist kein Land sicher“, mahnt Hans Henri P. Kluge, der amtierende Regionaldirektor für Europa der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Aber wie lässt sich diese Sicherheit herstellen? Es brauche mehr Impfstoffe für Schwellen- und Entwicklungsländer, ist Kluge überzeugt. Daraus ergibt sich zunächst die Frage nach den Mengen: Wie viel braucht es? Wie viel gibt es?

24 Milliarden Dosen Impfstoff

Um die Hälfte der Weltbevölkerung mit zwei bis drei Teilimpfungen innerhalb eines Jahres zu versorgen, brauche es 12 bis 13 Milliarden Impfdosen, rechnet die Nichtregierungsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ vor. Sind diese Mengen verfügbar? „Die Produktion von Covid-19-Impfstoffen wird bis Ende 2021 mindestens 11 Milliarden Dosen erreicht haben“, sagt Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG.

Die PHARMIG ist die freiwillige Interessenvertretung der österreichischen Pharmaindustrie. Derzeit hat der Verband rund 120 Mitglieder, die den Medikamentenmarkt zu gut 95 Prozent abdecken. So läuft auch die Produktion von Covid-19-Impfstoffen auf Hochtouren. Bis 2022 werden geschätzte 24 Milliarden Dosen im Umlauf sein. „Es liegt also dezidiert nicht an der Produktionsmenge oder an der Produktionsgeschwindigkeit“, sagt Herzog.

„Ein Problem der Verteilung“

„Es ist ein sich hartnäckig haltender Mythos, dass die Aufhebung des Patentschutzes bei Impfstoffen zu einer schnelleren und besseren Versorgung in den ärmsten Ländern führt“, unterstreicht Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des Fachverbands der Chemischen Industrie Österreichs.

Labor
280 „Zutaten“ stecken im Corona-Impfstoff von Pfizer. Der Patentschutz ist ein Treiber der wissenschaftlichen Forschung. Foto: adobe stock | alphaspirit

Woran liegt es dann? „Es ist ein Problem der Verteilung, weshalb gerade ärmere Regionen nicht die Mengen an Impfungen verfügbar haben, die sie für ihre Bevölkerung brauchen“, sagt Herzog. Um diese Flaschenhälse zu beseitigen und kostengünstig Impfstoffe vor Ort zu Verfügung stellen zu können, drängen die betroffenen, meist finanzschwachen Länder auf eine Aufhebung des Patentschutzes auf die Impfstoffe.

Wie ist geistiges Eigentum geschützt?

Bei dieser Thematik geht es jedoch – neben vielen anderen Aspekten – auch um die grundsätzliche Frage des Schutzes geistigen Eigentums und der Bewertung und Inwertsetzung kosten- und wirtschaftlich risikoreicher wissenschaftlicher Forschungsarbeit. Denn die Entwicklung marktreifer Impfstoffe beruht teilweise auf jahrzehntelanger Vorarbeit. Der Patentschutz ist diesbezüglich ein Treiber für die Forschungsaktivität, die im Kampf gegen die Pandemie dringend erforderlich ist, betont PHARMIG-Generalsekretär Alexander Herzog.

Denn der Benefit von wissenschaftlicher Arbeit und Forschung ist eben auch die exklusive Verwertung der Erkenntnisse – zumindest für einen gewissen Zeitraum. Beim Patentrecht sind das 20 Jahre beziehungsweise für Pharmaunternehmen bis zu 25 Jahre ab Anmeldung. Auch das Urheberrecht spiele bei Impfstoffen eine Rolle, etwa bei hochspezialisierter Analysesoftware. Dazu kommen noch etwaige Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, gibt man im Zentrum für Geistiges Eigentum, Medien und Innovationsrecht der Donau-Universität Krems zu bedenken.

280 Materialien im einem Impfstoff

Außerdem wird auf die begrenzte Verfügbarkeit von notwendigen Rohstoffen verwiesen. Allein zur Herstellung des Biontech-Pfizer-Impfstoffs braucht es 280 Materialien. Derzeit werde „praktisch jedes Gramm“ verfügbaren Rohmaterials in die Produktion gesteckt. „Die neuartigen Impfstoffe sind so komplex, dass Dritte sie nicht ohne Unterstützung der Entwickler herstellen könnten“, wird Robin Rumler, Geschäftsführer von Pfizer Austria, zitiert.

Ein Aussetzen von Patentschutzrechten berge die Gefahr, dass Roh- und Hilfsstoffe von bereits gut etablierten, effektiven Lieferketten zu weniger effizienten Produktionsstätten umgeleitet würden, wo fehlende Expertise ein Problem darstellen könnte.

Befristete Freigabe als Kompromiss?

Und jetzt? Seitens der Politik wird die Option einer befristeten Freigabe des Patentschutzes ins Spiel gebracht. Diese sogenannten TRIPS-Vereinbarungen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) können bei größerem öffentlichen Interesse getroffen werden. Es sind zeitlich begrenzte Zwangslizenzen, die die Pharmaunternehmen für eine angemessene Vergütung vergeben müssen. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck zeigte sich zuletzt offen für diese Variante.

GUT ZU WISSEN

  • Derzeit werden laut US-Verband BIO mehr als 634 verschiedene Medikamente darauf erprobt, ob sie auf die eine oder andere Weise hilfreich gegen Covid-19 sein können.
  • Die meisten dieser Mittel sind schon gegen eine andere Krankheit zugelassen oder waren zumindest schon vor der Pandemie gegen sie in Entwicklung. Sie umzufunktionieren („Repurposing“) ist in der Regel schneller möglich als eine völlige Neuentwicklung.

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