Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz – ein Mojito für eine Milliarde Dollar Umsatz

Künstliche Intelligenz: Sepp Hochreiter gilt als einer ihrer „Väter“. Der Wissenschafter forscht in Linz an Modellen, die Tesla, Google, Amazon oder Facebook Milliardenumsätze bescheren. Für Österreich wünscht er sich im Fakt & Faktor-Interview (Teil 1) einen Weckruf.

Gibt man in einer Internet-Suchmaschine „Hidden Champion“ ein, müsste eigentlich sein Name ganz oben erscheinen: Sepp Hochreiter. Der Informatiker, der an der Linzer Johannes-Kepler-Universität forscht, gilt als Wegbereiter für Künstliche Intelligenz (KI) und deren weltweiten Einsatz. Bei den großen Internet-Konzernen in den USA hat man das erkannt, in Österreich weiß es fast niemand. 

Unbekannt und unerkannt: Mit diesen Zuschreibungen lebt Hochreiter seit Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere. Schon in seiner Diplomarbeit beschreibt Hochreiter Lösungen für mathematische Probleme bei der Entwicklung neuronaler Netze. Das war vor 30 Jahren. Das Thema Künstliche Intelligenz ist da noch unterbelichtet. Nicht einmal sein Betreuer erkennt das Potenzial. Wissenschaftliche Journale lehnen einen Beitrag ab. Das war vor 25 Jahren. Später wird Hochreiter auch die Teilnahme an einem Workshop bei einer internationalen Konferenz versagt.

Künstliche Intelligenz? „Das interessiert uns nicht“

Die Begründungen sind immer dieselben: „Das interessiert uns nicht, wir kapieren es nicht, so ein Schwachsinn.“ „Wissen über Künstliche Intelligenz in Form neuronale Netzwerke war damals eben nicht gefragt, obwohl es zu besseren Ergebnissen geführt hat“, erinnert sich Hochreiter. Kurz: Er war seiner Zeit voraus. Es fehlen im technischen Bereich die entsprechenden Rechnerleistungen, im Bewusstsein der AnwenderInnen das Erkennen des Potenzials von KI. 

Die von Hochreiter entwickelte Grundlagentechnologie „Long Short Term Memory“ (LSTM) basiert auf dem Erkennen von Handschriften, Sprache und Gesichtern. Sie funktioniert schnell wie ein Kurzzeitspeicher, nur merkt sie sich die Dinge sehr lange und lernt daraus. Diese Technologie steckt in Sprachassistenten wie Siri und Alexa, kommt aber auch bei selbstfahrenden Autos oder intelligenten Maschinen in der Industrie zum Einsatz. Sie ist zu einem wesentlichen Baustein der Zukunft geworden.

Elon Musk am Telefon

Späte Genugtuung nach der anfänglichen Ignoranz? „Nein, für mich war das damals normal“, sagt Hochreiter. Er habe sich damit begnügt, „eh eine gute Note bekommen zu haben“. Deshalb stand auch nie die Idee für Patentanmeldungen im Raum. Heute gilt Hochreiter in der wissenschaftlichen Community und bei Tech-Giganten weltweit längst als Guru. 

Da kann es schon vorkommen, dass Elon Musk persönlich anruft. Für Hochreiter – seine Sprachfärbung und die Vorliebe für Bayern München verraten seine Herkunft schnell – ist das mittlerweile Routine. Wohin Künstliche Intelligenz uns noch führt, wie er Europas Umgang damit beurteilt und wo er Chancen für österreichische Unternehmen sieht, erzählt er im Interview.

Sepp Hochreiter KI
Sepp Hochreiter hat in Linz ein weltweit angesehenes Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz aufgebaut. Seine Modelle verwenden Tech-Konzerne wie Tesla, Amazon und Google.Foto: JKU

Die EU-Kommission hat kürzlich Regeln für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz vorgelegt. Man folgt dabei dem Prinzip „je höher die Gefahren, desto höher die Anforderungen an ein Programm und seinen EntwicklerInnen“. Für Regelverstöße sind hohe Strafen vorgesehen. Was halten Sie von diesem Ansatz und dem Regelwerk an sich?

SEPP HOCHREITER: Ich habe da ein bisserl Bauchweh. In dem Entscheidungsgremien der EU saßen vor allem PhilosophInnen und EthikerInnen, aber kaum TechnikerInnen und ForscherInnen. Da ging es vor allem darum, vor den Gefahren der Künstlicher Intelligenz, vor dem Schlimmen und Bösen und dem Hochrisiko zu schützen. Das ist eine sehr einseitige Sicht. Es stimmt zwar, dass auch etwas Schlimmes passieren kann, aber mit KI-Methoden kann man auch mehr Produktivität schaffen. 

Dieses „Auf-der-Bremse-Stehen“ scheint gerade in Technologiefragen ein typisch europäisches Verhalten zu sein.

Ja, wir merken das gerade in der Automobilindustrie. Wenn wir etwas mit Tesla machen, dann übernehmen die unsere Sachen gleich. In Europa reagiert man dagegen zunächst ängstlich. So musste eine Kooperation mit Audi aufgrund von datenschutzrechtlichen Abklärungen bei Kameraaufnahmen bei selbstfahrenden Autos fast ein Jahr stillgelegt werden. In den USA haben sich die Leute von Tesla, Apple und Google darum wenig gekümmert und einfach weitergemacht.

Ist der Datenschutz in Europa damit eher Fluch als Segen?

Vielleicht ist er notwendig, aber er bremst auch – teilweise aus Unkenntnis und Unklarheit darüber, ob man etwas darf oder nicht. Gerade für die Industrie eröffnen sich durch KI aber wahnsinnig viele Möglichkeiten. Das sollte man nicht übersehen. KI ist nicht etwas, was uns unterjochen wird wie in den Filmen „Terminator“ oder „Matrix“. Es kann zu einer höheren Produktivität und intensiveren KundInnenbindung durch bessere Servicemöglichkeiten führen. Das wird in Österreich, aber auch Europa völlig übersehen. Man lähmt sich selbst. Da ist man in den USA viel fixer, das auch umzusetzen und Geld damit zu verdienen. Dort nimmt man die Ideen, die in Europa – auch mit Hilfe von staatlichen Investitionen – entwickelt werden, mit Handkuss.

Autonomes Fahren
Autonomes Fahren: Ein Anwendungsgebiet für Künstliche Intelligenz. Kameras observieren die Umgebung und steuern das Auto.Foto: adobe stock | RioPatuca Images

Haben Sie ein Beispiel?

Wir haben in Linz „Self-Normalizing Networks“ erfunden. Das System hat Amazon übernommen für Übersetzungen, Bewertungen und gezielte Werbung. Es reicht in diesem Bereich nicht, gut zu sein. Man muss auch schnellere und schlankere Modelle haben, weil es um Bruchteile einer Sekunde geht. Amazon hat damit jedenfalls binnen kürzester Zeit eine Milliarde Dollar mehr Umsatz gemacht. Mir haben sie dafür auf einer Konferenz einen Mojito bezahlt.

Gibt es andere Bereiche, wo europäisches Können durch amerikanisches Anwendungsgeschick überholt zu werden droht?

Ich habe schon einmal gezielt bei unserer Automobilindustrie versucht, sie dahingehend voranzutreiben. Da war es aber schwierig, weil wir keine eigene Automarke haben, sondern vor allem Zulieferer. Aber womit wir in Österreich gut aufgestellt sind, sind die Bereiche Engineering, Maschinen- und Anlagenbau. Auch da wird in Zukunft viel mehr KI zum Einsatz kommen und wichtiger werden.

Was heißt das für die Unternehmen?

Dass sie sich rechtzeitig darauf einstellen und umstellen müssen. So sagt Google: Ihr könnt eh gute Motoren bauen oder Kühlschränke oder Geschirrspüler – die kaufen wir zu. Aber in Zukunft wird das Service und damit die KI wichtiger werden. Und das kann Google besser. Die wissen und sehen über vom Gerät zurückfließende Daten ständig, was KundInnen machen, halten laufend mit ihnen Kontakt und können über die Informationen von Sensoren frühzeitig auf Mängel bei den Maschinen reagieren und so den KundInnen ein viel besseres Service bieten und Marktveränderungen ablesen. Alles dank KI. Wie blöd sind wir in Europa, dass wir nur die Maschinen verkaufen – und das war’s? Da gibt es noch sehr viel Luft nach oben. 

Aber bei vielen Maschinen sind europäische Produkte aufgrund der Qualität Marktführer.

Die Marktführerschaft kann man aber sehr leicht verlieren, indem ein anderer ein intelligenteres Produkt baut, das vielleicht qualitativ nicht besser ist, er aber mehr Kontakt zu den KundInnen und ein besseres Rundum-Service bietet. Es wäre fatal, wenn Google, Facebook oder Microsoft dank der KI-Technologie – neben dem Internetsektor, wo sie ohnehin schon uneinholbar sind – plötzlich auch den Engineering-Markt beeinflussen. Dann haben wir wirklich viel verloren. Dann wäre die Maschinen- und Anlagenbau-Kompetenz auch noch weg. Das ist nicht einfach so dahergesagt: Es ist eine reale Gefahr!

In welchem Bereich zum Beispiel?

Bei selbstfahrenden Autos. Google war nicht dafür bekannt, dass es Autos baut – jetzt tun sie es, weil KI-Methoden diesen Technologieunternehmen in die Hände spielen. Also bitte Vorsicht, dass man diese neuen Technologien nicht übersieht.

In diesem Zusammenhang kommt immer wieder die Angst oder der Vorwurf, Computer nehmen uns Jobs weg, weil sie immer schlauer werden. Wie groß ist diese Gefahr wirklich?

Ja, bestehende Jobs werden wegfallen, vor allem jene, die repetitiv und langweilig sind. Aber mit jeder neuen Technik sind auch neue Jobs gekommen. Wir werden ExpertInnen brauchen, die Feinheiten sehen und erkennen. Sie müssen auch wissen, wo KI tatsächlich eine Effizienzsteigerung bringt, welche Sensoren und Daten es braucht. Dafür muss man nicht studiert haben, braucht aber entsprechende Qualifikationen.

Jetzt Teil 2 des Interviews lesen! Über die Grenzen des Fortschritts, Millionengagen für Studenten und warum es bald keine Schauspieler mehr braucht

Credits Artikelbild: Adobe Stock | DedMityay

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