Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz – Wo sind die Grenzen des Fortschritts?

Sepp Hochreiter hat die Grundlagen für Künstliche Intelligenz entwickelt. Der „Technikoptimist“ skizziert im Fakt & Faktor-Interview (Teil 2) neue Einsatzgebiete und Zukunftsvisionen. Braucht es bald keine KomponistInnen und SchauspielerInnen mehr?

Sepp Hochreiters wissenschaftliche Stationen lesen sich für Außenstehende wie verkehrt abgespult: von Amerika nach Berlin nach Linz. Tatsächlich lockte man den gebürtigen Bayer, der in den USA im Bereich Maschinelles Denken (AI) forschte, mit einem Lehrstuhl für Bioinformatik an die Johannes-Kepler-Universität

Durch die damals dort noch nicht sehr intensive Kooperation mit den örtlichen Krankenhäusern blieb Hochreiter mehr Zeit, sich seiner eigentlichen Leidenschaft – dem Thema Künstliche Intelligenz (KI) – zu widmen. Heute ist er einer der internationalen Vordenker in diesem Bereich. Konzerne von Google über Amazon bis Audi und Zalando kooperieren mit Hochreiters Forschungsgruppe. Das Land Oberösterreich hat dafür ein eigenes KI-Lab finanziert.

Künstliche Intelligenz komponiert Hits 

Das große Ziel der WissenschafterInnen: eine „General Artificial Intelligence“ – eine Art „Superintelligenz“, die alles versteht und jede Aufgabe lösen kann. Am Ende könnten ForscherInnen selbst durch neuronale Netze ersetzt werden. Einen Schritt in diese Richtung hat man im Bereich der Musik gemacht. 

So hat Spotify bereits KI-ExpertInnen engagiert, um in Zukunft von Maschinen Hits komponieren zu lassen. Basis sind Daten von Intervallfolgen oder sich wiederholenden Phrasierungen, die in der Vergangenheit bereits zu Hitparadenerfolgen geführt haben. Sie werden zu neuen Songs zusammengemischt. Das funktioniere deshalb, weil von allen Kunstgattungen Musik der Mathematik am nächsten sei, erklären ExpertInnen. Hochreiter selbst war in den USA Gast bei einem Konzert, bei dem das Hollywood Symphonie Orchestra eine Symphonie spielte, die von KI komponiert wurde.

Künstliche Intelligenz als Co-Autor für einen Roman

Weniger erfolgreich verlief ein Versuch im Bereich Literatur. Autor Daniel Kehlmann hatte ein Jahr lang versucht, zusammen mit einem KI-Algorithmus im Silicon Valley einen Roman zu schreiben. Daraus wurde nichts, wie Kehlmann in seinem Erfahrungsbericht „Mein Algorithmus und ich“ schreibt. 

KI fehlt es zwar nicht an aus Bestsellern herausgefilterten Textbausteinen, aber an einem längerfristig geplanten Plot. Ein Film, der nach einem von KI verfassten Drehbuch produziert wurde, gibt es dagegen bereits. Erfolgreich war er aber nicht. Wohin führt das alles noch? Sepp Hochreiter zeichnet im Interview sein Zukunftsbild – und erklärt, warum er immer noch in Linz ist und abgeworbene StudentInnen bedauert.

Sepp Hochreiter KI
Sepp Hochreiter: Seine StudentInnen verdienen in der Privatwirtschaft ein X-Faches von dem, was sie auf der Uni als ForscherInnen bekommen würden.Foto: JKU

Sie genießen in der Branche weltweites Ansehen – und forschen in Linz? Warum sind Sie noch hier und nicht im Silicon Valley?

Was wäre dort besser? Vom Land Oberösterreich gibt es gute Unterstützung, und auch das soziale Umfeld passt. Besser wäre vielleicht anderswo, dass es mehr StudentInnen gibt und daher das Potenzial an guten StudentInnen größer ist.

Apropos: Ihre StudentInnen werden noch aus dem Hörsaal „wegengagiert“. 

Ja, das ist schade und ein bisserl ärgerlich. Aber die verdienen dann bei Start-ups oder großen Konzernen bis zum Sechsfachen dessen, was sie auf der Uni bekommen hätten. Die kann man dann nicht halten. 

… und sie verdienen auch ein Vielfaches von Ihnen. Verspüren Sie nie Neid?

Nein. Mir tun die StudentInnen leid. Was sollen sie denn mit dem vielen Geld tun? Die werden dann noch drogenabhängig oder kaufen sich ein teures Auto. Und dann? Es ist doch viel schöner, eine gute Idee zu haben und coole Sachen zu erfinden. 

Wohin führt uns dieses Erfinden noch, beispielweise in der Filmindustrie?

Zur Frage, ob wir überhaupt noch menschliche SchauspielerInnen brauchen.

Wie bitte?

Es gibt heute die Möglichkeit, extrem naturgetreue Nachbildungen von SchauspielerInnen am Computer zu bauen. Auf die Figuren müsste man nur noch das eingescannte Gesicht eines Schauspielers setzen – weil den Superstar möchte man ja noch immer haben, aber ihm nicht für Drehtage viel Gage überweisen müssen. In Hollywood geht es derzeit in diese Richtung. Es gibt auch schon Ausstellungen von Bildern, die von Künstlicher Intelligenz gemacht wurden. Wie sehr das noch Kunst ist, weiß ich nicht. Vielleicht ist Kreativität für die Maschine das einfachste, weil sie anders an die Aufgabe herangeht als ein Mensch.

Walk of Fame
Braucht es bald keine Schauspieler mehr? Reicht ein eingescanntes Gesicht eines Stars?Foto: adobe stock| Walter Cicchetti

Wie sieht es beispielsweise in der Mode aus?

Wir haben mit Zalando ein Projekt gemacht, wo KI auf Basis von Skizzen Designvorschläge für Kleidung macht. Der Mensch braucht dann nur nachzubessern und zu entscheiden.

Und die Daten für Vorlieben und Trends kommen aus Kommentaren unter Fotos, die die Software analysiert?

Das geht auch, ist aber komplexer, weil es auch ein Sprachverarbeitungsmodul braucht, das Textinhalt und Bild miteinander kombiniert.

Ihr Kollege Jürgen Schmidhuber hat ein Zukunftsbild gezeichnet, in dem es möglich sein könnte, dass ein menschliches Gehirn in einer Maschine weiterlebt, indem man es einscannt und dann hochlädt. Wo sind da die Grenzen? ForscherInnen und die Science Community können es sich ja einfach machen und sagen: Wir zeigen nur, was möglich ist. Ob es real wird, darüber soll je nach Anwendungsbereich die Politik, die Kirche, eine Volksabstimmung oder das konkrete Unternehmen entscheiden. Aber wo sind Ihre Schranken im Kopf, an denen Sie sagen, das wäre zwar möglich, aber wir tun da aus ethischen Gründen nicht weiter?

Da braucht es ein Gefühl für den Einzelfall. Weil eigentlich sind es ja nur mathematische Formeln. Der Sinus, diese Gleichung oder jene KI-Anwendung könnte aber bei einer Herzoperation Leben retten oder auf einer Bombe sitzen, die Menschen umbringt. Es geht immer um den Anwendungsbereich, für den es klare Regeln bräuchte. Die Grundlagenforschung oder mathematische Formeln darf man nicht verbieten.

Aber wo liegen die Grenzen?

Die Grenzen liegen nicht beim Erfinden. Aber Maschinen dürfen nicht über Menschen entscheiden, weil Maschinen keine Empathie haben. Wenn ich über Menschen entscheide, sollte ich ein Gefühl dafür haben, was es für ihn bedeutet. Aber woher soll eine Maschine wissen, wie sich Schmerz anfühlt oder was Hunger ist? 

Aber man kann doch über Hautwiderstand, Herzschlag, Augenbewegungen, Hirnströme, Blutwerte oder ähnliche Parameter, die der Körper an Signalen ausschickt, messen. Diese Daten könnte eine Software clustern und ein recht dichtes Bild daraus machen.

Ja, das könnte man alles messen. Aber trotzdem weiß ich noch nicht, wie schlimm es für die betroffene Person ist, für die beispielsweise eine Therapie auf Basis der gemessenen Daten gut wäre, aber die man dafür aus ihrem sozialen Umfeld reißen würde. Wie wäge ich das, was hilft, gegenüber dem ab, was sie verliert? Das kann ein Mensch besser als eine Maschine. Umgekehrt können ja auch Menschen nicht fühlen, was Maschinen empfinden, wenn sie zu wenig Strom bekommen oder zu wenig Daten haben.

Mir tun StudentInnen leid, die so viel verdienen. Es ist doch viel schöner, eine gute Idee zu haben und coole Sachen zu erfinden.

Sepp Hochreiter

Umkehrbar ist das Umsichgreifen Künstlicher Intelligenz jedenfalls nicht mehr, oder?

Die Frage ist: Will man es überhaupt aufhalten? Neuen Entwicklungen, sei es dem Auto oder der Eisenbahn, ist man immer mit Skepsis und Angst begegnet. Aber es macht keinen Sinn, Entwicklungen aufzuhalten, man muss nur klären, für welche Zwecke man sie einsetzt. Das ist schwierig genug, weil es regionale, religiöse oder soziale Unterschiede gibt. 

Aber wenn schon nicht aus technischer, so doch aus demokratiepolitischer Sicht ist eine permanente Überwachung der Gesellschaft schon bedenklich, oder?

Auch da muss man differenzieren. Eine Dichte an Überwachungskameras, wie sie bei uns abgelehnt wird, wird in China als normal und in Südkorea als „super“ empfunden, weil sie ein mehr an Sicherheit bringt. Frauen trauen sich im Dunkeln raus, Eltern lassen ihre Kinder ohne Sorgen auf der Straße spielen, und wenn man etwas verliert, wird es sofort aufgespürt. Personen lassen sich da ganz einfach identifizieren. Man fühlt sich beschützt. Wer nimmt sich da heraus, Regeln für die ganze Welt festzulegen?

Jetzt hier Teil 1 des Interviews lesen! Über Elon Musk am Telefon, verkannte Chancen durch Künstliche Intelligenz und wofür Hochreiter von Amazon auf einen Mojito eingeladen wurde.

Credits Artikelbild: adobe stock | Halfpoint

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