Nachwuchssorgen: Die Schnupperlehre als Corona-Opfer?

UnternehmerInnen wird die Suche nach jungen MitarbeiterInnen durch die Distanzvorschriften erschwert, Jugendlichen wiederum wird eine wichtige Orientierungshilfe genommen. Sind die Corona-Jahrgänge für den Arbeitsmarkt eine „lost generation“?

Das Corona-Virus hat auch den Lehrstellenmarkt infiziert. Nicht zuletzt als Folge der Pandemie klafft in den Betrieben eine Lehrlingslücke. So gab es im vergangenen Jahr erstmals mehr offene Lehrstellen als Bewerber. Ein Trend, der sich im Jänner fortgesetzt hat: 7.710 offene Lehrstellen waren beim AMS vermerkt. Dem gegenüber stehen 6.120 Lehrstellensuchende. Zum Vergleich: Im Jahr 2008 gab es noch rund 2.000 weniger offene Lehrstellen als Suchende.

Das Problem wird also größer. Die Unternehmen klagen schon seit Längerem über zu wenig Fachkräftenachwuchs. Durch Corona verschärft sich die ohnehin angespannte Lehrstellen-Situation. Aus mehreren Gründen: Zum einen folgen jetzt geburtenschwächere Jahrgänge, zum anderen wird es heuer durch die allgemeine Verunsicherung und der Tendenz zu milderen Benotungen kaum SchulabbrecherInnen geben. Sie machen aber traditionell einen bedeutenden Teil der neuen Lehrlinge aus.

Schnupperlehre als Hürdenlauf

Dazu kommen – für AbbrecherInnen und AbsolventInnen gleichermaßen – eingeschränkte Möglichkeiten bei Berufsorientierungsveranstaltungen. Einschlägige Messen sind abgesagt. Tage der offenen Tür in Betrieben finden nicht statt, und Aktionen wie die Schnupperlehre oder Pflichtpraktika sind – wenn überhaupt – nur unter strengen Auflagen und limitiert möglich. Wie soll so bei den Jugendlichen quasi Gusto auf die Lehre entstehen? Denn wie sollen sie trotz Corona schon perfekte Lehrstellen finden?

Corona Lehrstellen
Viktor Fleischer, Bildungsexperte in der Industriellenvereinigung warnt vor den fehlenden Orientierungshilfen für Schülerinnen und Schüler.Foto: Industriellenvereinigung

Tatsächlich ortet auch Viktor Fleischer, Bildungsexperte in der Industriellenvereinigung, die Gefahr, „dass viele SchülerInnen in der falschen Schule oder Ausbildung sitzen, weil es diese Orientierungshilfen derzeit nicht gibt“. Zudem sei durch Homeschooling auch der Kontakt zu sozial schwächeren Schichten teilweise abgerissen. Fleischers Fazit: „Das Problem beim Übergang Schule – Berufswelt hat sich verschärft, die ,Generation Praktikum‘ fällt um ihre Chancen um.“

Zahl der Lehrlinge sinkt

Die Folgen sind in der Statistik schon jetzt ablesbar. So ist die Zahl der Lehrlinge in Österreich im von der Corona-Krisegeprägten Jahr 2020 um 0,6 Prozent auf 108.416 zurückgegangen. Die Zahl der Lehrlinge im ersten Ausbildungsjahr sank sogar noch stärker, nämlich um 5,6 Prozent auf 31.989. Mit Beginn des heurigen Jahres hat sich die Situation weiter verschärft: Insgesamt gab es im Jänner 99.992 Lehrlinge in Unternehmen (minus 0,9 Prozent gegenüber Jänner 2020). Bei den Lehrlingen im ersten Lehrjahr ist der Rückgang mit minus 8,7 Prozent wiederum deutlicher. Man sieht: Corona und Lehrstellen sind keine gute Kombination.

Das Problem beim Übergang Schule – Berufswelt hat sich verschärft, die ,Generation Praktikum‘ fällt um ihre Chancen um.

Viktor Fleischer, Bildungsexperte in der Industriellenvereinigung

Von einer „verlorenen Generation“ will Fleischer bei den Corona-Jahrgängen aber nicht sprechen. Derartige Etikettierungen würden die Bemühungen der Unternehmen nicht berücksichtigen. Dort werde hart gerungen, Nachwuchs anzuwerben, die Leistungsstärksten zu bekommen und sie auch im Betrieb halten zu können.

Werkzeug-Desinfektion und virtuelle Rundgänge

So hat man bei Maco, einem auf Fenster- und Türbeschläge spezialisierten Unternehmen mit Standort im obersteirischen Trieben, auf die verordneten Einschränkungen mit umfangreichen Schutzmaßnahmen für die Besuche von Interessierten reagiert: Den Jugendlichen wird eine exklusive Ansprechperson zugeteilt statt mehrere, sie dürfen nur einzeln in die verschiedenen Produktionsbereiche, das Werkzeug wird vor und nach Gebrauch desinfiziert. „Natürlich ist der Kontakt eingeschränkt, aber wir wollen trotzdem so viel wie möglich herzeigen“, sagt Produktionsleiter Wolfgang Ornik.

Corona Lehrstellen
Die Türen des Unternehmens Maco stehen für SchülerInnen auch weiterhin offen – natürlich unter Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen.Foto: MACO-Gruppe
Die Greiner-Industriegruppe setzt hingegen auf virtuelle Rundgänge. Die aktuelle Krise macht Betriebsführungen derzeit unmöglich.Foto: Greiner AG

Auch in der Greiner-Industriegruppe in Oberösterreich spürt man negative Effekte durch die Limitierungen. „Wir versuchen aber, sie beispielsweise durch das Angebot virtueller Rundgänge durch unsere Betriebe abzufedern“, sagt CEO Axel Kühner. Tatsächliche Betriebsführungen oder Besuche sind aber aufgrund der strikten Auflagen derzeit nicht möglich.

Casting und Bonus als Anreize    

Das Bemühen ist sichtbar. Was aber von der Krise beim Fachkräftenachwuchs bleiben könnte, seien Kompetenzlücken, die entstehen oder größer werden, befürchtet Bildungsexperte Viktor Fleischer. Distance Learning bringe zwar ein Mehr an digitaler Kompetenz, und auch Selbstorganisation werde gefördert. Aber man kann den Jugendlichen nicht alles aus der Entfernung und über einen Bildschirm beibringen, geben BildungsexpertInnen zu bedenken.

Die Krise hat mit dem Brennglas bestehende Probleme hervorgehoben.

Viktor Fleischer

Als eine Gegenmaßnahme wird das Sicherheitsnetz für Jugendliche verdichtet, um die Drop-out-Rate zu drücken. Im Burgenland gibt es virtuelle Lehrlingscastings, in Oberösterreich wird in der „Dualen Akademie“ die Lehrzeit verkürzt, bundesweit wird die Übernahme von Lehrlingen aus der Überbetrieblichen Lehrausbildung (ÜBA) noch bis 31. März mit dem Lehrlingsbonus unterstützt.

Die Krise als „Brennglas“ 

Tatsächlich wirkt die ÜBA, in der 7.300 Jugendliche, die keinen Berufsausbildungsplatz in einem konkreten Unternehmen finden konnten, versorgt werden, problemdämpfend. Denn ohne dieses Angebot, durch das heuer um 20 Prozent mehr Jugendliche einen Ausbildungsplatz fanden, wäre das Minus bei den LehranfängerInnen noch größer gewesen. Die Gesamtsituation bleibt aber angespannt.

„Die Krise hat mit dem Brennglas bestehende Probleme hervorgehoben“, mahnt Viktor Fleischer. Er spricht sich für den heurigen und nächsten Jahrgang daher für kurzfristige Sondermaßnahmen aus: Wenn zum ursprünglichen Termin coronabedingt kein Schnuppern möglich war oder ist, sollten neue Korridore geschaffen werden.

Credits Artikelbild: Adobe Stock | auremar

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