Lichtblick

Lichtblick nach Corona: Sieben Dinge, die wir aus der Krise lernen

Wenn man schnell fragt, ist die Antwort einfach: Nein, wir hätten Corona jetzt echt nicht gebraucht! Wenn wir uns heute allerdings – nur wenige Wochen nach dem Lockdown – ein paar Minuten der plötzlich überschüssigen Zeit abzwacken, um konkret nachzudenken, fällt die Antwort etwas differenzierter aus. Denn schon langsam erkennen wir einen Lichtblick am Ende des Corona-Tunnels!

Tatsächlich nämlich haben unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem binnen kürzester Zeit mit unterschiedlichen und durchwegs kreativen Reaktionen bewiesen, wie flexibel beide sind. Wie flexibel wir als Menschen sind. Und es ist durchaus gut möglich, dass aus dieser – gerade für UnternehmerInnen schwierig zu bewältigenden – Coronakrise Entwicklungen hervorgehen, die ähnlich revolutionär sind wie das Fahrrad. 

Kurz zur Erinnerung: Das vom deutschen Erfinder Karl Friedrich Drais entwickelte Laufrad kam erst ins Rollen, nachdem 1815 im fernen Indonesien der Vulkan Tambora ausgebrochen war. Seine Aschewolke verdunkelte für ein Jahr den gesamten Planeten. Die daraus resultierenden Schäden waren Missernten und dadurch verhungernde Pferde. Plötzlich war der Bedarf für alternative Fortbewegungsmittel geschaffen – und der Boden für den Vorläufer des heutigen Fahrrads bereitet. 

Aber widmen wir uns der aktuellen Situation und welchen Nutzen wir langfristig aus ihr ziehen könnten. Einige Überraschungen sind schon jetzt offensichtlich!

Lichtblick 1: Durchbruch neuer Technologien wird möglich

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Der 3D-Druck als Lösung gegen die Virus-Ausbreitung: Viele Firmen verlagern die Produktion der dringend notwendigen Gesichtsvisiere ins Home Office.Foto: Adobe Stock / LIGHTFIELD STUDIOS

Seit gut zwei Jahren spricht man bereits davon, dass die 3D-Drucker vor dem Durchbruch stünden. Doch nun dürfte das – der Coronakrise sei Dank – endlich tatsächlich auch in der Realität und nicht bloß in den Prognosen passieren! Denn während die Industrie sehr viele ihrer Fertigungsanlagen herunterfahren musste, laufen 3D-Drucker derzeit heiß. Und das nicht etwa in großen und teuren Hallen, sondern sogar im Home Office. Das berichten MitarbeiterInnen der Autoreifenherstellers Continental: Sie haben teilweise 3D-Drucker mit ins Home Office genommen, um dort Visiere herzustellen, die plötzlich als Gesichtsschutz weltweit Verwendung finden (auch wenn er in Österreich seit wenigen Wochen verboten ist …).

Damit ist Continental allerdings nicht alleine: Auch Siemens hat sein 3D-Druck-Netzwerk geöffnet, um in der Coronakrise die schnelle Herstellung von Ersatzteilen für Medizinprodukte zu ermöglichen. 120 Drucker stehen zur Verfügung, teilte der Konzern vor wenigen Wochen mit. Dabei gehe es auch um Beatmungsgeräte oder Atemmasken, bei denen spezielle Teile fehlten. Jedenfalls aber ist rund um die modernen Geräte ein regelrechter Hype entstanden, der vermutlich auch nach der Krise zu einem gewissen Grad erhalten bleiben wird. Und die 3D-Drucker werden wohl nicht die einzige Technologie sein, die in dieser außergewöhnlichen Zeit ihren Durchbruch erlebt. Derzeit sorgen etwa bereits erste und zudem neuartige Impfstoffe für vorsichtigen Optimismus …

Lichtblick 2: Unser Verhalten wird neu definiert

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Anbieter digitaler Bezahlmethoden sind die klaren Gewinner dieser Krise. Denn immer mehr Österreicher*innen kamen krisenbedingt auf den Geschmack des kontaktlosen Zahlen.Foto: Adobe Stock / Jackfrog

Während in den USA das Bezahlen von noch so kleinen Beträgen mit Karten statt mit Bargeld schon seit vielen Jahren völlig normal ist, galt Österreich in der Vergangenheit stets als Land der Plastikgeldmuffel. Das hat sich im Lockdown schlagartig verändert, wie aktuelle Daten von Mastercard belegen. „In der Coronazeit hat sich das Bezahl- und Einkaufsverhalten der Österreicher*innen stark verändert“, sagt Christian Rau, Geschäftsführer von Mastercard in Österreich. „Wer in Supermärkten einkauft, bezahlt meistens kontaktlos. Hier schätzt die Bevölkerung das angehobene Limit für PIN-freies Bezahlen bis 50 Euro.“ Aber auch alle anderen Anbieter digitaler Bezahlmethoden nehmen eine ähnliche Entwicklung wahr und sind sich sicher, auch nach der Krise von der Krise zu profitieren.

Großes ABER an der ganzen Sache: Inzwischen weiß man, dass Corona über Geldscheine nicht übertragbar ist. Die Maßnahme, kontaktlos zu bezahlen, hatte also rückblickend betrachtet keine medizinische Relevanz. Dass das Bargeld nun in absehbarer Zeit gänzlich verschwindet, gilt selbst unter Plastikgeldbefürwortern als ausgesprochen unwahrscheinlich. Dass sich aber unsere Verhaltensmuster auch in anderen Lebensmomenten verändert haben, kann als gesichert betrachtet werden.

Lichtblick 3: Bestehende Trends werden befeuert

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Die Corona-Pandemie erweist sich als treibender Motor der Digitalisierung. Vor allem in der Wirtschaft kommen die neuen Technologien zum Einsatz.Foto: Adobe Stock / Gorodenkoff

Schon recht bald nach Ausbruch der Coronakrise wurde in den sozialen Netzwerken gescherzt, dass das Virus nun endlich das möglich macht, was ExpertInnen schon lange fordern: eine Beschleunigung der Digitalisierung. Tatsache ist, dass mit Amazon der wohl größte Gewinner der gerade für den Handel schwierigen Zeit feststeht. Und so verwundert es nicht, dass Unternehmen derzeit verstärkt ihre längst geplanten, aber nicht realisierten Online-Shop-Projekte vorantreiben oder gar zusätzliche digitale Produkte entwickeln und vermarkten. Das führt dazu, dass etwa der Absatz von 3D-Kameras massiv angezogen hat, weil Immobilienfirmen verstärkt auf Angebote aus der VR (Virtual Reality) setzen, um so ihre Objekte zu vermarkten.

Digitale Magazine und Content-Projekte werden angestoßen, um nicht von direkter Werbung abhängig zu sein. Und der heimische Online-Marktplatz shöpping.at konnte seine Zugriffszahlen binnen kürzester Zeit vervierfachen. Ergebnis: Viele Web-Agenturen sind schon jetzt bis über ihre Möglichkeiten ausgebucht. Und werden das wohl auch noch eine Zeit lang bleiben. Denn: Gerade auf diesem Terrain muss Österreich in diesen Wochen feststellen, dass es nicht unbedingt zu den digitalen Spitzenreitern Europas gehört.

Lichtblick 4: Neue Formen der Zusammenarbeit entstehen

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Wie die Zahnräder eines Uhrwerks greifen plötzlich die Meinungen gegnerischer Seiten ineinander.Foto: Adobe Stock / Alex Yeung

Was vor der Krise meist undenkbar schien, ist jetzt schon nahezu normal: Große Unternehmen und unterschiedliche Regierungen rücken zusammen, versuchen gemeinsam Großes zu schaffen. Pharmariesen etwa arbeiten bei der Suche nach einem Impfstoff gegen das Virus zusammen, um möglichst wenig Irrwege zu gehen und Zeit zu sparen. Technologiegiganten wie IBM bieten ihre Rechenleistungen an, um die Datenmengen der Pharmaindustrie möglichst schnell verarbeiten zu können. Und selbst die Erzrivalen Google und Apple kooperieren, um dem Virus auf die Spur zu kommen. Dass aber Regierungen in regem Austausch stehen, um die jeweils anderen Erkenntnisse unter die Lupe zu nehmen, um so das eigene Vorgehen zu verbessern, ist besonders überraschend.

Kurzer Rückblick: Kanzler Sebastian Kurz wurde von Israels Staatschef Benjamin Netanjahu zum raschen Handeln animiert. Aus heutiger Sicht und mit Blick Richtung Italien, Brasilien oder den USA – zum Glück. Im Fokus aller von Corona betroffenen Staaten wird noch lange Schweden mit seinem liberalen Lockdown stehen. Auch die Immunitätspässe Chiles werden derzeit vielerorts diskutiert. Bleibt nur zu hoffen, dass dieses neue Miteinander dem ehemaligen Gegeneinander langfristig den Rang abläuft.

Lichtblick 5: Geht nicht gibt’s nicht mehr

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Corona fegt die Büros leer: Für immer mehr Arbeiter*innen verlagert sich der Arbeitsplatz in die eigenen vier Wände.Foto: Adobe Stock / DigitalGenetics

Eben jener Grundsatz, den ChefInnen gern ihren MitarbeiterInnen versuchen einzuimpfen, wurde im Lockdown wie ein gigantischer Spiegel diversen Unternehmensführungen vorgehalten: Geht nicht gibt’s nicht. Wie viele Unternehmen weigerten sich bis vor wenigen Wochen partout, Home-Office-Lösungen zu forcieren? Mangelnde Kontrolle, geringere Effizienz, zusätzliche Investitionskosten – Bedenken wie diese standen derartigen Veränderungen unserer Arbeitswelt im Weg. Doch als es plötzlich sein musste, fanden sich überraschend schnell überraschend effiziente Wege, um nahezu alle Positionen und Funktionen noch so großer Unternehmen als Home-Office-Lösungen etablieren zu können.

Eine aktuelle Studie hat nun sowohl ArbeitgeberInnen als auch Arbeitnehmer*innen zu den jeweiligen Erfahrungen mit der „Hausarbeit“ befragt. Das Ergebnis ist durchschlagend: 72 % wollen derartige Lösungen „nicht jeden Tag, aber mit der Option darauf“ beibehalten. 21 % meinen, Home Office solle überhaupt das Standardarbeitsmodell sein. 5 % würden sich damit abfinden, und nur 2 % der Befragten lehnen diese neuen Optionen gänzlich ab. Gut möglich, dass diese Umfrage Anfang 2020 noch zu einem genau gegenteiligen Ergebnis geführt hätte!

Lichtblick 6 : Unsichtbare Zusammenhänge werden offenbart

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Während des Lockdowns herrschte auch in den Weltmeeren Ruhe. Und diese nutzten die vom Aussterben bedrohten Wale so richtig aus.Foto: Adobe Stock / Sean

WissenschaftlerInnen stellen derzeit an allen Ecken und Enden überraschende Zusammenhänge mit den Lockdowns fest. So war bis jetzt etwa nicht klar, dass der Mensch selbst für sehr viele Erschütterungen der Erde direkt verantwortlich ist. Nun weiß man: Es rumpelt durch das hektische Treiben ganz ordentlich. Die Londoner Seismologin Paula Koelemeijer hat einen deutlichen Rückgang der Schwingungen, die unsere Erde erschüttern, festgestellt. Sie erhält breite Zustimmung ihrer Kolleg*innen.

Ein weiterer Aspekt: Die Wettervorhersagen sind seit dem Runterfahren der Wirtschaft ungenauer! Hintergrund: Die meisten Wetterdaten werden von Flugzeugen gesammelt, und diese sind nun im Hangar statt in den Wolken. Ein anderer, positiver Nebeneffekt: Forscherteams in Alaska und Florida haben festgestellt, dass sich das Paarungsverhalten der überall vom Aussterben bedrohten Wale gerade verändert – sie sind viel aktiver. Das dürfte daran liegen, dass auch unter Wasser der Lärmpegel auf ein Minimum gesunken ist. Viele derartige Zusammenhänge werden wohl noch in Zukunft sichtbar werden – und uns vielleicht so manches (Fehl-)Verhalten vor Augen führen.

Lichtblick 7: VerschwörerInnen und JournalistInnen erleben Höhenflüge

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Verschwörungstheorien und Fake News verbreiten sich in der Krise fast gleich schnell wie das Virus selbst.Foto: Adobe Stock / Lebaer

Zum Abschluss: ein Paradoxon. Tatsächlich erlebt man derzeit, dass Verschwörungstheorien boomen, während gleichzeitig der Qualitätsjournalismus aufblüht. Auf den ersten Blick ein Widerspruch. Schließlich sollte man meinen, dass eine verstärkte Aufklärung durch renommierte Medien dem populistischen Geschwurbel diverser VerschwörerInnen den Garaus macht. Demnach schreibt etwa die renommierte deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT: „Selten zuvor war eine kühle Unterscheidung von News und Fake-News, von Fakten und Gerüchten so wichtig wie in diesen Tagen, in denen die Welt ihre größte nicht militärische Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt. Und nur selten zuvor hat sich so klar gezeigt, was Journalismus von sozialen Medien unterscheidet. Journalismus ist eben nicht das ungeprüfte Weiterverbreiten des jüngsten Gerüchts. Journalismus ist Überprüfung, Verifikation, Einordnung.“ Damit beantwortet Holger Stark, der Autor eben dieser Zeilen, auch schon die Frage, warum das eine das andere nicht verhindern kann.

Zur Verdeutlichung: Es wird immer nur eine kleinere Menge an Menschen qualitativ hochwertige Medien konsumieren (Stichwort: Bildungsgrad), während einfache Boulevard-Medien von der Masse rezipiert werden. Diese stellen in der Regel – ähnlich wie politische PopulistInnen – komplexe Inhalte vereinfacht und somit meist auch verfälscht dar. Das ist zwar leicht zu konsumieren, leicht in den sozialen Netzwerken zu teilen – aber führt LeserInnen und UserInnen eben auch leicht in die Irre. Allerdings gibt es hier für WissenschaftlerInnen und JournalistInnen einen versöhnlichen Abschluss: Die Akzeptanz von hochwertigem und gut recherchiertem Inhalt ist jedenfalls gestiegen. Und damit auch die Bereitschaft, für hochwertigen Inhalt auch Geld auszugeben. 

Credits Artikelbild: Adobe Stock / Ji

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