Lobatunnel

Lobautunnel: Muss die Vision dem Tunnelblick weichen?

Seit 20 Jahren wird an der Realisierung des Lobautunnels gearbeitet, um eine neue Verkehrsader zu etablieren. Nun denkt Ministerin Gewessler daran, das Projekt zu kippen. „Unfassbar“, sind sich die meisten Parteien einig.

Die Sache ist auf den ersten Blick eigentlich relativ einfach: Um den insgesamt 195 Kilometer langen Autobahnring namens S1 rund um Wien zu komplettieren, fehlt noch ein kleines Teilstück zwischen Schwechat und Süßenbrunn. Doch diese 8,2 Kilometer haben es in sich. Sie sollen nämlich unterirdisch verlaufen, und das großteils durch den Nationalpark Donau-Auen. Dass dieser Umstand für Widerstand sorgt, ist nichts Neues.

Eine gegen alle

Während die Grünen und einige NGOs der Meinung sind, der Tunnel würde zu viel zerstören, was nicht zerstört werden darf, sehen das die meisten anderen Fraktionen gänzlich anders. Die Wiener SPÖ pocht etwa vehement auf dem Bau des Tunnels. Die Bundes-ÖVP ist ebenso für den Bau wie die FPÖ, der Verkehrsclub Österreich und die Wirtschaftskammer.

Lobautunnel
Umwelt- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler will das Projekt Lobautunnel neu bewerten. Vielleicht sogart stoppen.Foto: BMK / Cajetan Perwein

Kurz zur Erinnerung: Die Debatte wurde von Umwelt- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler kürzlich erneut entfacht. Sie möchte sämtliche Projekte der ASFINAG nach heutigem Verständnis unter die Lupe nehmen oder gegebenenfalls auch abdrehen. Dabei steht offenbar das Projekt Lobautunnel ganz oben auf ihrer Inspektionsliste.

Was soll der Lobautunnel bezwecken?

Tatsache ist, dass der Bau des Tunnels seit Planungsbeginn vor 20 Jahren mal mehr und mal weniger heiß diskutiert wird. Grundsätzlich war der Bau inzwischen auf Schiene. Das allerdings erst nach Genehmigungsverfahren, die 147 Monate gedauert haben. Diese hätte man binnen 18 Monaten abwickeln können, hört man aus der Industrie unverhohlene Kritik am offenbar fragwürdigen Prozessablauf der Planungsphase.

Ohne den Lobautunnel, der die sechste S1-Donauquerung darstellen würde, könnte die wirtschaftliche Entwicklung in Floridsdorf, Donaustadt und dem nördlichen Umland Wiens erheblich behindert und zeitlich verzögert werden

Studie aus der Zeit von Maria Vassilakou

Generell soll der Lobautunnel die Tangente entlasten. So rechnet die ASFINAG vor, dass auf der für täglich 100.000 Autos konzipierten Verkehrsspange aktuell täglich 186.000 Autos fahren. Also fast die doppelte Dosis. Eine komplette S1-Nordostumfahrung würde hier Abhilfe schaffen, ist man sich in der Wiener Stadtregierung sicher. Dies unterstreicht eine Expertenstudie, die übrigens von der ehemaligen grünen Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou in Auftrag gegeben wurde. Sie besagt, dass der Tunnel „unbedingt notwendig“ sei und eine andere Trassenführung der S1 auch gar nicht möglich wäre.

Nicht-Bau des Lobautunnels würde Wirtschaft schaden

Ohne den Lobautunnel, der die sechste S1-Donauquerung darstellen würde, könnte die wirtschaftliche Entwicklung in Floridsdorf, Donaustadt und dem nördlichen Umland Wiens „erheblich behindert und zeitlich verzögert“ werden. So die Expertise. Wichtig sei dabei aber, dass das öffentliche Verkehrsnetz zusätzlich ausgebaut würde. Ergo: Nur beide Maßnahmen gemeinsam würden langfristig eine Entlastung ermöglichen.

Christoph Neumayer, IV
Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung warnt davor, das aktuelle Infrastrukturprogramm gegen den Umweltgedanken auszuspielen.Foto: Industriellenvereinigung

Ähnlich stellt sich die Situation auch für den Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, dar. Er rät dazu, dass man das aktuelle Infrastrukturprogramm nicht gegen den Umweltgedanken ausspielen, sondern einen nüchternen Blick darauf werfen solle. Zitat: „Es wird weiter, in Zukunft klimafreundlichen, individuellen Verkehr und Warenverkehr geben, wir werden die Straßen brauchen.“ Man müsse sie nur in Zukunft mit emissionsfreien Fahrzeugen befahren. 

Welche Auswirkungen auf die Umwelt hätte der Lobautunnel?

Grundsätzlich sei jeder Bau in einem Naturschutzgebiet heikel, betonen Umweltschutzorganisationen: „Der Bau einer Autobahn durch den Nationalpark Donau-Auen gefährdet nicht nur ein wertvolles Naturschutzgebiet, sondern steht auch für eine rückständige Verkehrspolitik“, kommt es etwa aus den Reihen von Global 2000 – also jener Organisation, deren Geschäftsführerin die heutige Ministerin Gewessler bis 2019 war.

Lobautunnel
Ohne die unterirdische Verbindung drohe die Wiener Tangente endgültig zu Blechkolonnen-Hölle zu werden, warnt der ÖAMTC.Foto: Adobe Stock | Wellnhofer Designs

Umweltschützer beziehen sich vor allem auf das Bekenntnis, bis 2040 die Klimaneutralität zu erreichen. Genau das würde man mit dem Bau des Tunnels konterkarieren, heißt es. Wo doch der Verkehr in Sachen CO2-Emissionen der Hauptschuldige sei. Und das Schließen dieser Verkehrsader würde, so die GegnerInnen, nicht etwa eine Entlastung auf der Tangente mit sich bringen, sondern vielmehr noch mehr Autos und LKW anziehen.

Wie sieht der Nationalpark die Sache?

Dieser Argumentation wiederum hält der ÖAMTC gänzlich andere Aspekte entgegen: Man habe berechnet, dass jede Verzögerung des Tunnelbaus pro Jahr 75.000 Tonnen mehr Kohlendioxid und rund 500 Millionen höhere Baukosten generieren würde. Weil ohne die unterirdische Verbindung die Tangente „endgültig und dauerhaft zur Blechkolonnen-Hölle“ würde.

Die Nationalparkverwaltung selbst lässt ausrichten, dass man sich stets für den Schutz des Nationalparkgebietes einsetze und dafür sorgt, dass die Schutzziele gemäß nationaler Rechtslage (Art. 15a Bund-Länder Vereinbarung, Wiener und NÖ Nationalparkgesetzgebung) und internationaler Vorgaben  der IUCN eingehalten werden. Offizielle Stellungsnahme: „Die bestmögliche Wahrung dieser Schutzziele entspricht dem Verhandlungsmandat der Nationalparkverwaltung und wird auch durch die Gesellschaftervertreter von Bund und Ländern Wien und Niederösterreich sichergestellt. Die Nationalparkverwaltung hat in den Verfahren gemäß ihrer Parteienstellung umfassende fachliche Einwendungen im Sinne des Nationalparkrechts geltend gemacht sowie auf technische Lösungsmöglichkeiten verwiesen, um den Schutzzielen gerecht zu werden.“

So seien zahlreiche fundierte kritische Feststellungen zu vielen Detailabschnitten eingebracht worden, heißt es. Und Nationalparkdirektorin Edith Klauser hält fest: „Großräumige verkehrspolitische sowie raumplanerische Aspekte liegen nicht im Aufgaben- und Kompetenzfeld der Nationalparkverwaltung und wurden in der Stellungnahme auch nicht abgehandelt.“

Wie ist das mit der Wirtschaft und dem Lobautunnel?

Wie irgendwie in allen Belangen, gibt es auch in Bezug auf die Wirtschaft unterschiedliche Auffassungen. So sehen die einen durch den Tunnel eine Gefahr für Wien, da seinetwegen das Umland aufgewertet und die Stadt selbst abgewertet würde. Einkaufszentren rund um die Stadt würden florieren, die Stadt selbst leiden, heißt es. Andere, wie der Verkehrs-Experte Werner Rosinak, sind der Meinung, dass in Anbetracht aller relevanten Faktoren – also Wirtschaftlichkeit, Lebensqualität, Verkehrsentlastung und Ökologie – der Tunnel die einzige sinnvolle Lösung sei. Ihn nicht zu bauen, würde ein viel größeres Wirtschaftsrisiko bergen als umgekehrt.

Lobautunnel
Wiens Bürgermeister Michale Ludwig ist sich sicher: Mit einem Stopp des Lobautunnels würde man einen Milliardenschaden riskieren und die gesamte Ostregion des Landes schwächen.Foto: Jobst

Besonders unzufrieden mit dem De-facto-Baustopp durch Bundesministerin Gewessler zeigt sich Wiens Bürgermeister: Mit einem Stopp des Lobautunnels würde man einen Milliardenschaden riskieren und die gesamte Ostregion des Landes schwächen, ist sich Michael Ludwig sicher. Es mache durchaus Sinn, dass es so wie in vielen anderen Gemeinden eine Umfahrung gebe. Keine Ortschaft möchte gerne Durchzugsverkehr, hielt er fest. Er wolle dies auch nicht für eine Millionenstadt. Außerdem könne man mit der Umfahrung Stadterweiterungsgebiete erschließen, so der Bürgermeister, dem es auch um Vertragstreue geht, wie er betont. Denn Maßnahmen wie die Stadtstraße seien parteiübergreifend beschlossen worden.

Ludwig vergleicht Lobautunnel mit Donauinsel

In den vielen Verfahren seien auch die ökologischen Rahmenbedingungen berücksichtigt worden, beteuert er. Eine Untertunnelung der Lobau sei die beste und naturverträglichste Variante. Und Ludwig erinnern an den Bau der Donauinsel. Auch damals habe es Bedenken gegeben – etwa hinsichtlich einer möglichen Veränderung des Grundwasserspiegels. Heute sei jeder froh über das Naherholungsgebiet: „Von daher bin ich überzeugt, wenn das Lobau-Projekt realisiert ist und es möglich sein wird, entlang dieser Nordostumfahrung Stadterweiterungsgebiete, Betriebsansiedlungen, Arbeitsplätze zu schaffen, dass sich das auch anders darstellt.“

Es braucht eine ideologiefreie Klimapolitik. Wir tragen Vieles mit, aber es soll gemeinsam geschehen.

Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung

Ins gleiche Horn stößt Christoph Neumayer von der Industriellenvereinigung. Ihm geht es um die volkswirtschaftliche Bedeutung von derartigen Projekten. Allein in den Lobautunnel und die Linzer A26 sollen knapp 2,5 Milliarden Euro investiert werden. Sollte das nicht passieren, wäre der gesamtwirtschaftliche Schaden noch höher, er läge bei 3,2 Milliarden Euro. Außerdem wären laut Neumayer 27.500 Jobs gefährdet. „Man verunmöglicht durch einen Baustopp Beschäftigung“, erbost sich der IV-Generalsekretär. Der Verkehr werde dadurch ja nicht weniger und würde sich stattdessen auf kleineren Straßen durch Dörfer wälzen. „Es braucht eine ideologiefreie Klimapolitik. Wir tragen Vieles mit, aber es soll gemeinsam geschehen.“ 

Und mit dieser Meinung steht er nicht allein da – einfach durchklicken:

Das könnte dich auch interessieren

Lichtblick

Dir gefällt, was du hier liest?

Einfach "Fakt & Faktor" als Newsletter abonnieren!

Jetzt abonnieren