„Bis Ende 2022 werden wir noch 100 bis 120 Leute einstellen!“

Die Erfolgsgeschichte der Kinderfahrradmarke woom begann 2013 in einer Wiener Garage. Inzwischen sausen Kinder europaweit mit den ultraleichten und farbenfrohen Rädern umher. Nun setzen die Österreicher zum Sprung Richtung Weltherrschaft an. Wie genau das gelingen soll, verrät Gründungshälfte Marcus Ihlenfeld im Interview.

Radfahren fördert die Konzentration. Es stärkt die Koordination und trainiert die Geschicklichkeit. Zudem sorgt das Herumsausen auf dem Drahtesel bei den meisten Kids für eine extra Portion Spaß. Damit die Freude an der Mobilität bei den Kleinen allerdings auch ein ganzes Leben lang andauert, ist ein guter Start in die Radkarriere entscheidend. Und dieser beginnt nun einmal mit dem perfekten ersten Bike. Doch welcher Flitzer eignet sich dafür am besten? Diese Frage stellten sich vor bald zehn Jahren die radbegeisterten Väter Marcus Ihlenfeld und Christian Bezdeka – eine zufriedenstellende Antwort bekamen die beiden jedenfalls nicht. Also tüftelten sie in ihrer Garage am perfekten Fahrrad für ihre Sprösslinge. Die Idee: Anders als andere Räder sollten ihre Räder keine Erwachsenenfahrräder im Kleinformat, sondern exakt auf die Proportionen der Kinderkörper des jeweiligen Alters angepasst sein.

Ultraleicht bedeutet ultra viel Spaß

Nicht nur die eigenen Kids fanden an den leichten Fahrrädern Gefallen. Schon bald kamen Anfragen von FreundInnen und NachbarInnen, die die selbst entwickelten Bikes ebenfalls für ihre Kinder haben wollten. Aus der Garagenproduktion wurde also schnell ein echtes Business. Heute ist woom zu einem international erfolgreich tätigen Unternehmen herangewachsen – und Gründungshälfte Marcus Ihlenfeld dementsprechend viel auf Achse. Für uns ist er kurz vom Business-Sattel gestiegen, um zwischen Lockdown und Jahreswechsel mit uns zu plaudern. 

woom entwickelt sich Schritt für Schritt zum beliebtesten und erfolgreichsten Kinderfahrradhersteller Europas. Hättet ihr mit dem derzeitigen Erfolg gerechnet?

Marcus Ihlenfeld: In den ersten Jahren haben wir unsere Räder hier in Wien aus einer Garage verkauft. Wir kannten die Käufer unserer woom bikes also meistens persönlich. Während die Räder in der Garage fertig gebaut wurden, haben die Leute in der Zwischenzeit einfach einen Kaffee getrunken. Am Ende des Tages war das also wirklich eine persönliche Beziehung mit jedem einzelnen Kunden. Und jetzt sieht man tatsächlich so viele woom Räder. Wir, Christian und ich, können oft gar nicht begreifen, wie sich diese Geschichte entwickelt hat. Für diesen Erfolg haben viele Leute mitgeholfen, und auch noch heute sind viele hart am Arbeiten, damit es auch so bleibt.

Gab es einen Punkt, wo ihr realisiert habt, dass ihr es mit eurer Idee geschafft habt?

Marcus Ihlenfeld: Ich denke, geschafft haben wir es bis heute noch nicht, da wir einfach noch so viel vorhaben. Der erste richtig große Durchbruch war für uns aber nach vier Jahren, als wir das erste Mal eine Eigenkapitalquote von 0,1 Prozent hatten. Wir mussten vor der Finanz erstmals nicht erklären, dass es sich um kein Hobby handelt. Nach vier Jahren Verlust und ohne Gehälter für Christian und mich war es für uns das erste Signal, dass es jetzt ein Business ist, das wir skalieren können.

Marcus Ihlenfeld
Das woom-Gründerduo Christian Bezdeka und Marcus Ihlenfeld haben mit ihren superleichten, ergonomischen Räder neue Maßstäbe gesetzt.Foto: woom bikes

Welche Strategie habt ihr zu Beginn verfolgt?

Marcus Ihlenfeld: Wir haben am Anfang immer die Strategie gefahren, dass wir Umsatzwachstum generieren, bevor wir uns auf die Bottom Line konzentrieren (Anm. d. Red.: Der Ausdruck Bottom Line bezeichnet den durch ein Unternehmen generierten Profit – das, was unter dem Strich herauskommt). Denn diese kann man immer noch feintunen, aber eben nicht, wenn man jedes Jahr um 100 Prozent wächst. Da kann man einfach noch nicht damit anfangen, Profit zu optimieren. Im Jahr 2017 waren wir dann jedenfalls das erste Mal an dem Punkt, dass wir einen Bankkredit gekriegt haben. Und das war wohl der erste Moment, an dem es sich nach einer echten Firma angefühlt hat.

Und der zweite Moment?

Marcus Ihlenfeld: Dieser war im Jahr 2020, als wir das erste Mal Anteile verkauft und Investoren an Bord geholt haben. Bis dorthin, also bis circa 50 Millionen Umsatz, haben wir das noch ohne Investoren geschafft. Dieser Schritt hat uns noch einmal bewiesen, dass es sich jetzt um ein richtiges Business handelt und dass wir hier was von Wert geschaffen haben.

Im Zuge des Investments sind allerdings auch noch einige andere wichtige Meilensteine im Unternehmen erreicht worden. Was ist alles passiert?

Marcus Ihlenfeld: Ja, es war ein ambitioniertes Jahr. Nachdem wir die Investoren hineingenommen hatten, haben wir angefangen, noch viel größer zu denken, als wir es uns in den Prognosen jemals getraut hätten. Der nächste logische Schritt war für uns, mit den neuen US-Partnern eng zusammenzuwachsen und diese komplett in unser Unternehmen zu integrieren. Die Kollegen dort sind super stark in E-Commerce und Customer Experience. Generell sind die Amerikaner, was Kundenbindung und Kundenzufriedenheit angeht, uns Europäern einfach fünf Jahre voraus. Warum sollen wir dieses Know-how dann nicht einfach nutzen?

Was war der erste Schritt für diese Kombination von amerikanischem und heimischem Markt?

Marcus Ihlenfeld: Wir haben die globalen Heads für diese bereits genannten Funktionen weltweit dann nach Amerika verlegt. Diese Integration war zugegeben ein relativ komplizierter Schritt für eine Firma, die sich mitten in der Wachstumsphase befindet. Schließlich haben wie sehr viele Bereiche umstrukturieren müssen. Dieser Prozess ist nun jedoch abgeschlossen und läuft sogar besser als geplant. Und jetzt würde ich sagen, dass wir ungefähr acht von zehn kritischen Schlüsselpositionen seit März geschlossen haben. Uns fehlen derzeit noch rund 100 oder 120 Mitarbeiter, die wir bis Ende 2022 einstellen wollen. Dann sind wir ganz gut unterwegs. In Zeiten von Corona und Lockdowns erweist sich aber eben genau dieses Vorhaben als schwierig.

Inwiefern beeinflusst die Pandemie diesen Onboarding-Prozess?

Marcus Ihlenfeld: Es ist schwierig, wenn du deine Belegschaft verdoppelst – und dann musst du alle zurück ins Homeoffice schicken. Viele siehst du teilweise Monate nicht. Wir haben bei der Aufstockung der Mitarbeiter gerade in dieser Zeit einige Hürden zu bewältigen. Unsere Kultur, unsere Werte – wie kommuniziert man diese über Video?

Und wie begegnet man bei woom solchen Herausforderungen?

Marcus Ihlenfeld: Wir mussten natürlich nicht bei null anfangen, denn rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereits vor Corona zu uns gestoßen und repräsentieren seither eine relativ homogene Kultur. Zudem haben wir einen sehr guten Onboarding-Prozess. Derzeit läuft alles über Video, das funktioniert inzwischen sogar sehr gut. Neue Mitarbeiter werden bei uns ziemlich schnell ins kalte Wasser geworfen. Wer bei uns anfängt, hat schon am ersten Arbeitstag zehn bis fünfzehn Meetings, in denen er oder sie alle Abteilungen kennenlernt. Eine andere spannende Sache sind unsere Coffee Talks. Diese organisieren wir immer dann, wenn wir der Belegschaft wichtige Informationen mitteilen wollen. Jeder, der will, kann daran teilnehmen. Größere Diskussionen muss man einfach immer transparent halten.

  • Marcus Ihlenfeld
    Von einem Garagen-Unternehmen zur erfolgreichen und beliebten Kinderfahrradmarke: Die Fahrrad-Freaks Ihlenfeld und Bezdeka tüftelten bereits 2013 an ihrem ersten gemeinsamen Kinderfahrrad.Foto: woom bikes
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    Heute, fast zehn Jahre später, werden die beliebten Kinderräder in großen Produktionshallen hergestellt.Foto: woom bikes

Beeinflusst die Pandemie, abgesehen von diesen zwischenmenschlichen Themen, auch weitergehend den Unternehmensprozess? Stichwort: Lieferengpässe.

Marcus Ihlenfeld: Prinzipiell ist es immer ein Nachteil, wenn man irgendwas irgendwo produzieren lässt. Vor allem in Zeiten von Corona und Lockdowns. Den entstehenden Produktionsverlust kann man nicht mehr reinholen. Diese Zeit geht mit sehr vielen Verzögerungen einher. Rohstoffe werden teurer und Containerpreise nehmen absurde Höhen an. Doch hier haben wir einige Vorteile, wie etwa unsere Individualität. Schließlich sind über 90 Prozent der Einzelteile eines woom-bikes Eigenentwicklungen. Es handelt sich dabei also um Teile, die für uns speziell gebaut werden. Wir sind, was diese Teile angeht, demnach in keinem Wettbewerb mit einem anderen Fahrradhersteller. Das hilft uns. Aber einige Teile sind eben doch Standardware …

Um welche Teile geht es hier konkret?

Marcus Ihlenfeld: Unsere Reifen und auch Schaltungen sind da ein Thema. Da hat man dann tatsächlich oft bis zu 800 Tage Wartezeit. Und wir wissen: Der Fahrradmarkt boomt derzeit und die Nachfrage ist hoch. Doch ich frage mich: Ist diese Euphorie im Endeffekt nur eine Blase? Die Menschen werden sich nicht jedes Jahr ein neues E-Bike um 5.000 Euro kaufen. Ich denke, dass viele Leute in Hinblick auf die Radbranche in den nächsten zwei bis drei Jahren einfach zu optimistisch sind. Nur weil während Corona einige Menschen ihre Fahrräder umgetauscht haben, heißt das nicht, dass genau das jetzt jedes Jahr so weitergehen wird. Da wird irgendwann eine Sättigung erreicht sein.

Sie teilen die allgemeine Euphorie in der Branche nicht?

Marcus Ihlenfeld: Der Markt ist um 13 Prozent hochgegangen, normal wächst er um fünf Prozent. Wir haben demnach acht Prozent mehr Nachfrage nach Fahrrädern. Genau dieser Anstieg bringt nun viele euphorische Händler dazu, große Bestellungen für das nächste Jahr zu platzieren. Wenn sich das alles auf eine europäische oder sogar weltweite Fahrradmarke aufaddiert, dann haben wir garantiert zu viele Räder im Lager. Wir haben jetzt natürlich das Glück, dass wir Kinderräder produzieren. Und von diesen braucht man natürlich alle zwei oder drei Jahre ein neues Modell.

Der Fahrradmarkt boom derzeit und die Nachfrage ist hoch. Doch ich frage mich: Ist diese Euphorie im Endeffekt nur eine Blase?

Marcus Ihlenfeld

Nun wurde die erste Produktionsstätte in Polen in Betrieb genommen. Ist es auf lange Sicht der Plan, hier in Mitteleuropa kleinere Teile selbst zu produzieren? Und so auch Lieferengpässen aus dem Weg zu gehen?

Marcus Ihlenfeld: Das Werk in Polen haben wir bereits vor Ausbruch der Pandemie geplant. Natürlich hilft eine nahe gelegene Produktionsstätte auch nicht weiter, wenn andere Komponentenlieferanten Probleme mit der rechtzeitigen Lieferung haben. Dennoch hat es uns geholfen, dass wir an der Produktion nun ein bisschen näher dran sind und somit auch bei den Transportkosten sparen. Allein bei 300.000 produzierten Rädern braucht man ungefähr 1.000 Container. Dabei kostet ein Container 15.000 Euro, für den Transport nach Amerika kostet solch einer 20.000 Dollar. Aus finanzieller Sicht, aber auch aus Nachhaltigkeitsgründen ist es demnach schon extrem wichtig, dass wir jetzt in Polen produzieren.

Wie viele Räder wurden im polnischen Werk bereits produziert?

Marcus Ihlenfeld: Ich glaube, dieses Jahr sind bereits 125.000 Räder in Polen produziert worden. Es läuft also eigentlich ganz gut – und genauso soll es ja auch sein. Die Räder sollen meiner Meinung dort produziert werden, wo sich der Absatzmarkt befindet. Aus diesem Grund ist es unser Ziel, dorthin zu gehen, wo der Markt ist, und dort eventuell auch die eigene Komponentenproduktion ins Rollen zu bringen. Polen war hierfür der erste Schritt, um Erfahrung zu sammeln. Denn es geht ja auch darum, eine gewisse Flexibilität zu haben. Wenn ich in Asien Räder bestelle, dann bekomme ich diese in sechs Monaten – ohne eingerechnete Verzögerungen durch Corona. Da kann man auf Farb- und Modellvariationen nicht schnell genug eingehen. In Polen können wir das sehr wohl, und das ist halt die erhoffte Flexibilität, die wir uns wünschen. Aber wir sind schon Consumer Product Experts und keine Supply Chain Experts, daher tasten wir uns hier erst einmal langsam an.

Marcus Ihlenfeld
Bereits 125.000 Räder wurden im neuen Werk in Polen produziert und zaubern nun kleinen Radfans ein Lächeln ins Gesicht.Foto: woom bikes

woom soll also in Zukunft ganz groß gedacht werden. Was ist das nächste große Ziel, das es für das Unternehmen zu verfolgen gilt?

Marcus Ihlenfeld: Wir wollen die Top-50-Fahrradländer der Welt erobern und zur globalen Marke werden. Derzeit sind wir vor allem in der DACH-Region und den USA unterwegs. Für uns machen die Top-Märkte 80 Prozent der Stückzahlen aus. Das sind Deutschland, USA, Österreich, Tschechien und Polen.

Stichwort Amerika. Stimmt es, dass vor allem dieser Markt am stärksten wächst?

Marcus Ihlenfeld: Ja, dort liegt das größte Potenzial. Hier, in Österreich oder Deutschland, hat man bereits die Möglichkeit, einige Fahrradmarken im Premiumbereich zu finden. In Europa hat man demnach schon einige Wettbewerber, in den USA noch nicht. Dort herrscht bis dato für Fahrräder nicht so ein Qualitätsbewusstsein. Außerdem gibt es in vielen Städten auch keine anständige Fahrradinfrastruktur. Das entwickelt sich derzeit aber massiv. Und das bedeutet, dass es große Chancen gibt.

Wie stehen die neuen Miteigentümer zu dem Vorhaben, den weltweiten Fahrradmarkt aufzumischen?

Marcus Ihlenfeld: Sie haben uns sogar darin bestärkt, diesen Schritt zu gehen, um groß zu werden. Das hat auch nichts mit Gier zu tun, sondern sie haben auch Freude daran. Und wir freuen uns natürlich auch, mit ihnen zusammenzuarbeiten, denn es ist eine gute Partnerschaft. Es ist schön, Leute am Tisch sitzen zu haben, die ein Interesse daran haben, dass alles funktioniert, uns dabei unterstützen und uns als Berater zur Seite stehen. Ob wir in Zukunft in Sachen Kapital hinkommen, ist nicht ganz klar. Das kommt immer darauf an, wie viele Räder wir ins Lager legen und wie effizient wir das Ganze gestalten. Ja, wir wollen die Mehrheit behalten, aber nicht um jeden Preis. Wenn eine weitere Kapitalerhöhung nötig ist, dann werden wir diese auch umsetzen. Da sind wir jetzt nicht abgeneigt. Aus genau diesem Grund haben wir das Ganze ja auch gestartet. Also: Wir sind ready!

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