Ngozi Okonjo-Iweala

Nigerias Heldin als kraftvolle Wunderwaffe

Wir schreiben das Jahr 2021. Und erstmals ist mit Ngozi Okonjo-Iweala eine Frau an der Spitze der Welthandelsorganisation. Aber wer ist die Politikerin, vor deren Kämpferinnennatur selbst Ölkonzerne zittern?

„Ready to tackle the challenges of WTO. Forget business as usual!“, twitterte Ngozi Okonjo-Iweala am 15. Februar 2021 – an jenem Tag also, an dem sie zur Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO) ernannt wurde. Der englischsprachige Tweet bedeutet so viel wie: „Alles wird neu.“ Und das hat einen guten Grund: Die Nigerianerin schreibt gleich doppelt Geschichte! Sie ist die erste Frau an der Spitze der WTO. Und sie ist der erste Mensch aus einem afrikanischen Staat an der Spitze der WTO. Als Hoffnungsträgerin und sogar als „Wunderwaffe“ wurde sie in den Medien betitelt. Aber was macht die heute 66-Jährige so besonders? Hier ist die Geschichte einer bemerkenswerten Frau:

Ngozi Okonjo-Iweala
Foto: ©WTO_Bryan Lehmann

Rettung in letzter Sekunde

Bezeichnend für Ngozi Okonjo-Iwealas Charakter ist eine Anekdote aus ihrer Kindheit. Geboren in Nigeria, erlebte sie den Ausbruch des Biafra-Bürgerkriegs Ende der 60er-Jahre – mit gerade einmal 14 Jahren. Ihre Eltern, beide ProfessorInnen für Soziologie und Ökonomie, verloren durch diesen Krieg beinahe ihr gesamtes Hab und Gut. Selbst für Essen blieb oft nicht genug Geld übrig. Als neben ihrer Mutter auch noch ihre dreijährige Schwester an Malaria erkrankte, war Ngozi Okonjo-Iwealas Vater gerade an der Front. Sie trug ihre Schwester kurzerhand selbst auf ihrem Rücken zur vier Kilometer entfernten Arztpraxis, wo bereits hunderte Menschen auf Behandlung warteten.

Doch sie ließ sich nicht entmutigen. Stattdessen zeigte sich erstmals ihr eiserner Wille: Sie bahnte sich ihren Weg durch die Menge, kletterte samt Schwester am Rücken durchs Fenster und trat dem Doktor energisch entgegen. Um ihre Schwester zu retten. Das Resultat: Die Malaria-Impfung wurde in letzter Sekunde verabreicht. Ohne Okonjo-Iwealas Einsatz wäre ihre Schwester vermutlich an der tückischen Krankheit gestorben.

„Man sollte mir nicht in die Quere kommen“

Trotz schicksalhaften Momenten wie diesem genoss Ngozi Okonjo-Iweala dennoch eine privilegierte Ausbildung. Sie studierte am MIT und an der Harvard University, wo sie 1977 Magna cum Laude – also mit der Gesamtnote „Sehr gut“ – abschloss. Es folgte eine Karriere, die stetig Aufschwung nahm. Ganze 21 Jahre war Ngozi Okonjo-Iweala als Entwicklungsökonomin bei der Weltbank tätig. Langsam, aber sicher stieg sie hier bis zur Vizepräsidentin und Corporate Secretary auf. 2003 folgte ihre Tätigkeit als Finanz- und Wirtschaftsministerin in Nigeria. Eine Position, die sie als erste Frau Nigerias bekleidete – überhaupt hatte damals nur eine weitere Frau weltweit ein Amt wie dieses inne.

Nach einem Intermezzo von zwei Monaten als Außenministerin zog es sie im Jahr 2007 als Managing Director wieder zurück zur Weltbank. 2011 wurde sie erneut nigerianische Finanzministerin und zementierte ihren Ruf als knallharte Verhandlerin endgültig ein. Klar, das war nicht jeder„manns“ Sache …

Ngozi Okonjo-Iwealas kämpferischer Spitzname

Doch Gegenwind versteht die selbstbewusste Frau grundsätzlich als Ansporn, wie sie selbst auch gerne erzählt. „Als ich Finanzministerin wurde, nannten mich viele Leute Okonjo-Wahala“, sagte sie in einem Interview mit der englischen Zeitung The Guardian. Ihren Nachsatz krönte sie mit einem für sie typischen kehligen Lacher. „Wahala heißt in meiner Sprache so viel wie ,Problem’ oder ,Ärger’. Aber es ist mir völlig egal, wie man mich nennt. Ich bin eine Kämpferin. Ich bin fokussiert auf das, was ich tue und was ich erreichen möchte. Man sollte mir dabei nicht in die Quere kommen.“

Aber es ist mir völlig egal, wie man mich nennt. Ich bin eine Kämpferin. Ich bin fokussiert auf das, was ich tue und was ich erreichen möchte.

Eine Warnung in Richtung der wohl mächtigsten Unternehmen ihres Landes. Denn: Eines ihrer größten Ziele wurde es, dass das Geld aus der milliardenschweren Ölindustrie nicht mehr nur einer kleinen Elite zuteil wird, sondern in die Sicherung von reinem Trinkwasser, Schulbildung und Gesundheitswesen fließt. Doch dass es ernsthaft gefährlich ist, sich mit Mega-Konzernen wie der Ölindustrie anzulegen und sich gegen Korruption aufzulehnen, musste Ngozi Okonjo-Iweala tragischerweise am eigenen Leib erfahren.

Eine Entführung macht Schlagzeilen

In ihrem 2018 erschienenen Buch, „Fighting Corruption Is Dangerous“, arbeitete sie unter anderem einen erschütternden Vorfall auf, bei dem sie als Finanzministerin erpresst werden sollte. Man entführte damals ihre 82-jährige Mutter und forderte Okonjo-Iwealas Rücktritt sowie horrende Lösegeldsummen. Sie weigerte sich allerdings strikt und dachte nicht an Rücktritt. Bewundernswert stark fanden es die einen. „Kaltherzig“ kommentierten die anderen damals. Nach fünf Tagen in Geiselhaft wurde ihre Mutter schließlich befreit. Ob tatsächlich hohe Lösegeldsummen geflossen sind, ist bis heute nicht restlos geklärt. Gerüchte darüber kursieren jedoch.

Zwischen Familie und Weltkarriere

Eine ihrer Hauptaufgaben sieht die neue WTO-Chefin heute darin, eine stärkere Beteiligung von Frauen am internationalen Handel zu ermöglichen, insbesondere in Entwicklungsländern. Vor allem dort sei es nötig, größere Anstrengungen zu unternehmen, um von Frauen geführte Unternehmen einzubeziehen und ihnen größere Plattformen zu bieten. Und Okonjo-Iweala weiß natürlich, wovon sie spricht, wenn sie patriarchale Muster und Vorurteile anprangert: Um Ministerin in Nigeria zu werden, gab sie ihren gutbezahlten Job bei der Weltbank auf und ließ ihre Familie in Washington zurück, um vor Ort zu sein.

Wie für viele Frauen, die Balance zwischen Familie und Karriere suchen, war das auch für die aufstrebende Finanzministerin keine einfache Entscheidung. „Als mir der Posten der Finanzministerin angeboten wurde, war mein jüngster Sohn immer noch in der Schule. Ich wollte keinen Schritt in der Entwicklung meiner Kinder verpassen“, so Okonjo-Iweala in einem Guardian-Interview. Doch es war eines dieser Angebote, die man nur einmal im Leben bekommt und sie sagte schließlich zu.

Die Leute verstehen nicht, dass ich diesen Job nicht trotz meiner Kinder mache, sondern wegen ihnen. Sie sind meine große Inspiration.

Okonjo-Iweala erinnert sich: „Die Leute verstehen nicht, dass ich diesen Job nicht trotz meiner Kinder mache, sondern wegen ihnen. Sie sind meine große Inspiration. Sie geben mir durch ihre Liebe erst die Energie dafür, das alles zu schaffen.“ Wie weit der Weg in Richtung Gleichberechtigung aber gerade in Nigeria noch ist, verdeutlicht die Tatsache, dass der momentane Anteil an weiblichen Abgeordneten im nigerianischen Parlament weniger als vier Prozent beträgt.

Ngozi Okonjo-Iweala
Foto: ©WTO_Bryan Lehmann

Ngozi Okonjo-Iwealas Baustellen 

Heute kann die 66-Jährige, die seit zwei Jahren die US-Staatsbürgerschaft besitzt, auf eine beeindruckende Menge an Erfolgen und Auszeichnungen zurückblicken. Eine ihrer größten Errungenschaften war gewiss die Leitung eines Teams, das eine Abschreibung von 18 Mrd. USD für Nigeria aushandelte. Dies ermöglichte dem Land, als Staat eine gewisse Bonität zu erlangen, die bis dato gefehlt hatte. Die Schulden Nigerias hatten sich seit den frühen 80er-Jahren aufgebaut und waren aufgrund von Strafen und verspäteten Gebühren in den 90er-Jahren auf über 35 Mrd. USD gestiegen. Diese mehr als kritische Talfahrt konnte Okonjo-Iweala stoppen.

2004 wurde sie für ihre Verdienste vom Time Magazine zur „Heldin des Jahres“ gewählt. Zwei Jahre später wurde ihr die Ehrendoktorwürde von der Brown University verliehen. Seit 2019 ist sie Mitglied der American Academy of Arts and Sciences, und letztes Jahr fand sich ihr Name in der Forbes-Liste der 50 mächtigsten Frauen Afrikas. 

Doch auf diesen Lorbeeren kann sich Nigerias Heldin nicht ausruhen, denn ihre Vorgänger hinterließen Ngozi Okonjo-Iweala so einige Baustellen. Nach dem Abgang von Donald Trump, der die Ernennung eines neuen WTO-Vorstands bis zuletzt blockiert hatte, liegen Teile der UN-Organisation mit Sitz in Genf dank Corona beinahe in Trümmern. Zukünftig soll der Fokus darauf liegen, dass die Mitgliedsländer im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie nicht zusätzlich durch Handelshemmnisse ausgebremst werden.

Zudem ist die 66-Jährige überzeugte Impfbefürworterin und seit 2015 Vorstandsvorsitzende der Impfallianz Gavi. Sie unterstrich daher, dass sie fest entschlossen sei, Menschen aus allen Ländern weltweit den gleichen fairen Zugang zu einem Impfstoff gegen COVID-19 zu ermöglichen. Da heißt es erst einmal, existierende Handelsschranken für medizinische Grundstoffe beziehungsweise Impfstoffe zu lockern. Ein Kraftakt, der gewiss gerade in Zeiten wie diesen besondere Relevanz hat.

Hoffnung für die Zukunft

Man darf jedenfalls gespannt sein, wie viel Ngozi Okonjo-Iweala in Zukunft bewirken kann und wird. Auch wenn die erfahrene Ökonomin in ihrer neuen Funktion die ganze Welt überblickt, legt sie großen Wert auf ihre Wurzeln. Deshalb sticht sie mit ihren auffälligen, mit traditionellen nigerianischen Mustern bedruckten Gewändern unter all den dunklen Anzügen in der Weltpolitik erfrischend hervor. Am meisten Aufsehen aber wird sie nicht aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Frauseins  erregen – sondern schlichtweg wegen ihrer Kämpferinnennatur. 

Ngozi Okonjo-Iweala
Foto: ©WTO_Bryan Lehmann

Welche Aufgaben hat die WTO?

Die WTO mit Sitz in Genf gehört neben dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zu den wichtigsten internationalen Organisationen in der Wirtschaftspolitik. Sie umfasst 164 Mitglieder, darunter alle EU-Staaten sowie sowie Japan, Brasilien, Indien, China, Russland und (wieder) die USA. Ziel der Organisation ist der weltweite Abbau von Handelshemmnissen. Dabei bildet die WTO den rechtlichen Rahmen der internationalen Handelsordnung. Eine weitere Aufgabe ist es, Bestimmungen zu schaffen, die fairen Wettbewerb sicherstellen. 

„Die WTO hat eine wichtige Rolle inne bei der Regelung des internationalen Handels. Gerade ein Land wie Österreich, das von Exporten lebt, ist auf faire internationale Wettbewerbsregeln und deren Einhaltung angewiesen“, betont Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung. Angesichts massiver Verschiebungen in der Welthandelsarchitektur, insbesondere der Aufstieg Chinas zur zweitgrößten Volkswirtschaft, sowie zahlreicher aktueller Handelskonflikte und unlauterer Praktiken sei eine Weiterentwicklung und Modernisierung des internationalen Regelwerks das Gebot der Stunde. „Wir brauchen klare Instrumente gegen Subventionen, die zur bewussten Produktion von Überkapazitäten führen und Marktpreise destabilisieren. Wir brauchen faire Spielregeln für alle MarktteilnehmerInnen und klare Sanktionen bei Verstößen. Das derzeitige Welthandelssystem ist nicht mehr zeitgemäß und muss dringend an die Anforderungen der Gegenwart und Zukunft angepasst werden. Die heimische Industrie wünscht der neuen WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala viel Erfolg für ihre Aufgabe – insbesondere, wenn es um die dringend notwendige Neuausrichtung dieser internationalen bedeutenden Organisation geht“, so der IV-Präsident.

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