Nicole Amberg

„Ich bin eine professionelle Lösungs- oder Alternativensucherin“

Warum schickt Neurowissenschafterin Nicole Amberg jedes Jahr zu Weihnachten eine Sachertorte an ein Labor in Brüssel? Warum ist aus ihr eigentlich keine Zoologin geworden? Und wie setzt sie sich für Geschlechtergerechtigkeit im MINT-Bereich ein? Eine Geschichte voller Überraschungen. Versprochen!

Wenn man bei Nicole Amberg ein Interview anfragt, dann kann es so gehen: Mail raus um 10:29 Uhr. Antwort inklusive Zusage um 10:31 im Postfach. Ja, die Wissenschafterin Nicole Amberg trifft schnell Entscheidungen und packt Gelegenheiten am Schopf. „Ich glaub’, ich sag’ zu wahnsinnig Vielem einfach Ja und schaue dann, was dabei rauskommt. Außerdem war ich schon immer der Auffassung, dass Frauen in den Medien präsenter sein sollten, egal, in welchem Bereich sie tätig sind. Deshalb denke ich, dass man, wenn man als Frau um ein Interview gebeten wird, nicht Nein sagen sollte.“

Von Quallen und Wasserflöhen

Nicole Amberg ist Neurowissenschafterin in der Forschungsgruppe von Professor Simon Hippenmeyer am Institute for Science and Technology Austria, kurz ISTA genannt. „Meinen Eltern wäre es wahrscheinlich lieber gewesen, ich hätte Medizin studiert. Mich hat aber das noch viel Kleinteiligere interessiert. Das, was in der Zelle ist, oder wie eine Zelle funktioniert.“

Nicole Amberg
Nicole Ambergs sagt zu Vielem Ja, vor allem wenn es dazu beiträgt, Frauen in den Medien sichtbarer zu machen.Foto: Peter Rigaud

So beobachtete und untersuchte sie schon als kleines Mädchen im Urlaub lieber Tiere, während andere Kinder Sandburgen bauten. „Ich habe Wasserflöhe gerettet, und Quallen mit diesen länglichen Muscheln, die ich als Sezierwerkzeug missbraucht habe, seziert. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen gruselig, aber ich wollte schon immer wissen, wie die Natur im Innersten funktioniert.“

„Ich war wirklich grottenschlecht“

Nach der Schule inskribierte sie an der Uni Wien Molekularbiologie und Zoologie. Wobei schnell ersichtlich wurde, dass aus ihr wohl keine Zoologin werden würde. „Ich war wirklich grottenschlecht. Das Schlimmste waren für mich die Exkursionen. Alle anderen um mich herum sind total aufgeblüht, und ich habe mir nur gedacht: ‚Hoffentlich findest du wenigstens eine Ameise, damit du auch etwas gesammelt hast.‘“ Ebenso schnell stand für Nicole Amberg aber auch fest, dass Molekularbiologie ihr Hauptberufsfeld werden würde. Das Zoologiestudium schloss sie dennoch mit dem Bachelor ab, denn „etwas nicht abzuschließen, ist auch nicht meins.“

Einmal Sachertorte, bitte!

Auf das Diplomstudium folgten der PhD an der MedUni in Wien sowie Forschungsaufenthalte im Ausland. „Ich war für ein paar Monate in Brüssel und habe dort mit einer berühmten Forschungsgruppe zusammengearbeitet, mit der ich noch heute befreundet bin. Das ist nun schon zehn Jahre her, aber ich schicke immer noch jedes Jahr in der Weihnachtszeit eine Sachertorte ins Labor, weil ich weiß, das schmeckt ihnen, das freut sie, und ich finde es schön, dass wir so den Kontakt aufrechterhalten können.“

Nicole Amberg
Nicole Amberg: „Ich glaube reale ForscherInnen sind schon Menschen, die gerade Sätze herausbringen, sozial interagieren können und nicht so super nerdig aussehen wie die WissenschafterInnen in ‚The Big Bang Theory‘.“Foto: Peter Rigaud

Seit 2016 forscht die gebürtige Deutsche am ISTA in Klosterneuburg, Ende August wird sie wieder an die MedUni Wien zurückkehren. In der Wissenschaft sei es normal, die Institute zu wechseln. Sie selbst sei da schon beinahe eine Exotin, weil sie stets in Wien und Umgebung geblieben ist. Nicht zuletzt wegen der Sachertorte, lacht sie.

Nicole Amberg ist anders, als man es sich von einer Wissenschafterin erwarten würde. Zumindest als Laie bzw. Laiin, der oder die ForscherInnen höchstens aus Serien wie „The Big Bang Theory“ kennt. Doch wenn die Neurowissenschafterin erst einmal beginnt, über ihr Forschungsfeld zu sprechen, spürt man sofort ihre Begeisterung. Und kann sogar nachvollziehen, warum sie Stammzellen dermaßen faszinierend findet.

Faszinierende Stammzellen

„Mich interessiert, wie ein Gehirn der richtigen Größe und auch der richtigen Zusammensetzung während der Embryonalentwicklung gebildet wird. Mein Fokus liegt dabei auf der Großhirnrinde, weil das der komplexeste Bereich des Gehirns ist. Jener, mit dem wir z. B. Sprachen lernen, kognitive Leistungen erbringen oder uns Dinge ausdenken, die es noch nicht gibt, so wie ein Architekt ein Haus entwirft. Und besonders spannend finde ich, dass etwa 80 % der Nervenzellen in der Großhirnrinde von einer einzigen Stammzelle abstammen. Diese Stammzelle muss sich zunächst selbst vervielfältigen, und danach produzieren die Stammzellen nach einer ganz bestimmten Logik verschiedene Subtypen von Nervenzellen und später auch sogenannte Gliazellen. Ich finde es unfassbar, dass eine einzelne Zelle so viele verschiedene Typen von Nervenzellen herstellen kann, die ganz unterschiedliche Aufgaben erfüllen.“

Für eine gleichberechtigte Zukunft müssen auch die Buben lernen, welche Steine Frauen später in den Weg gelegt werden und wie unfair es ist, dass große Erfindungen z. B. von einer Frau gemacht und trotzdem nach einem Mann benannt werden.

Nicole Amberg

Dies sei ein Prozess, der nur wenige Tage dauert, jedenfalls bei Mäusen, die sie als Modellorganismus verwendet. Kommt es zu Störungen in der Entwicklung, sind diverse Krankheitsbilder und Beeinträchtigungen die Folge, erklärt die Wissenschafterin. Umso wichtiger sei es daher, den korrekten Ablauf zu kennen, um bestimmte neurologische Krankheiten besser zu verstehen oder Therapieansätze zu entwickeln.

80 bis 90 Prozent landen direkt im Mistkübel

Ihr Beruf ist sehr abwechslungsreich, kein Tag gleicht dem anderen. Manchmal steht sie im Labor, mikroskopiert, sequenziert und analysiert. Dann sitzt sie wieder vor dem Computer und ist mit dem Schreiben von Publikationen oder dem Anfertigen von Abbildungen beschäftigt. Das sei das Schöne an der Wissenschaft. Woran sie sich aber erst gewöhnen musste, waren die vielen Misserfolge, die Teil der Jobbeschreibung sind. Zumindest inoffiziell. „Es gibt eine ungeschriebene Faustregel, die besagt, dass 80 bis 90 Prozent von dem, was man in der Wissenschaft macht, auf direktem Weg im Mistkübel landet. Ich selbst habe mich während meiner Diplomarbeit auch öfter wo verkrochen, geweint und mich für die größte Katastrophe gehalten, die das Labor je gesehen hat. Aber das ist normal und gehört dazu. Und irgendwann muss man sich entscheiden: Halte ich das stressmäßig aus oder suche ich mir etwas anderes? Mittlerweile bin ich sogar der Ansicht, dass ich dadurch auch große Vorteile im normalen Leben habe. Denn wenn etwas nicht auf Anhieb klappt, suche ich mir eine Alternative. Ich beschreibe meinen Job auch ganz oft so, dass ich sage, ich bin eine professionelle Lösungs- oder Alternativensucherin.“

Nicole Amberg
Nicole Amberg bemüht sich auch um die WissenschafterInnen von morgen. Mit „Wissen schafft’s“ hat sie eine Plattform geschaffen, um Kindern wissenschaftliche Inhalte spielerisch zu vermitteln. Foto: YY TEOH

„Nur ein Achtel aller Bewerbungen für Professuren kommt von Frauen“

Lösungen braucht es auch, um Geschlechtergerechtigkeit in Führungsebenen im MINT-Bereich herzustellen. In Nicole Ambergs Disziplin, der Biologie, gibt es zwar viele Frauen, die eine Ausbildung machen. Und selbst im PostDoc-Level findet man in den Biowissenschaften weit mehr Frauen als Männer. Doch auf dem Sprung zur Professur oder einer anderen Form von leitender Tätigkeit nehmen sich viele Frauen plötzlich selbst aus dem Rennen. „Es hat sich über die letzten zehn bis fünfzehn Jahre in der Bewerbungsquote nicht viel geändert. Nur ein Achtel aller Bewerbungen für Professuren kommt von Frauen. Da muss man sich Gedanken machen, warum das so ist und warum genau da der Dropout kommt. Meiner Meinung nach hat das viel mit mangelndem Selbstvertrauen und Selbstzweifeln zu tun, aber auch mit den nach wie vor sehr männlich dominierten Strukturen“, bedauert Nicole Amberg.

STEM fatale für Geschlechtergerechtigkeit

Gemeinsam mit anderen Wissenschafterinnen gründete sie daher die Initiative STEM (Anm. englisch für MINT) fatale, die vom Land Niederösterreich sogar mit dem Wissen schaf[f]t Zukunft-Preis in der Kategorie „Call for Concept“ ausgezeichnet wurde. Unlängst rief STEM-fatale gemeinsam mit einer befreundeten Pädagogin zu einem Kreativwettbewerb auf. Das Thema: „Women in Science“. Teilnehmen durften sowohl Mädchen als auch Buben im Alter zwischen zehn und vierzehn Jahren. „Für eine gleichberechtigte Zukunft müssen auch die Buben lernen, welche Steine Frauen später in den Weg gelegt werden und wie unfair es ist, dass große Erfindungen z. B. von einer Frau gemacht und trotzdem nach einem Mann benannt werden. Oder dass letztendlich ein Mann dafür ausgezeichnet wird.“

Wettbewerb mit Folgen

Rund 600 Kinder und Jugendliche reichten ihre Projekte ein. Viele von ihnen hat der Wettbewerb nachhaltig beeinflusst. „Uns haben Lehrkräfte erzählt, dass die Kids noch immer in den Pausen zusammenstehen und diese Thematik diskutieren. Es ist schön, dass wir auch die Buben damit erreichen konnten. Manche von ihnen haben für die Präsentationen sogar Frauen dargestellt, zwei zum Beispiel Marie Curie. Das hat mich sehr berührt, und mit diesem Impact hätte ich nie gerechnet.“

Gemeinsam mit ihren Stammzellen gewann Nicole Amberg heuer den Science Slam in Wien.

Auch in Zukunft möchte Nicole Amberg nach Lösungen suchen, sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen und einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. „Ich würde gerne etwas entdecken, das PatientInnen helfen wird. Etwas, das man in die klinische Anwendung bringen kann. Durch die Entdeckungen, die ich hier in der Grundlagenforschung mache, möchte ich ein bisschen mehr zu Behandlungserfolgen beitragen. Das wäre mein Traum für die Zukunft.“

Credits Artikelbild: Lisa Cichocki

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