Siememens Werk Waggonfertigung

Nightjets: Nachtruhe dank Hightech-Waggons

Nachtzüge sind ein florierendes Geschäft. Bei Siemens in Wien und Graz fertigt man für die ÖBB die Nightjets – supermoderne Waggons, die über internettaugliche Spezialscheiben und Leichtgewichtfahrgestelle verfügen. Sofern sechs Tonnen leicht sind.

Ausgerechnet jetzt! Umweltbewusst sitzt man im Zug, surft am Smartphone durchs Netz, arbeitet im mobilen Homeoffice am Laptop oder streamt einen Film. Bis auf einmal nichts mehr geht. Plötzlich reißt die Internetverbindung ab. Gibt’s ja nicht! Verärgert wendet man den Blick nach draußen – und schaut dabei direkt durch die Schuldige. Auslöser für den Knacks in der Funkleitung kann nämlich die Scheibe des Waggons sein.

Nightjet Waggonfertigung
Die Nightjet-Waggons wurden in Österreich entwickelt und werden hier gefertigt. Zum Einsatz kommen sie im internationalen Nachtzugverkehr der ÖBB.Foto: Siemens

Warum? In Reisezügen sind meist Thermoverglasungen eingebaut. Die schützen zwar im Sommer vor Hitze und im Winter vor Kälte und entlasten damit die Heiz- und Klimaanlage, sie halten aber durch ihre Spezialbeschichtung auch elektromagnetische Wellen ab. Der Waggon wirkt dadurch wie ein Faraday’scher Käfig, an dem die Funksignale der Netzbetreiber abprallen.

Nightjets mit „funky“ Scheiben

Bei Siemens hat man es geschafft, diese „natürliche“ physikalische Barriere zu durchbrechen. Es gelingt, indem die elektrisch leitende, transparente Schicht aus Metallen oder Metalloxiden entlang von Linien in einer speziellen Struktur mittels Laser verdampft werden. Dadurch können Funksignale in bestimmten Frequenzbereichen ungehindert passieren, die Signalleistung wird bei Hochgeschwindigkeitszügen um das 50-Fache (!) verstärkt – und Telefonieren, Surfen und Streamen wird ungestört möglich.

Diese Fenstertechnologie, die bei den Nightjets erstmals in einem Reisezug zum Einsatz kommt, ist aber nur ein Asset um den Fahrkomfort zu heben. In den dreizehn neuen Waggons sind zudem im Siemens Mobility Werk Graz entwickelte und gefertigte Leichtbaufahrwerke verbaut – eine Premiere in Nachtzügen. Den Löwenanteil an dieser Fahrwerkrahmen-„Diät“ liefert dabei mit 40 Prozent der Gewichtseinsparung der Drehgestellrahmen. Das führt am Ende in Kombination mit einer verbesserten Aerodynamik der Waggons zu deutlichen Energieeinsparungen.

Marktführer in Europa

Der Tag geht, der Erfolg kommt. Mit ihrem Nachtzugangebot ist den ÖBB ein Coup gelungen: Während in anderen Ländern das Angebot in den letzten Jahren zurückgefahren wurde, bauen die ÖBB ihre Flotte vor allem außerhalb Österreichs weiter aus. Mittlerweile ist das österreichische Unternehmen Marktführer und betreibt mit 19 Nightjet-Linien das größte Nachtzugnetz Europas. In Kooperation mit der Deutschen Bahn (DB), den Schweizer Bahnen (SBB) und der französischen Staatsbahn (SNCF) sollen bis 2024 insgesamt 26 Nachtzugverbindungen entstehen. Die ÖBB führen die Marke und beschaffen die Fahrzeuge – bei Siemens.

Je nachdem, ob Steuer- oder Mittelwagen, wiegen diese Drehgestelle zwischen 6.300 und 6.500 Kilo (ohne lose Modellteile). Die Gewichtseinsparung der Leichtbauversionen gegenüber vergleichbaren Produkten mit herkömmlicher Bauweise beträgt für diesen Einsatzbereich damit bis zu einer halben Tonne.

110 Kilo Farbe, 25 Kilometer Kabel

Insgesamt wiegt ein Waggon durchschnittlich beachtliche 50 Tonnen – gleichmäßig aufgeteilt auf Karosserie und Ausstattung. So kommen die wichtigsten Stahlbestandteile für den Rohbau und das Fahrwerk auf 25 Tonnen. Alu, diverse Kunststoffe, Elektronikbauteile wie beispielsweise durchschnittlich 25 Kilometer Kabel pro Waggon und weitere Stahlkomponenten für den Aufbau bringen noch einmal rund 25 Tonnen auf die Waage. Allein für den Anstrich sind 110 Kilo Lack sowie 200 Kilo Dicht- und Klebematerial pro Wagen notwendig.

Nightjet
50 Tonnen Komfort: Bei den Nightjet-Waggons wurden erstmals in einem Reisezug funkdurchlässige Fenster verbaut.Foto: Siemens

Die neueste Generation des Nightjets für die ÖBB besteht dabei aus sieben Wagen: zwei Sitzwagen, drei Liegewagen und zwei Schlafwagen. Auch hier verbindet sich hochmodernes Design mit noch mehr Komfort. Im neuen Liegewagenkonzept bieten zusätzliche Minisuiten für Alleinreisende noch mehr Privatsphäre. Sie können diese „Schlafkapseln“ absperren, aber auch mit anderen verbinden. In den Standard- oder Deluxe-Schlafwagenabteilen (für zwei Personen) gibt es ein WC und eine Duschmöglichkeit im Abteil, während für Familien wie bisher Familienabteile für vier Personen zur Verfügung stehen. Die Produktion hat vor zwei Jahren begonnen, die Züge sollen Ende 2022 in Betrieb genommen werden.

500 Millionen Euro für neue Waggons

Die Nachfrage nach diesen Hightech-Waggons wächst. Allein mit den ÖBB verhandelt Siemens über den Kauf von 20 weiteren reinen Nachtzügen mit je sieben Waggons aus dieser neuen Baureihe. 500 Millionen Euro stehen dafür bereit, kündigt Infrastrukturministerin Leonore Gewessler an, die damit das Angebot an klimafreundlichen Verkehrsangeboten ausbauen will.

ÖBB Nightjet
Quer durch Europa unterwegs: Mit 19 Nightjet-Linien betreiben die ÖBB das derzeit größte Nachtzugnetz in Europa. Foto: Siemens

„Solche Aufträge helfen, die Qualität, die Österreich als Produktionsstandort auszeichnet, auch mit Themen unterlegen zu können“, wirbt Wolfgang Hesoun, Generaldirektor der Siemens Österreich AG. Neu an Bord des neuen Nightjets sind kabellose Ladestationen und ein kostenfreier mobiler Internetzugang, der bisher auf die Railjets beschränkt war. Zusammen mit den „funky windows“ sollte man also störungsfrei surfen, chatten und mailen können. 

GUT ZU WISSEN

  • Im Siemens-Werk in Wien arbeiten 1.200 Personen. Noch heuer werden 35 Lehrlinge aufgenommen.
  • 20 weitere Lehrlinge – zu den 80 bestehenden – sucht man für Herbst am Siemens Mobility Standort Graz.
  • Am steirischen Standort arbeiten rund 1.100 Frauen und Männer. Pro Jahr werden rund 2.500 Fahrwerke für KundInnen auf der ganzen Welt produziert.

Credits Artikelbild: Siemens

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