Smarte Technologien wie Virtual oder Augmented Reality halten derzeit in heimischen Industriebetrieben Einzug. Nun sollen auch Rettungsdienste mithilfe fortschrittlicher Programme virtuell Menschenleben retten helfen.
Es ist derzeit wohl die Traumvorstellung vieler Menschen: Endlich wieder inmitten einer tobenden Menschenmenge zur Live-Performance der Lieblingsband tanzen und feiern. Geht nicht. Corona macht uns gerade einen Strich durch die Rechnung, oder? Geht doch – dank Virtual und Augmented Reality, kurz VR und AR. Mithilfe eines 3D-Scans werden dabei verschiedenste Situationen und Umgebungen detailgetreu nachgebildet, und so – trara – wird eine völlig neue, aber eben virtuelle Welt erschaffen. HerstellerInnen von Computerspielen nutzen das Potenzial dieser Technologien bereits seit Jahren. Sogenannte VR-Brillen zählen bereits zur Grundausstattung vieler GamerInnen. Doch sind zukunftsweisende Technologien tatsächlich nur reine Spielerei?
Gut zu wissen:
- Virtual Reality (VR): Darunter versteht man die Darstellung und gleichzeitige Wahrnehmung der Wirklichkeit in einer in Echtzeit computergenerierten, interaktiven virtuellen Umgebung. Es findet keine Interaktion mit der realen Welt statt.
- Augmented Reality (AR): Die sogenannte erweiterte Realität ist die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Die Realität wird mit zusätzlichen Informationen angereichert.
- Mixed Reality (MR): Eine Kombination aus Virtual und Augmented Reality. Dabei wird die natürliche Wahrnehmung um eine künstlich erzeugte Wahrnehmung ergänzt.
Mixed Reality im Vormarsch
In der niederösterreichischen Wirtschaftsagentur ecoplus sind smarte Technologien jedenfalls schon lange kein unbekanntes Thema mehr. Im Rahmen des bereits abgeschlossenen Kooperationsprojekts „Mixed Reality Based Collaboration for Industry“ (MRBC4I) wurden die Anwendungen genau solcher in einem industriellen Setting getestet. Längst steht fest: Sogenannte Mixed Reality-Anwendungen haben in den vergangenen Jahren vor allem in der Industriebranche an Bedeutung gewonnen. Dennoch gilt es noch immer, in technischer, organisatorischer und auch psychologischer Hinsicht einige Herausforderungen zu meistern.
Eben darum beschäftigten sich mehr als 20 Unternehmen aus verschiedenen Bereichen der Industrie, Digitalisierung und Logistik mit möglichen Lösungsansätzen. Das Ziel: Produktionsprozesse sollen vereinfacht und effizienter gestaltet, Wartungs- und Reparaturarbeiten schneller durchgeführt und Produkte besser präsentiert werden. ecoplus geht jedoch einen Schritt weiter: Gemeinsam mit dem Roten Kreuz Niederösterreich und der Fachhochschule St. Pölten wurden aufwendige Rettungsübungen in virtuelle Welten verfrachtet.
Rettung goes online
Geht es um Menschenleben, so wird freilich nichts dem Zufall überlassen. Die im Sicherheitskonzept erarbeiteten Prozesse und Abläufe einer Rettungseinheit müssen im Ernstfall reibungslos funktionieren, Rettungskräfte in Extremsituationen auf jeden Fall rasch und zuverlässig reagieren. Gerade deshalb stehen groß angelegte Übungseinsätze bei Rettung und Co. regelmäßig auf dem Programm. Hierfür werden mögliche Schreckensszenarien nachgestellt, Drehbücher geschrieben und DarstellerInnen als Verletzte geschminkt. Doch wenn eine Pandemie plötzlich alles lahmlegt, wird die Sache komplexer. Schließlich kann bei Rettungseinsätzen kaum der notwendige Sicherheitsabstand eingehalten werden. Das weiß auch Digitalisierungslandesrat Jochen Danninger: „Die Pandemie und die coronabedingten Einschränkungen haben der Digitalisierung einen großen Schub verpasst. Das gilt sowohl für die Unternehmen, als auch für Institutionen wie etwa das Rote Kreuz. Hier waren und sind etwa die Möglichkeiten für wichtige Großübungen stark eingeschränkt. Der Einsatz von Virtual Reality kann hier Abhilfe schaffen und neue Ausbildungsmöglichkeiten eröffnen.“
Genau hierfür wurde im Zuge des MRBC4I-Projekts der Frage nachgegangen, inwieweit smarte Technologien in der Ausbildung für EinsatzleiterInnen tatsächlich eingesetzt werden können. Die Rettung setzt also voll und ganz auf das Potential der Virtual Reality. Die Idee: Zukünftige HelferInnen spielen mithilfe von VR-Brillen digitale Trainingsszenarien durch. In virtuellen Welten sollen sie Gefahrensituationen richtig einschätzen, verletzte Personen in Gruppen einteilen und korrekte Lagemeldungen abgeben.
Gute Vorbereitung essentiell für eine Virtual Reality-Rettung
Das Eintauchen in virtuelle Welten ist zwar spannend, aber oft auch überraschend herausfordernd, wie sich herausgestellt hat. Denn das Arbeiten mit einer VR-Brille ist so ungewohnt, dass Übelkeit oder allgemeines Unwohlsein auftreten können. Daher gilt: Vor dem Einsatz muss jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer eine Test-Sequenz durchlaufen. Bei dieser wird die Funktionsweise des Gerätes genau erklärt und mit einfachen Beispielen erläutert. Im Falle von Unklarheiten oder weiteren Fragen können sich die TeilnehmerInnen stets an einen bzw. eine InstruktorIn wenden – dieser bzw. diese ist während der gesamten Übung anwesend.
Virtuelle Gefahren erkennen
Wichtig zu wissen: Bei digitalen Übungseinsätzen geht es vorrangig um das Erfassen und Bewerten einer gefährlichen Situation sowie das Weitergeben wichtiger Informationen. Aus diesem Grund sind teilnehmende Personen „per Funk“ mit einer virtuellen Leitstelle, dem sogenannten Operator, verbunden. Schließlich können durch das korrekte Abgeben von Lagemeldungen später auch in der Realität wertvolle Minuten eingespart und Leben gerettet werden. Dazu zählt natürlich auch die Kommunikation mit nachrückenden Rettungseinheiten.
Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen konnten alle für sich viel mitnehmen und hatten nebenbei auch noch jede Menge Spaß.
Josef Schmoll, Präsident des Roten Kreuzes Niederösterreichs
ProbandInnen müssen zudem einzelne stabilisierende Maßnahmen durchführen. Sprich: Schwere Blutungen der Unfallopfer sollen auch in der virtuellen Welt gestoppt werden. Das funktioniert, weil sich handelnde Personen auch in virtuellen Welten frei bewegen können – und zwar durch Auf- und Abwärtsbewegungen der Arme, die sozusagen als Navigatoren dienen. Opfer, Autos und sonstige Gegenstände werden als 3D-Modelle in die Simulation eingebunden und von den TeilnehmerInnen durch die Spezialbrille räumlich wahrgenommen.
Die VR-ExpertInnen legten bei der Programmierung jedoch weniger Wert auf eine fotorealistische Integration von Gegenständen und Personen. Einfache Umrisse wurden als völlig ausreichend eingestuft. Dennoch wurde den Lehreinheiten bewusst Spielecharakter verliehen, um in die digitalen Kurse einen gewissen Spaßfaktor zu integrieren. Schließlich darf Ausbildung auch lustig sein, sind sich alle teilnehmenden Personen einig.
Setzt heimische Rettung schon bald auf mehr Virtual Reality-Einsätze?
Das erarbeitete Konzept wurde nun im Rahmen eines Kurses für leitende NotärztInnen getestet. Fazit: Sowohl der Lerneffekt als auch die Akzeptanz innerhalb der Testgruppe waren sehr hoch. „Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen konnten alle für sich viel mitnehmen und hatten nebenbei auch noch jede Menge Spaß“, bestätigt Josef Schmoll, Präsident des Roten Kreuzes Niederösterreichs.
Doch nicht nur zukünftiges Rettungspersonal profitiert von diesen Techniken. Im Vergleich zu realen Übungen kann der Aufwand bei virtuellen Einsätzen gering gehalten werden. Schließlich werden weder StatistInnen noch Equipment gebraucht. Außerdem können schiefgelaufene Übungssequenzen einfach und schnell wiederholt werden – ohne das gesamte Szenario neu aufbauen zu müssen. Es liegt also auf der Hand, welche Möglichkeiten sich durch den Einsatz von Virtual Reality für die heimische Rettung ergeben.
Ein Erfolg für die heimische Industrie
Die Entwicklung und Umsetzung derartiger Anwendungsbeispiele ist für alle teilnehmenden Unternehmen ein großer Erfolg. Schließlich wurden PartnerInnen des Kooperationsprojekts MRBC4I mit regelmäßigen Status-Updates hinsichtlich der laufenden Tätigkeiten und Neuigkeiten am Markt versorgt – und haben damit einen wesentlichen und auch notwendigen Wissensvorsprung.
Und eines steht fest: Solch smarte Innovationen sind in fast jeder Branche im Aufschwung begriffen. Umso wichtiger ist es also für Unternehmen, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie sie auch in Zeiten von Industrie 4.0 wettbewerbsfähig bleiben können. „Als Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich ist es eine unserer Aufgaben, neue Technologien aufzugreifen und ihre Tauglichkeit in der industriellen Anwendung gemeinsam mit Forschungsinstitutionen und FirmenpartnerInnen zu verifizieren bzw. zu untersuchen“, erklärt ecoplus-Geschäftsführer Helmut Miernicki.
Und weiter: „Damit bieten wir den Unternehmen und Projektpartnern die Möglichkeit, sich selbst ganz praxisbezogen ein Bild machen zu können, ob eine neue Technologie für das eigene Unternehmen anwendbar ist beziehungsweise welche potentiellen Einsatzgebiete es noch geben können.“ Dass nun aber das MRBC4I-Clusterprojekt indirekt Leben retten könnte, sei laut Digitalisierungslandesrat Danninger ein ganz besonderer Erfolg. Man darf also auf mehr innovative und auch potentiell lebenswichtige Projekte hoffen.