Rohstoffmangel. Fachkräftemangel. Homeoffice. Bei international operierenden Unternehmen wie der Salzburger Aluminium Group schlagen aktuell gleich mehrere Herausforderungen auf. Wie kann man diesen begegnen? SAG-CEO Karin Exner-Wöhrer lässt mit spannenden Ideen aufhorchen.
Es ist ein sonniger Sommertag, sowohl in Wien als auch in Salzburg. Das wird offensichtlich, weil sich Karin Exner-Wöhrer für unser Interview auf die Terrasse der Zentrale der Salzburger Aluminium Group gesetzt hat. Der Laptop reicht für einen Zoom-Call, warum soll sie da in ihrem gewiss schicken CEO-Büro hocken, wenn sie auch ganz entspannt die Salzburger Bergwelt um sich haben kann? Und sie markiert damit auch gleich eines der Themen dieser Zeit: die Digitalisierung. Vor allem für international aufgestellte und traditionsreiche Unternehmen – die SAG ist das drittälteste Aluminium-Werk der Welt, keine ganz einfache Entwicklung, will man meinen. Nicht aus Sicht dieser dynamischen Chefin. Wie also geht die 49-Jährige mit den aktuellen Herausforderungen um? Ein Gespräch über Überraschungen, Sorgen und Lösungsansätze, die Mut brauchen. Und Durchsetzungsvermögen.
Ihnen ist es während der Lockdowns gelungen, für die SAG den US-amerikanischen Markt aufzubereiten und dort Fuß zu fassen. Spielen Distanzen in der heutigen Zeit gar keine Rolle mehr?
Wir verfolgten tatsächlich noch zu Trumps Zeiten die Pläne, nach Nordamerika zu gehen. Wir haben den Markt zwar schon zuvor bearbeitet, aber vorwiegend von den zwei Standorten in Mexiko und Kanada aus. Schließlich haben wir schon vor zwei, drei Jahren erkannt, dass es in den USA für unsere Produkte – da sprechen wir vor allem das PKW-Segment an, also SUV und Leichttransporter – ein sehr großes Potenzial gibt. Dann kam Corona, und wir mussten bis vor Kurzem (siehe Story: SAG goes USA) aus der Distanz operieren. Und ich kann sagen, dass wir dabei mit viel größeren Hürden gerechnet haben.
Wir sind davon ausgegangen, dass unsere Produkte sehr beratungsintensiv sind, haben uns eingeredet, dass man diese nur durch den persönlichen Kontakt vermitteln kann. Den zuständigen Kollegen ist es dann aber gelungen, auf rein digitalem Weg zwei große Aufträge an Land zu ziehen. Daraus lässt sich tatsächlich ableiten, dass es Distanzen in diesem Sinne nicht mehr als Barrieren gibt. Wir sprechen heute in zehn Minuten mit Indien, wenn wir wollen, oder mit Japan. Corona hat aus meiner Sicht gezeigt, dass zwar alles etwa länger dauert, aber genauso möglich ist. Insofern haben wir viel dazugelernt. Jetzt hoffen wir aber, dass wir die Prozesse mit dem nun endlich realisierten Standort in den USA noch beschleunigen können.
Der neue Standort wurde für die SAG erst nach dem Präsidentschaftswechsel möglich. Hat sich unter Joe Biden so viel verändert?
Jedenfalls sind die großen bürokratischen Hürden der simplen Einreise für jemanden, der dort mit Familie leben möchte, sehr schnell gelockert worden. An dem Motto „America First“ hat sich aus meiner Sicht aber noch nicht viel geändert.
Gerade US-amerikanische Konzerne beklagen derzeit einen eklatanten Mangel an Chips und anderen relevanten Bauteilen. Wie sieht das in Ihrer Branche aus?
Wir sind nicht direkt betroffen, weil wir selbst keine Chips verbauen. Aber unsere KundInnen sind sehr stark betroffen. Bei einzelnen KundInnen hat das sogar sehr früh aufgeschlagen, weil die Sache unterschätzt wurde. Andere konnten das intern innerhalb der Gruppe noch ein bisschen umschichten, sodass das Segment der schweren LKW erst ganz zum Schluss betroffen war. Jetzt sind wir gerade in einer ganz heißen Phase, in der der eine oder andere Kunde die Sommerferien verlängert, um die Lager aufzufüllen und um danach wieder gut durchstarten zu können
Aber es geht nicht nur um einen Chip-Mangel: Viele chinesische Häfen sind nach wie vor geschlossen oder wegen Corona wieder gesperrt worden. Das liest man interessanterweise in unseren Medien nicht, führt aber dazu, dass Container einfach dort festhängen und teilweise gar nicht mehr genau lokalisiert werden können. Das führt aktuell zu starken Verwerfungen in der Supply Chain, und wir gehen davon aus, dass sich das nicht in den nächsten drei Monaten erledigt haben wird. Dieses Problem wird uns sicher noch sechs bis zwölf Monate begleiten.
Versucht man bei der SAG alternative Wege zu finden, um diese Lücken zu schließen? Oder muss man mit diesen Lücken jetzt einfach leben und gewisse Dinge verzögern sich?
Das Problem der geschlossenen Häfen kann man natürlich alternativ lösen. Solange der Container noch nicht auf einem Hafen ist, versucht man, ihn auf einen anderen Hafen umzuleiten. Das geht, kostet aber Zeit. Das Problem liegt eher bei HerstellerInnen, die umrüsten oder Kapazitäten schaffen müssen, um Bedarf decken zu können. Das dauert schon wesentlich länger. Ich glaube aber, dass dieses Problem nicht von unserer Industrie befeuert wird, sondern vielmehr von der Elektronikindustrie, der Unterhaltungsindustrie, die einfach so wahnsinnig stark zieht und ganz einfach auch andere Preise zahlt als wir. Es ist nun einmal so, dass in einer freien Marktwirtschaft der bevorzugt wird, der höhere Preise bezahlt.
Abgesehen vom Mangel an Rohstoffen wurde in den vergangenen Monaten gerade in Österreich der Mangel an Fachkräften immer offensichtlicher. Was machen wir falsch?
Das ist aus meiner Sicht auch keineswegs überraschend. Wir hatten schon vor Corona einen Fachkräftemangel. Und wir haben auch gewusst, dass dieser Fachkräftemangel in manchen Bereichen deutlich zunehmen wird. Bei uns geht es da vor allem um IT-Kräfte. Im Bereich Digitalisierung würden wir heute am liebsten zehn, zwanzig, dreißig Leute aufnehmen. Interessanterweise aber habe ich vor Corona gemerkt, dass es sich hierbei um ein sehr stark österreichisches Thema gehandelt hat, andere Standorte spürten das nicht so sehr. Das ist nun anders – wir kämpfen in allen Ländern damit.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Das hat schon damit zu tun, dass zum Teil die etablierten Corona-Hilfen dazu geführt haben, dass viele lieber diese in Anspruch genommen haben, als Vollzeit zu arbeiten oder sich weiterzubilden. Im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer, aber ich denke, das Learning daraus ist, dass es sinnvoller gewesen wäre, die Kurzarbeit intensiv für Schulungen zu nutzen oder das Kurzarbeitsgeld mit konkreten Weiterbildungsmaßnahmen zu verbinden. Allerdings muss man schon dazusagen, dass diese Modelle in einer unübersichtlichen Zeit sehr schnell entwickelt werden mussten, um den Lebensstandard der Menschen zu erhalten. Und das war gut und wichtig.
Es wird im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel auch immer wieder das Thema Standort ins Treffen geführt. Ist die Lage eines Betriebs so relevant oder in Österreich oft so schlecht?
Ich habe inzwischen den Eindruck, dass der Standort keine so große Rolle spielt. Es geht vielmehr um ein Gesamtpaket, das stimmen muss. Aktuell versuchen wir, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit zwei Themen anzulocken, von denen wir sagen, dass sie uns von anderen unterscheiden. Das ist große unternehmerische Freiheit, also sehr viel Bewegungsfreiheit im Unternehmen. Das andere, dass wir hier an einem Ort arbeiten, wo andere Urlaub machen. Das heißt: hoher Freizeitwert und natürlich das Bemühen, unsere Arbeitszeiten und Arbeitsformen an Bedürfnisse anzupassen.
Das ist große unternehmerische Freiheit, also sehr viel Bewegungsfreiheit im Unternehmen, und dass wir hier an einem Ort arbeiten, wo andere Urlaub machen.
Karin Exner-Wöhrer, CEO der SAG
Mein Learning in der Corona-Zeit dahingehend war, dass es schon wichtig ist für die Leute, gemeinsame Kernzeiten zu etablieren. Aber nicht mehr so wie früher 7 bis 16 Uhr. Sondern vielleicht Dienstag, Mittwoch, Donnerstag. Und dann den Montag nicht bezahlte Freizeit, sondern Arbeiten an einem anderen Platz, zum Beispiel im Homeoffice. Wir versuchen, solche modernen Modelle, dort wo es möglich ist, bewusst in unseren Betrieb zu integrieren.
Was heißt das für Ihre unterschiedlichen Arbeitsbereiche bei der SAG konkret?
Man muss ganz klar sagen: Es gibt Grenzen. Wenn ich zu Hause drei kleine, nicht schulpflichtige Kinder zu betreuen habe, dann bedeutet das puren Stress für alle. Aber es gibt genügend Tätigkeiten, also dieses Gespräch mit Ihnen etwa, da muss ich jetzt nicht ins Büro gehen, das kann ich von überall mit Teams oder Zoom erledigen. Das machen wir international an all unseren Standorten, warum soll es nicht lokal funktionieren? Für MitarbeiterInnen, die etwa eine Stunde Anfahrtszeit haben, ist das auch eine relevante Option, weil sie an manchen Tagen dann einfach mehr Zeit für sich haben. Aber: Ich bekomme die gesuchten IT-Profis auch in Wien nicht oder woanders. Selbst wenn wir anbieten würden, er oder sie könne gerne gänzlich im Homeoffice arbeiten, hilft das unserer Erfahrung nach nichts. Da muss ich schon nach Bulgarien gehen oder nach Indien. Und das ist die große Gefahr: Wenn ich einmal dort bin, dann komme ich auch nicht mehr zurück. Was einmal weg ist, das ist weg.
Das ist sicherlich eine Gefahr. Gerade Indien und Pakistan mischen da international schon kräftig mit. Zumal man Leistung zu einem geringeren Preis bekommt …
Das sind Top-Leute! Da braucht man nicht zu glauben, dass die unproduktiver sind. Dort gibt es auch keine fünf Wochen Urlaub. Und man hat als Unternehmen den Vorteil, mit der Zeitdifferenz spielen zu können. Die Leute dort arbeiten, wenn bei uns Nacht ist, und schon am Tag darauf können wir wieder darauf aufbauend weiterarbeiten. Da gibt’s schon viele Vorteile.
Dennoch nutzen Sie bis dato diese Optionen nicht?
Na ja, wir scheitern dabei an unserer eigenen Psychologie, dass wir das eigentlich nicht gutheißen wollen. Dennoch gibt es den klaren Auftrag, dass wir uns aus der Not auch damit beschäftigen müssen. Aktuell sind wir in dem Stadium, dass wir versuchen, Leistungen zu definieren, die wir offshore gehen lassen könnten. Das ist im Grunde den Homeoffice-Überlegungen sehr nahe. Nicht, weil wir das grundsätzlich wollen, sondern aus der Not heraus!
Da ist wohl auch nötig, die Politik mit in die Pflicht zu nehmen. Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun?
Ich finde die schon sehr etablierten MINT-Aktivitäten in den Kindergärten fantastisch. Großes Aber: Davon habe ich erst was in 20 Jahren. Das löst mein FacharbeiterInnenproblem jetzt nicht und auch nicht in fünf Jahren. Was wir jetzt tun können? Ich denke da zum Beispiel an die Frauen, die in Karenz gehen. Zwar machen das Männer auch, das ist klar, aber zu einem verschwindend kleinen Teil. Ich denke, diese Karenzzeit könnte man wirklich gut nutzen. Und ich bin selbst Mutter von drei Kindern, ich weiß schon, wovon ich rede. Hier könnte man die digitale Ausbildung im digitalen Segment wirklich forcieren. Und ich muss natürlich die 15- bis 17-Jährigen viel bewusster in diese Bereiche locken. Ich muss das besser bewerben, Lust darauf machen, die Chancen aufzeigen.
Und, das ist jetzt politisch völlig unkorrekt, aber was erwarte ich von einem 55-jährigen Lehrer, der sich selbst mit dem iPad schwertut? Der wird Kinder und Jugendliche nicht für digitale Welten begeistern. Nur ein Beispiel: Wir haben die großartige Fachhochschule in Salzburg. Und diese hat nicht das Problem, dass es zu wenig Studienplätze gibt – sie bekommt die vorhandenen Plätze nicht gefüllt! Wir haben also schlichtweg zu wenig Absolventinnen und Absolventen, obwohl mehr möglich wären. Daher sehe ich den Flaschenhals bei den Teenagern, die man inspirieren müsste – egal, ob zu einem FH-Studium oder einer Lehre in diesem Spektrum.
Die Lehre schafft es eigenartiger Weise aber einfach nicht, ein spannendes Image zu etablieren. Woran liegt das?
Ich bin eine große Freundin der Lehre. Ich finde, das ist eine ganz großartige Form der Ausbildung. Sie muss nur digitalisiert werden. Weil von einem Maschinenschlosser muss ich heute auch erwarten, dass der für seine Arbeit digitale Wege versteht und nutzt. Der Weg dahin wäre auch gar nicht weit: Das Digitalste an unserer Schule ist ja aktuell noch die Pause (schmunzelt). Die Kinder können in den Pausen alle mit ihren Devices fröhlich und permanent umgehen. Aber im Beruf erziehen wir es ihnen dann einfach ab, anstatt darauf aufzubauen. Das sehe ich als echtes Problem. Ein weiteres bei der Generation 40 plus.
Das müssen Sie mir jetzt bitte genauer erklären …
Die Gruppe der 40 plus-Jährigen wird in diesem Bereich genauso vernachlässigt. Da rede ich jetzt nicht von uns, die im Büro sitzen und täglich mit digitalen Kommunikationsmöglichkeiten arbeiten. Ich meine unsere SchweißerInnen, meine MitarbeiterInnen in der Fertigung, die in fünf Jahren eine ganz andere Aufgabe haben werden. Sie werden nicht mehr mit der Hand schweißen, sondern einen Computer bedienen. Und das ist natürlich unsere Aufgabe, sie bei diesem Change, dieser psychologischen Wandlung auch zu begleiten. Aber da gibt’s keine Hilfestellungen. Da gibt’s auf dem Markt tatsächlich noch sehr wenig Angebot, das dabei unterstützt, das Mindset dieser Betroffenen anzupassen, zu erweitern.
Das heißt, Sie haben keine Chance, Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der SAG weiterzubilden, weil es die Kurse nicht gibt?
Wir könnten es selbst hausintern lösen. Aber das ist aus unternehmerischer Sicht nicht effizient. Es wäre viel effizienter, wenn man da etwa einschlägige E-Learning-Angebote zukaufen könnte.
Über die SAG:
- SAG ist ein international agierendes Unternehmen mit österreichischem Ursprung. Dank bestens ausgebildeter Mitarbeiter werden an insgesamt zehn Niederlassungen in Europa und Mexiko Tanklösungen und Leichtbaukomponenten für den Fahrzeugbau entwickelt und produziert. Das Know-how im R&D-Bereich und das Produkt- und Serviceportfolio wird laufend erweitert. SAG ist in vielen Bereichen des Werkstoffsektors und im Kryotankbereich Technolgieführer.
- Aluminium bringt Leichtigkeit in den Fahrzeugbau. Aufgrund seines geringen Gewichts und der Korrosionsbeständigkeit besitzt es exzellente mechanische Eigenschaften. Außerdem ist es äußerst wandlungsfähig, 100 % und ohne Qualitätsverluste unbegrenzt recyclebar und somit ein sehr ressourcenschonder Rohstoff.
Karin Exner-Wöhrer …
… ist Mutter von drei Kindern und seit 2010 CEO der Salzburger Aluminium Group (SAG). Die promovierte Betriebswirtin ist ehemalige österreichische Golfmeisterin und schrieb das viel beachtete Buch „So zart und doch so stark.