Smart Textiles QUS

Smarte Textilien: der Stoff, aus dem die Zukunft ist

T-Shirts, die den Herzschlag messen, Matratzen, die die Atmung spüren, Schuhe mit Abstandsmesser, Bürostühle mit Sensoren, die die Haltung analysieren: So werden „smarte Textilien” unsere Zukunft prägen.

Vorarlberg gilt als Textilhochburg Österreichs. Der Industriezweig hat hier eine jahrhundertealte Geschichte. Und neue Konkurrenz. Massenproduktionen aus den Billiglohnländern in Fernost sorgen für enormen Druck. Druck, auf den man im „Ländle“ mit einem Fokus auf smarte Textilien reagiert. Die wichtigsten Unternehmen der Branche haben sich zur Plattform „Smart Textiles“ zusammengeschlossen.

Man arbeitet an textiler Grundlagenforschung und Innovationen bis hin zu projektbezogenen Entwicklungsaufträgen. Mit erstaunlichen Ergebnissen. Wir zeigen acht Beispiele für smarte Textilien aus Vorarlberg und dem Rest der Welt.

Beispiel 1: Smarte Textilien machen Matratze zum Lebensretter

Er gehört zu den Horrorvorstellungen von Eltern: der plötzliche Kindstod. Eine Innovation aus Vorarlberg soll dabei helfen, ihn zu verhindern. Die Grabher-Group mit Stammsitz in Lustenau hat dafür einen „intelligenten“ Matratzenstoff entwickelt. In ihm sind supersensible Sensoren eingestickt. 

Sie melden den Eltern sofort aufs Handy, wenn Atmung oder Puls des Kindes nicht der Norm entsprechen. Gemessen wird dabei jede kleinste Bewegung. Die Daten werden via Bluetooth oder Internet an eine App gemeldet. Gibt es länger als 40 Sekunden keine Bewegung, schlägt das System am Handy Alarm. Eine Innovation, die Leben retten kann.

Vom Ackerbau zu smarten Textilien

Rückblick: Die Wurzeln dieser Hightech-Anwendungen von heute liegen im Ackerbau von einst. Klingt komisch, ist aber so. Denn die Anfänge der Vorarlberger Textilexpertise reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Damals wurde im Rheintal und Bregenzerwald Flachs angebaut. Er diente als Grundstoff für die Erzeugung von Leinengarn. Die Bauern produzierten aber nicht nur Garn. Sie begannen auch in den Verarbeitungsbetrieben im benachbarten Süddeutschland und der Schweiz zu arbeiten.

Man verfertiget in Vorarlberg so feine Gespinnste als nur immer in der Schweiz. Noch mehr! Wer sich naher erkundiget, wird finden, daß die Schweitzer die feinsten Gespinnste bey uns verfertigen lassen.

Joseph Rohrer, 1796

Schon um 1850 kamen 60 Prozent der gesamten regionalen Erwerbssteuer aus der Textilindustrie. Noch 1951 verdienten knapp 40 Prozent der ArbeitnehmerInnen ihr Einkommen in der Textilbranche. Heute sind es nur noch rund acht Prozent der Vorarlberger Industrieproduktion, die die Textilindustrie erwirtschaftet. Konkurrenzfähig bleibt man vor allem mit Innovationen.

Beispiel 2: eine Bettauflage, die PflegerInnen ruft

Die Grabher Group entwickelte beispielsweise eine Leintuchauflage, die im Pflegebereich zum Einsatz kommt. Sie reagiert auf Nässe und Gewicht. Wie das funktioniert? Durch textile Sensoren, die den elektrischen Widerstand messen. Sie erkennen, wenn es nass wird (wobei über den Leitwert zwischen Urin und Schweiß unterschieden werden kann) oder jemand ungeplant das Bett verlässt (Sturz, Bettflucht). Automatisch schlägt dann entweder ein Steckdosenempfänger Alarm oder eine App auf dem Smartphone. 

Die Erfindung entwuchs 2014 dem Forschungsprojekt „Netzwerk waschbare Sensortextilien“. Man suchte nach Lösungen für den Pflegeheim- und Krankenhausbetrieb. Dort ist vorrangig Mietwäsche im Einsatz, die in industriellen Großwäschereien gereinigt wird. Dafür müssen die Sensoren, die in den Textilien eingearbeitet sind, möglichst robust sein.

Billiglohnland Vorarlberg

Rückblick: Mit Herausforderungen dieser Art hat die Vorarlberger Textilindustrie zu leben gelernt. Ihr Erfolgsrezept: Besser zu sein – oder zumindest billiger als die Konkurrenz. Das Lohnniveau in Vorarlberg war in den 1950er- und 1960er-Jahren im Vergleich zu den Nachbarländern niedrig.

Aber das war für die Vorarlberger Textilindustrie nicht nur von Vorteil. Zahlreiche VorarlbergerInnen wechselten in die besser bezahlte Eisen-, Metall- und Elektroindustrie. Sie bot bereits Anfang der 1990er-Jahre mehr Jobs als die Textilindustrie. Andere wiederum pendelten ins benachbarte Ausland.

Beispiel 3: Bürosessel misst Sitzposition

Die Arbeitswelt veränderte sich generell. Mehr Büros, weniger Fabriken, mehr Schreibtische, weniger Fließbänder, und mehr Digitalisierung im Alltag: Die Textilindustrie reagierte auf diesen Wandel.

So hat man einen Stoff für Bürostühle entwickelt, der über die Druckverteilung die Sitzposition und Körperhaltung analysiert. Krummrückige Schreibtischtäter animiert ihr eigener Stuhl so direkt zu einer gesünderen Arbeitshaltung.

Beispiel 4: Sport-Shirt, das den Brustgurt ersetzt 

Auch in der Freizeit wirken smarte Textilien anziehend. Gemeinsam mit dem steirischen Unternehmen sanSirro hat die Grabher-Gruppe mit QUS ein intelligentes Sport-Shirt auf den Markt gebracht. Im waschbaren Stoff dieser Shirts sind Mikrosensoren mit Nanoplasma-Beschichtung eingearbeitet. Sie messen Kalorienverbrauch, Herzratenvariabilität und Pulsfrequenz. Außerdem wird die Atemfrequenz über die Ausdehnung des Brustkorbs eruiert.

Smart Textiles QUS
Smarte Textilien: In der Faser der Sportbekleidung sind Sensoren integriert. Sie zeichnen die Bewegungen auf.Foto: QUS
Smart Textiles QUS Sportbekleidung
Die Daten werden auf einem Chip gespeichert, am Computer ausgewertet und so das Training optimiert.Foto: QUS

Ein am Shirt anklippbarer, 18 Gramm leichter Chip speichert die Daten. Am Computer lassen sie sich zusammen mit Höhenmeterprofilen und Geschwindigkeitsaufzeichnungen analysieren und so die Belastung des Trainings optimieren.

Beispiel 5: Textiler Sensor misst Schneelast auf Dächern

Neben Büro und Sport haben Grabher und Partner der Smart Textiles-Plattform sich auch der Gebäudesicherheit im Winter angenommen. Das Ergebnis der Kooperation ist ein textiler Schneelastsensor für Dächer.

Gut zu wissen:

Die Smart Textiles Plattform Austria mit Mittelpunkt in Vorarlberg ist ein weltweit einzigartiger Zusammenschluss von Textilunternehmen, deren Kompetenzen über alle Wertschöpfungsstufen der textilen Produktion reichen.

 

Dieser Sensor ist nur wenige Millimeter dick und wird direkt auf der Dachfläche montiert. Wird die Schneelast zu schwer, schlägt der Sensor Alarm. Eine Information, die bisher so präzise nicht zu bekommen war.

Ein Drittel der Beschäftigen aus dem Ausland

Rückblick: Um konkurrenzfähig zu bleiben, waren immer schon neue Ideen notwendig. Den Arbeitskräfteabfluss konnten sie aber nicht bremsen. So war die Textilindustrie gezwungen, Arbeitskräfte von auswärts zu rekrutieren. Zunächst versuchte man, inländische ArbeitnehmerInnen aus anderen Bundesländern, vor allem aus Ostösterreich, anzuwerben.

Das reichte aber nicht. Wie auch in anderen Branchen begann man daher verstärkt mit der Einstellung von AusländerInnen. Anfang der 1970er-Jahre stammte beinahe jede/r dritte Beschäftigte in der Vorarlberger Textilindustrie nicht aus Österreich.

Beispiel 6: Handschuhe mit eingebauter Heizung

International ist die Branche geblieben. Vor allem nachfrageseitig. Als Wachstumstreiber für smarte Textilien gelten das Militär, der Spitzen- und Breitensport, die Automobil- und die Gesundheitsbranche. Denn die Anwendungsbereiche von smarten Textilien sind breit: von in Anoraks, Handschuhen und Skisocken eingewebten Heizdrähten, die bei Kälte wärmen, bis zu intelligenten Einlegesohlen, die Druckpunkt- und Ganganalysen liefern. 

So bietet das Vorarlberger Unternehmen stAPPtronics mit stappone eine Sohle, in die eine Vielzahl von Sensoren eingestickt sind. Sie liefern ein genaues Profil des Bewegungsverhaltens und der spezifischen Fußbelastungen.

Beispiel 7: Sohlen erkennen Nervenkrankheiten

Die gesammelten und via App auf Smartphones auslesbaren Daten sind vor allem für ÄrztInnen und TherapeutInnen interessant. Sie ermöglichen durch die Analyse kleinster Variationen der Schrittlänge und Fußdruckbelastung die Früherkennung von neurologischen Erkrankungen und der damit einhergehenden erhöhten Sturzgefährdung. Zudem können Therapieformen gezielter eingesetzt werden.

stAPPtronics-Gründer Peter Krimmer: Einlagesohle mit integrierten Sensoren, die Bewegungsmuster erkennen

Rückblick: Die Idee für diese Innovation „verdankt“ stAPPtronics-Gründer und Geschäftsführer Peter Krimmer seinen eigenen Rückenschmerzen. Die daraus abgeleitete Produktidee: eine Sohle zu entwickeln, die zu mehr Bewegung motivieren soll. stAPPtronics wurde 2016 gegründet. Bei der Umsetzung griff man auf das regionale Know how der Vorarlberger „Smart Textiles“-Plattform zurück.

Beispiel 8: Schuhe, die Blinde lenken

Aber auch anderswo wird an Anwendungsvarianten gefeilt. So bietet eine indische Firma Einlagen mit integrierten Sensoren, die als Navigationsgeräte dienen. Über Bluetooth ist die Sohle mit einer Smartphone-App verbunden. Gibt man dort ein Wegziel ein, vibriert entweder die rechte oder linke Sohle – je nachdem in welche Richtung man abbiegen soll. Zusätzlich kann der Kalorienverbrauch gemessen werden. Und wenn man mit der Fußspitze auftippt, markiert die App den Ort auf der Karte.

Schuh von Tec-Innovation
Idee von Tec-Innovation: Schuhe mit Kamera, die sehbeeinträchtigte Menschen vor Hindernissen warnt. Foto: tec-innovation

Eine ähnliche Leitfunktion verfolgt das Kärntner Start-up Tec-Innovation. Es hat eine Art GoPro-Kamera für die Schuhspitze entwickelt. Sie soll sehbeeinträchtigte Menschen vor Hindernissen warnen. Eingebaut sind Abstandsmesser und Sensoren, die die Fußbewegung erkennen. Sie scannen die Umgebung zwischen 1,5 und 4 Metern. Wenn sich die/der TrägerIn einem Hindernis (Stufen, Gehsteigkanten, Personen) näher, schlagen die Schuhe akustisch oder durch Vibrationen Alarm. Das System erinnert an den Einparkassistenten beim Auto.

Wertschöpfungskette unter Druck – aber sie hält

Rückblick: Die Textilbranche ist im Umbruch. Abseits billiger Massenproduktion haben sich Nischen für nachhaltige Textilien und Hightech-Anwendungen ausgebildet. Beispiele der Vorarlberger Textilindustrie zeigen, wie trotz massivem Strukturwandel und harter globaler Konkurrenz eine hohe Konzentration an Kompetenz in der Region gehalten werden kann. Binnen einer halben Autostunde finden sich hier noch sämtliche Glieder der Wertschöpfungskette. Es ist ein nicht zu unterschätzender Standortvorteil.

Die Grabher-Group:

Die Grabher-Group mit Sitz in Vorarlberg beherbergt neun Unternehmen, die sich mit den Produktionsschwerpunkten technische Textilien, Leichtbau-Faserverbundwerkstoffe, Nano-Plasmatechnologie und Smart-Textiles (intelligente Textilien) beschäftigen.

Die Firmengruppe unterhält mit der V-trion textile research GmbH auch eine eigene Forschungseinrichtung in diesen Bereichen.

Speziell in der Forschung und Entwicklung von textilien Sensoren und Aktoren gehört sie weltweit zum Spitzenfeld.

Credits Artikelbild: QUS
Lichtblick

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