Ukraine

Ukraine-Krise: Welche Folgen hätten Sanktionen für Österreichs Wirtschaft?

Kommt es zu einer Verschärfung des aktuellen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine, wären Sanktionen die logische Folge. Was würde das für die österreichische Wirtschaft bedeuten?

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hält derzeit die Welt in Atem. Kriegsdrohkulissen dominieren die Vorderbühne, während in Hinterzimmern die Reise- und Verhandlungsdiplomatie auf Hochtouren läuft. Sollte es zu einer Eskalation und in weiterer Folge zu Sanktionen kommen, hätte das auch wirtschaftliche Auswirkungen. Russland ist immerhin einer der wichtigsten Energielieferanten vieler EU-Staaten. Umgekehrt ist die EU für Russland stärkster und bedeutendster Wirtschaftspartner.

Was also tun? Im Westen werden im aktuellen Konflikt immer wieder Sanktionen gegen Russland in den Raum gestellt. Aber sind sie ein adäquates Druckmittel in den Verhandlungen? Michael Löwy, Experte für internationale Beziehungen, warnt vor überzogenen Hoffnungen und wenig differenzierten Aktionen, die sich für die eigene Wirtschaft am Ende als Bumerang entpuppen könnten. 

Sanktionen gibt es seit 2014

Löwy gibt zu bedenken, dass es bereits seit 2014 – seit der Annexion der Krim durch Russland – Sanktionen gibt. Sie betreffen den Finanz-, Energie- und Militärsektor. Der Export beziehungsweise Verkauf von Rüstungsmaterial oder sogenannten Dual-Use-Gütern, die in Russland einem militärischen Endzweck zugeführt werden könnten, ist seither verboten. Auch der direkte oder indirekte Verkauf verschiedener Ausrüstungsgegenstände für den Öl- und Gassektor nach Russland ist untersagt oder bedarf einer Genehmigung. Weiters gibt es Einschränkungen bei Finanzgeschäften. „Diese Sanktionen haben aber nicht das bewirkt, was sie bewirken hätten sollen“, zieht Löwy eine nüchterne Bilanz. Dies bedeute aber im Umkehrschluss nicht, dass die EU deswegen grundsätzlich keinerlei Maßnahmen setzen sollte.

Michale Löwy
„Für Österreich und die EU ist sowohl Russland als auch die Ukraine wichtig. Wir wollen mit beiden auch in Zukunft enge Wirtschaftsbeziehungen unterhalten und daher eine EU-Politik unterstützen, die deeskaliert“, sagt Michael Löwy, Experte für Internationale Beziehungen.Foto: IV

Wie 2014 wäre wohl auch jetzt mit Gegensanktionen von russischer Seite zu rechnen. So ist seit August 2014 der Import von einigen landwirtschaftlichen Produkten wie Fleisch-, Milchprodukten oder Obst und Gemüse aus unter anderem der EU und den USA nach Russland verboten. Wie die Restriktionen dieses Mal aussehen könnten, sei nicht vorhersehbar.

Sanktionen könnten Abschied Russlands einläuten

Fest steht, dass ein Kappen oder zumindest Einschränken der Energielieferungen Russlands Richtung Europa zwar einerseits die europäische Wirtschaft just in ihrer Erholungsphase nach Corona treffen könnte, andererseits damit aber auch eine wichtige russische Einnahmequelle austrocknen würde. Abgesehen von unmittelbaren Export-Import-Verboten kann es bei einer massiven Eskalation des Konflikts zudem indirekte Folgen wie weiter steigende Energiepreise oder Verwerfungen an den Börsen geben, warnt Löwy.

„Das Potenzial für negative Auswirkungen ist also da“, sagt er und verweist auf mögliche langfristige Folgen: Wenn Staaten wie China, die Türkei, Südkorea oder Japan ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Russland nämlich normal weiterlaufen lassen, bestehe die Gefahr, dass sich Russland langfristig von Europa entferne und die benötigten Produkte anderswo kauft. „Das ist dann nicht mehr so leicht umkehrbar“, sagt Löwy. Es sei nämlich ein Irrglaube, anzunehmen, „auf Knopfdruck“ sei nach den Sanktionen wieder der alte Zustand herzustellen.

Drei Milliarden Euro Exportvolumen

Aktuell sind die wirtschaftlichen Bande zwischen Russland und der EU – und damit auch nach Österreich – dicht. In der Liste der wichtigsten Exportmärkte Österreichs liegt Russland auf Platz 16, bei den Importen auf Platz 13. Rund 650 österreichische Unternehmen sind in Russland aktiv. 2020 gingen Waren im Wert von 2,1 Milliarden Euro von Österreich Richtung Russland, dazu Dienstleistungen im Wert von 0,96 Milliarden. Dem gegenüber standen Importe in annähernd gleicher Höhe (Waren, 2,1 Milliarden, Dienstleistungen 800 Millionen Euro).

Während die Warenexporte in den ersten zehn Monaten des vergangenen Jahres um rund neun Prozent einbrachen, wuchs das Importvolumen um 94 Prozent. Aktuell stehen vor allem die russischen Erdgas- und Erdöl-Lieferungen Richtung EU im Fokus. Auch in den Wirtschaftsbeziehungen mit Österreich spielen sie eine wichtige Rolle. So kommen 70 Prozent der österreichischen Erdgas-Importe auf Russland, bei Erdöl sind es immerhin zehn Prozent.

„Russland ist ein idealer Handelspartner“

Umgekehrt ist die russische Volkswirtschaft ein wichtiger Absatzmarkt für österreichische Maschinenbau- und Technologieprodukte. Da im Land selbst relativ wenig dieser Güter produziert werden, bestehe weder am russischen noch am globalen eine direkte Konkurrenzsituation. „Russland ist eigentlich ein idealer Handelspartner“, befindet Außenhandelsexperte Löwy. „Sie liefern, was wir brauchen, wir liefern, was sie brauchen.“ Nach Deutschland war Russland 2020 zudem der zweitwichtigste Investor in Österreich. Mehr als 500 russische Unternehmen sind in Österreich aktiv.

Zwar eine Kategorie kleiner, aber dennoch eine relevante Größe sind die Wirtschaftsbeziehungen mit der Ukraine. Das österreichische Exportvolumen in Europas größten Flächenstaat betrug in den ersten zehn Monaten 2021 506 Millionen Euro. Dem gegenüber stehen Importe im Wert von 885 Millionen Euro. Österreich ist der sechstgrößte Investor in der Ukraine, mit rund 200 Firmenniederlassungen. Wichtigste Exportgüter sind Maschinenbauerzeugnisse und Fahrzeuge sowie chemische und medizinische Produkte. Wichtigste Importgüter aus der Ukraine sind Eisenerz, Holz und Waren daraus sowie elektrische Maschinen.

Warnung vor Langfristfolgen von Sanktionen

„Für Österreich und die EU ist sowohl Russland als auch die Ukraine wichtig. Man muss aufpassen, dass man diese Dualität nicht übersieht. Wir wollen mit beiden Ländern auch in Zukunft enge Wirtschaftsbeziehungen unterhalten und daher eine EU-Politik unterstützen, die deeskaliert“, mahnt Löwy. Deshalb gelte es, „kühlen Kopf zu bewahren“ und genau zu analysieren: Welche Sanktionen haben welche mittel- und langfristigen Auswirkungen? Welche Produktgruppen betrifft es und was sind mögliche politische und wirtschaftliche Folgen der Sanktionen? Neben dem nominellen Kaufwert eines Importgutes sei nämlich vor allem die davon abhängige Wertschöpfungskette zu beachten.

Dazu kommt, dass die Volkswirtschaften Europas unterschiedlich strukturiert und teilweise divergierende Einzelinteressen verfolgen. Das macht den Entscheidungsfindungsprozess innerhalb der EU so schwer. „Europa ist in seiner Vielfalt zwar oft uneinig“, weiß Löwy. Aber da es sich bei Russland um eine europäische Nachbarschaftsregion handelt, „können wir es uns nicht leisten, dass dieser Markt wegbricht“.

Daher müsse es, so Löwy, auch Österreichs Ziel sein, eine gemeinsame EU-Linie zu finden, die den schwierigen Spagat zwischen berechtigten nationalen und gemeinsamen europäischen Interessen schafft. Es gelte daher, noch einmal alle Kräfte für politischen Bemühungen zu mobilisieren, um eine Eskalation zu verhindern, damit schlussendlich Sanktionen nicht ergriffen werden müssen.

GUT ZU WISSEN

  • Die EU exportierte 2020 Waren im Wert von 79 Milliarden Euro nach Russland – vor allem Maschinen (44 Prozent) und Chemikalien (21 Prozent).
  • Importiert wurden im Gegenzug Waren im Wert von 95,3 Milliarden Euro.
  • 63 Prozent der russischen Exporte in die EU sind mineralische Brennstoffe. Etwa 47 Prozent der EU-Gasimporte stammen aus Russland.
  • In die Ukraine gingen 2020 Waren aus der EU im Wert von 23,1 Milliarden Euro. Wichtigste EU-Exportwaren sind Maschinen und Transportmittel sowie Chemikalien.
  • Aus der Ukraine in die EU importiert wurden Güter im Wert von 16,5 Milliarden Euro. Die wesentlichsten ukrainischen Exportgüter in die EU sind Rohmaterialien (Eisen, Stahl, landwirtschaftliche Produkte) sowie chemische Produkte.
Credits Artikelbild: Bumble Dee

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