Andritz Anlagenbau

Vom Wanderlehrling zum Weltmarktführer

Die Andritz AG wird heuer 170 Jahre alt und freut sich über volle Auftragsbücher. Die Wurzeln des global erfolgreichen Technologiekonzerns liegen in einer kleinen Kettenfabrik in Graz.

Bei Andritz ist man auf den Worst Case vorbereitet. Dieser Tage hat man in der Fertigung die Umstellung auf eine Energieversorgung abseits von Erdgas abgeschlossen. Öl und Strom sind die Alternativen, um auch produzieren zu können, wenn kein Gas mehr fließt. Es ist aber nur eine Folge der aktuellen Turbulenzen auf dem Energieversorgungsmarkt, die vor allem Europa treffen. Sollten hier die Preise langfristig höher bleiben als in Asien oder den USA, werde es zudem zu Abwanderungen der Industrie kommen, warnt Andritz-Vorstandsvorsitzender Joachim Schönbeck.

Er hätte sich wohl ruhigere Zeiten zum Amtsantritt gewünscht. Schönbeck ist seit 2014 in der Führungsetage des Anlagenbauers, Anfang April heurigen Jahres folgte er Langzeit-CEO Wolfgang Leitner in der Funktion des Vorstandsvorsitzenden nach. „Wir befinden uns seit 2020 im Krisenmodus“, sagte er zuletzt in einem Interview mit Blick auf die Corona-Pandemie und den aktuellen Krieg in der Ukraine. Letzterer hat das Russlandgeschäft der Andritz jäh gestoppt.

Andritz: Auftragsrekord trotz Krise

Die gute Auftragslage abseits der Krisenregion sorgt aber dennoch für Erfolgsmeldungen. So konnten Umsatz und Gewinn in den ersten neun Monaten 2022 kräftig nach oben geschraubt werden. Der Umsatz erhöhte sich in den ersten drei Quartalen um fast 15 Prozent auf 5,2 Milliarden Euro, operativ (EBITA) erzielte das Unternehmen mit 425,8 Millionen Euro ein fast 17 Prozent höheres Ergebnis als vor einem Jahr. Und auch der Gewinn stieg deutlich um rund ein Viertel auf 268 Millionen Euro.

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Hochmoderne Kartontechnologie-Anlage von Andritz für Laakirchen PapierFoto: Andritz

Auch in den Vorhersagen für das Gesamtjahr scheint damit weiterhin die Sonne. „Trotz kurzfristiger Rezessionssorgen sehen wir mittel- und langfristig einen wachsenden Bedarf an unseren Produkten und Lösungen“, ist Schönbeck überzeugt. Allein im dritten Quartal betrug der Auftragseingang 2,7 Milliarden Euro – und ist damit fast doppelt so hoch wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Hochgerechnet auf die ersten neun Monate bedeutet das mit 10,8 Milliarden Euro einen Höchstwert in der heuer exakt 170-jährigen Unternehmensgeschichte der Andritz.

Lehrling kauft Kettenfabrik

Was 1852 mit der Produktion von Metallwaren wie Drahtnägeln, Ketten, Ringen und Eisengittern begann, ist heute einer der weltweit führenden Technologiekonzerne für Anlagenbau, Ausrüstungen, Serviceleistungen und digitale Lösungen für verschiedenste Industrien und Endmärkte. Gründer Josef Körösi, nach dem heute noch eine Straße in Graz benannt ist, kam einst als Wanderlehrling aus Ungarn nach Österreich. Er begann in Graz eine Ausbildung in einer Eisenwarenhandlung, bis er sich im Alter von 24 Jahren entschied, die Kettenfabrik zu kaufen. 

Die Mitarbeiterzahl wuchs schnell, was wohl auch an den gebotenen Sozialleistungen lag. Denn Körösi sorgte neben einer angemessenen Ernährung, Unterkunft und Bekleidung seiner Mitarbeiter auch für die Einrichtung und den Betrieb einer neuen Schulklasse und eines Pensionsfonds.

Von zahlungsunfähig bis Zukäufen

Auf schnelles Wachstum folgte ein rasanter Einbruch, woraufhin Körösi seine Maschinenfabrik an die Österreichische Montangesellschaft verkaufte. Es kam zu einer Reihe weiterer Umstrukturierungen und Eigentümerwechsel und zu einer wirtschaftlich sehr sprunghaften Entwicklung zwischen Florieren und Sanieren, zwischen formidablen Gewinnen und faktischer Zahlungsunfähigkeit. Bis 1999 schließlich Wolfgang Leitner zusammen mit Finanzinvestoren die Andritz übernahm – und auf einen nachhaltigen Erfolgskurs inklusive Börsengang einlenkte.

Allein seit 1990 hat man so rund 80 Unternehmen aus ergänzenden Produkt- und Technologiebereichen erworben und in die Gruppe integriert. Erst Anfang November wurde ein kroatischer Kesselproduzent mit 870 MitarbeiterInnen und einem Jahresumsatz von 60 Millionen Euro übernommen. Insgesamt beschäftigt die Andritz heute über 27.400 MitarbeiterInnen, rund die Hälfte davon in Europa, konkret 1.200 am Stammsitz in Graz.

Nachhaltige Produkte als Zukunftsmarkt

Die vier Kerngeschäftsbereiche sind „Pulp & Paper“ (Zellstoff- und Papierindustrie), „Metals“ (Pressen für Metallumformungen, Industrieöfen), „Hydro“ (Generatoren, Turbinen und Pumpen für Wasserkraftwerke) sowie „Separation“ (Anlagen für Lebensmittelproduktion, Bergbau, Abfallverwertung).

Als Anbieter von Anlagen für erneuerbare Energiegewinnung beziehungsweise von Dekarbonisierungstechnologien blickt man bei Andritz zuversichtlich in die Zukunft. Man profitiert von der steigenden Nachfrage nach diesem Know-how und hat das Portfolio entsprechend ausgerichtet. So will man bis 2025 die Hälfte des Umsatzes mit nachhaltigen Produkten erwirtschaften (aktuell sind es rund 40 Prozent).

Von Pfaffenhofen bis Paraguay 

Die Anlagen haben unterschiedlichste Dimensionen, von der kompletten Zellstofffabrik, wie sie zuletzt nach Paraguay geliefert wurde, über Druckfaserungssystemen zur Hackschnitzelwäsche und -mahlung für die Holzfaserplattenproduktion in China bis zu Biomasse-Kessel für ein Werk in Schweden, einer Biomethanolaufbereitungsanlage für einen Kunden in Finnland oder einer kleinen Elektrogeräte-Recyclinganlagen, wie sie beispielsweise Mitte September bei der Firmengruppe Höpperger in Pfaffenhofen in Betrieb ging. Der Shredder schafft es, die notwendige Vorsicht beim Umgang mit den wertvollen Reststoffen mit klarer Separierung und sortenreiner Feinzerkleinerung von wiederverwertbaren Materialien zu kombinieren.

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Andritz betreibt mit der Universität in Lathi in Finnland (Foto) ein Forschungsprojekt im Bereich Fasertechnologie.Foto: Andritz

Zudem saniert man bestehende Wasserkraftwerke und ist auf dem besten Weg, zum Gesamtanbieter für Anlagen zur Batteriezellenfertigung zu werden. Ein Tochterunternehmen aus dem Bereich Zellstoff- und Papierindustrie hat zudem Anfang November in Lahti (Finnland) an der dortigen Universität ein hochmodernes Forschungslabor zur Entwicklung nachhaltiger Fasertechnologien eröffnet.

GUT ZU WISSEN

  • Die Andritz AG gehört in ihren Geschäftsbereichen Pulp & Paper, Metals, Hydro und Separation zu den Weltmarktführern.
  • Der börsennotierte Konzern hat rund 27.400 Beschäftigte und über 280 Standorte in mehr als 40 Ländern.
  • Vor exakt einhundert Jahren (1922) hat das Unternehmen seine Lehrlingswerksatt gegründet. Aktuell sind in der gesamten Andritz-Gruppe rund 700 Lehrlinge beschäftigt, davon 92 in der Unternehmenszentrale in Graz.
Credits Artikelbild: Andritz

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