Was kann Wasserstoff wirklich? Ein Blick auf seine Potenziale

Wenn es um die Energiewende geht, fällt auch immer ganz schnell der Begriff Wasserstoff. Als flüssiger Energiespeicher soll er LKW betreiben, Züge ebenso und vielleicht sogar unsere PKW. Aber: Was kann er tatsächlich leisten? Wir haben bei Markus Mitteregger, CEO der RAG Austria AG nachgefragt.

Wenn sich jemand mit dem Thema Wasserstoff auskennt, dann ist es Markus Mitteregger. Der CEO der RAG Austria AG beschäftigt sich mit seinem Team aktuell nämlich vorwiegend mit erneuerbaren und vor allem CO2-neutralen Energiesystemen. Deshalb haben wir ihm ein paar Fragen über den Stoff, aus dem die Energieträume zu sein scheinen, gestellt

1. Derzeit ist das Thema Wasserstoff in aller Munde. Im Zillertal soll ein Zug damit betrieben werden, andere träumen davon, dass Autos mit Wasserstoff fahren. Was kann Wasserstoff wirklich?

Wasserstoff ist das fehlende Puzzleteil für ein vollständig CO2-neutrales Energiesystem. Er kann klimaneutral erzeugt und direkt in der Industrie eingesetzt werden, umweltfreundlich Energie produzieren sowie einen Kraftstoff der Zukunft darstellen. Das Entscheidende aber ist seine großvolumige Speicher– und Transportierbarkeit in der bestehenden, nahezu unsichtbaren Gasinfrastruktur. So haben wir auch in den sonnen- und windarmen Zeiten genügend und vor allem bedarfsgerecht grüne Energie zur Verfügung.

2. Was kann er – konkret hinsichtlich der Mobilität von morgen – leisten?

Wasserstoff ist in den Anstrengungen, das CO2 von der Straße zu bringen, eine klimaneutrale Alternative zum Elektroantrieb mit seiner schweren Batterie und geringen Reichweite, insbesondere im Schwerverkehr. Bereits heute gibt es Wasserstoff-PKW, und auch im Schwerverkehr arbeiten die etablierten Hersteller daran, Wasserstoffantriebe für Lastwagen serienreif und leistbar zu machen. Der zeitliche Horizont liegt hier bei 2030. Europaweit gibt es zahlreiche Initiativen zur Förderung von Wasserstoff in der Mobilität, die auch am Aufbau eines Tankstellennetzes arbeiten.

Wasserstoff
Sieht so die Zukunft der Mobilität aus? Als flüssiger Energiespeicher soll Wasserstoff jedenfalls schon bald LKW, Züge, Autos und Flugzeuge betreiben.Foto: adobe stock | Malp

Gegenwärtig sind LNG (Liquefied Natural Gas, zu deutsch: Flüssigerdgas) oder Bio-LNG eine ideale Technologie, um die Verkehrsemissionen von CO2, Feinstaub und Stickoxiden deutlich zu reduzieren; im Falle von Bio-LNG sogar auf null, da das CO2 vorab gebunden wird. Wirtschaftlich ist LNG schon heute die beste bereits verfügbare Alternative zu Diesel und wird deshalb von vielen umweltbewussten Transporteuren als Treibstoff für ihre Flotten eingesetzt.

3. Immer wieder hört man, dass die Erzeugung von Wasserstoff so energieaufwendig ist. Wie ist dies realistisch einzuschätzen?

Um Strom oder Energie verwendbar zu machen, ist immer eine Umwandlung nötig – und diese kostet Ressourcen, so auch bei der Herstellung von Wasserstoff. Es wird seit vielen Jahren daran gearbeitet, die Erzeugung von Wasserstoff effizient und günstiger zu gestalten. Diese Bemühungen werden auch in den kommenden Jahren Innovationen vorantreiben. Faktum ist, dass vor allem großskalierbare Technologien einen Vorteil gegenüber Haushalts- und Kleinanlagen haben, die zwar grünen, aber eben teureren Wasserstoff gerade dann produzieren, wenn genügend grüne Energie durch Sonne und Wind verfügbar ist. Welcher Wasserstoff sich am Markt und vor allem auf dem europäischen Binnenmarkt etablieren wird, ist abzuwarten.

RAG betreibt bereits seit 2015 erfolgreich eine Wasser-Elektrolyse in der MW-Klasse und trägt so die Energie der Sommersonne zur Nutzung in den Winter. RAG beschäftigt sich auch mit der Technologie der Methan-Spaltung, da dies einen weiteren emissionsfreien, effizienten Produktionsweg von Wasserstoff darstellt, bei dem auch der Zukunftsrohstoff Kohlenstoff in reiner Form erzeugt wird. Der bei dieser Herstellungsform erzeugte Wasserstoff wird als türkiser Wasserstoff bezeichnet.

Jeder Mensch besteht zu etwa 60 % aus Wasserstoff.

Daher setzen wir als RAG sowohl auf grünen als auch türkisen Wasserstoff, produziert ohne CO2-Emissionen. Die aufzuwendende Energie (erneuerbarer Strom) ist bei der Methan-Elektrolyse um ein Vielfaches geringer als bei der Spaltung von Wasser (Wasser-Elektrolyse). Die Spaltungsenergie, die bei der Elektrolyse aufgewendet werden muss, liegt etwa bei 50 kWh pro Kilogramm Wasserstoff. Bei der Spaltung von Methan liegt der Spaltungsaufwand nur bei 12,5 kWh pro gewonnenem Kilogramm Wasserstoff.

Beide Technologien sind großskaliert wirtschaftlich und effektiv, und wir sehen beide Technologien als wichtige Quelle für Wasserstoff an.

4. Wie teuer ist es eigentlich, Wasserstoff zu erzeugen?

Die große Herausforderung für die Energieversorgung der Zukunft ist neben der CO2-Neutralität und der Versorgungssicherheit vor allem die Leistbarkeit. Primärenergieträger wie Kohle, Öl und Gas sind Produkte längst vergangener Sonnentage und mussten „nur“ gesucht und gefunden werden. Die Produktion wurde allerdings schon vor Millionen von Jahren von Bakterien erledigt. Daher waren Kohle, Öl und Gas auch verhältnismäßig günstig. Die Lagerstätte sendet, genauso wie die Sonne, keine Rechnung – nur der Staat hebt als Eigentümer der Ressourcen einen Förderzins ein.

Nun wird Wasserstoff weltweit als Schlüssel für eine CO2-freie Energiezukunft gesehen, die Forschung dazu wird mit Hochdruck betrieben. Er muss für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie versorgungssicher sowie kostengünstig sein und kontinuierlich zur Verfügung stehen. Nur dann können langfristig herkömmliche fossile Energieträger, wie Kohle, Öl und Gas, in der energieintensiven Industrie durch diese grüne Alternative ersetzt werden. Daher plädieren wir für Technologieoffenheit, damit in absehbarer Zeit in ausreichendem Maßstab und zu darstellbaren Preisen klimaneutraler Wasserstoff gewonnen werden kann.

5. Aber ist Wasserstoff nicht supergefährlich und fliegt beim kleinsten Funken in die Luft?

Wasserstoff ist das am häufigsten vorkommende natürliche Element in unserem Universum – er ist in gebundener Form in nahezu allen organischen Verbindungen vorhanden. Jeder Mensch besteht zu etwa 60 % aus Wasserstoff. H2 ist 14-mal leichter als Luft und daher sehr flüchtig, völlig ungiftig, kann sich nicht selbst entzünden und verbrennt mit farbloser Flamme rückstandsfrei.

Die chemische Industrie ist im sicheren Umgang mit Wasserstoff seit über hundert Jahren geübt. Sorgsamkeit im Umgang mit Brennstoffen ist aber natürlich immer notwendig. Da sind nicht nur private NutzerInnen, sondern auch ErzeugerInnen und TransporteurInnen gefordert – egal, ob bei Benzin, Diesel, Erdgas oder Wasserstoff. Hohe Normen und Standards stellen sicher, dass das funktioniert.

6. Immer wieder wird Wasserstoff mit volatilen Stromerzeugern in Verbindung gebracht. Warum eigentlich?

Ein CO2-freier Stromsektor bedeutet im Klartext, dass das ganze Jahr über ausreichend jederzeit und versorgungssicher grüne Energie für Strom zur Verfügung steht.

Dafür wird aber deutlich mehr Strom aus Sonnen- und Windproduktion benötigt, als derzeit produziert werden kann – und zwar bedarfsgerecht, das ganze Jahr über. Da das auf der nördlichen Erdhalbkugel nicht möglich ist, muss die Sommersonne für den Winter „haltbar gemacht“ – also gelagert – werden, um auch in der sonnen- und windarmen Jahreszeit genügend grüne Energie in ausreichender Leistung zur Verfügung zu haben. Aber wie kann dieser erneuerbare Strom gespeichert werden? Dieser Prozess ist nur durch Umwandlung des Stroms in lagerfähige Energieträger realisierbar – diese Umwandlung muss auch möglichst ressourcenschonend und mit so wenig Energieeinsatz wie möglich geschehen. Wasserstoff eignet sich dafür ideal.

7. Sie haben kürzlich das „Underground Sun Storage 2030“ präsentiert. Was können wir uns darunter vorstellen?

Wir entwickeln im Projekt „Underground Sun Storage 2030“, aufbauend auf den seit 2015 betriebenen Vorgängerprojekten, die sichere, saisonale und großvolumige Speicherung von erneuerbarer Energie in Form von Wasserstoff in unterirdischen Gaslagerstätten weiter. Nach der Bestätigung der Speicherbarkeit von einem Gasgemisch mit einem Anteil von 20 % Wasserstoff, soll in diesem Projekt nun 100 % H2 gespeichert werden.

Wasserstoff
Wie der Name bereits verrät, wird beim Projekt „Underground Sun Storage 2030“ erneuerbare Energie in Form von Wasserstoff in unterirdischen Lagerstätten gespeichert.Foto: Karin Lohberger Photography

8. Wo wird Wasserstoff heute schon sinnvoll eingesetzt?

Wasserstoff ist nicht nur das fehlende Puzzleteil für die CO2-neutrale Energiezukunft, er wird bereits seit vielen Jahrzehnten in der chemischen Industrie eingesetzt. Er ist als natürliches chemisches Basiselement omnipräsent. Und wird bisher zum Beispiel zur Herstellung von Stickstoffdünger, zur Ammoniakproduktion, in Erdölraffinerien zur Raffinierung von Mineralöl oder bei der Herstellung von synthetischen Kraftstoffen verwendet.

Da Wasserstoff CO2-frei hergestellt werden kann und CO2-frei verbrennt, hat er großes Potenzial, das Klima zu schützen: Je mehr Prozesse auf Wasserstoff umgestellt werden, desto weniger CO2 wird ausgestoßen.

9. Was sind seine größten Nachteile?

H2 ist als sehr leichtes Element logistisch schwer zu handhaben. Die Produktion und Nutzungsmöglichkeiten sind bereits bekannt. Die Herausforderung liegt in der Transportierbarkeit, Handhabbarkeit und der Speicherung. Wichtig ist es nun auch, diesen Wasserstoff so ressourcenschonend und kostengünstig wie möglich nutzbar zu machen – für eine CO2-neutrale Energiezukunft.

10. Wie wird sich Österreich in Zukunft mit Wasserstoff versorgen können?

Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken: Auch in Zukunft werden weder Österreich noch Europa energieautark sein können. Daher ist ein kluger Mix aus heimischer Produktion und Wertschöpfung sowie Wasserstoffimporten aus dem Ausland notwendig. Die RAG hat darum gemeinsam mit namhaften Partnern aus Deutschland, Österreich und der Ukraine das Projekt „H2EU+Store“ initiiert. Wasserstoff wird künftig aus Sonne und Wind in der nahegelegenen Ukraine produziert und in den RAG-Speichern für den saisonalen Bedarf gespeichert.

Da Wasserstoff CO2-frei hergestellt werden kann und CO2-frei verbrennt, hat er großes Potenzial, das Klima zu schützen.

Damit leisten wir einen wesentlichen Beitrag zum notwendigen Ausbau der Wasserstoffnutzung in Europa. Dieses Infrastrukturprojekt ist unabdingbar für die zukünftige Sicherung der klimaneutralen Energieversorgung in Österreich und Deutschland; nur so wird das ganze Jahr über ausreichend grüne Energie für Strom, Wärme, die Industrie und Mobilität zur Verfügung stehen.

11. Die RAG ist der viertgrößte europäische Erdgas-Speicherbetreiber. Warum jetzt die Hinwendung zum Wasserstoff?

Die Stärke der RAG liegt in ihrer Innovationskraft und dem verantwortungsbewussten, vorausschauenden Handeln. Was wir tun, ist immer getragen von einer langfristigen Perspektive. Wir gestalten mit dem nachhaltigen Energiebergbau die Energiezukunft. Die dahinterliegende Idee ist bestechend einfach: die natürlich vorhandenen Erdgas-Poren-Lagerstätten nachhaltig zu nutzen. Dort wurde über Millionen von Jahren Erdgas sicher gespeichert. Daher funktioniert das auch heute, wenn man diese Lagerstätten wieder für gasförmige Energieträger wie Wasserstoff nutzt. Für Österreich und Mitteleuropa bedeuten die Speicher ein Höchstmaß an Versorgungssicherheit.

12. Welche Rolle wird Wasserstoff in unserem Leben in zehn Jahren spielen – und warum?

Realistisch gesehen wird er in zehn Jahren weiterhin noch eher punktuelle Anwendungen finden, vor allem in der Industrie. Es wird noch mehr technologische Vorbereitung brauchen, um eine breitflächige Anwendung zu ermöglichen. Wir bereiten uns darauf vor, dass wir für die notwendige Transport- und Speicherlogistik unseren Beitrag leisten können.

Über RAG Austria AG:

Die RAG Austria AG ist das größte Gasspeicher- und somit Energiespeicherunternehmen Österreichs und gehört zu den führenden technischen Speicherbetreibern Europas. Als Partner der erneuerbaren Energien entwickelt das Unternehmen innovative und zukunftsweisende Energietechnologien. Förderung, Versorgung und Handel mit Gas sowie die Nutzung von Gas als Kraftstoff runden das Portfolio ab.

Credits Artikelbild: Karin Lohberger Photography

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